Der Spieler: Wer nicht aufpasst, kann ein Desaster erleben
«5211»: Als ich diese Zahlenfolge auf der Verpackung einer Spieleneuheit sah, kam mir gleich eine andere Zahl in den Sinn, «4711», der Markenname des berühmten Duftwassers aus Köln. Warum nur heisst ein Spiel «5211»? Geht der Name zurück auf eine Hausnummer wie bei «4711», und wie wird er korrekt ausgesprochen: «Zweiundfünfzig-Elf» in Analogie zu «Siebenundvierzig-Elf»? Oder eher «Fünf-Zwei-Elf» oder gar «Fünf-Zwei-Eins-Eins»?
Eine Art Wildwuchs
Weshalb ein Spiel diesen oder jenen Namen trägt, ist meines Wissens bisher noch nie breit untersucht worden. Persönlich habe ich den Eindruck, dass bei den Brett-, Karten- und Gesellschaftsspielen in dieser Hinsicht eine Art Wildwuchs herrscht. Eine Systematik vermag ich kaum festzustellen. Auch scheinen mir Verlage und Redaktionen die allgemeinen Erkenntnisse, wie sie von Marketingfachleuten beschrieben werden (zum Beispiel hier), sehr frei zu interpretieren.
Ein paar Beispiele gefällig? Angenommen, Sie hörten den Namen «Yatzee» zum ersten Mal, könnten Sie sich vorstellen, dass dahinter ein Würfelspiel steckt? Bei «Qwizz» vermuten Sie wohl eher ein Quiz-Spiel. Ist es aber nicht, sondern ebenfalls ein Würfelspiel. Dies gilt auch für «Ganz schön clever» und «Doppelt so clever». «Smart 10» erinnert eher an eine Automarke, ist jedoch der Titel eines Frage- und Antwort-Spiels. «Just 4 Fun» verspricht zwar Spass, aber womit? «Euphrat & Tigris» lässt mich als potentiellen Käufer im Laden oder als Interessentin in einer Ludothek ratlos zurück, selbst wenn «An den Ufern der Macht» noch als Ergänzung darunter steht.
Die Liste könnte beliebig verlängert werden. Man gehe nur einmal in einem Fachgeschäft die Regale entlang und schaue sich die Titel näher an. Sehr informativ sind die Titel für mögliche Käuferinnen und Käufer nicht, ausser es sei denn, die Verlage hätten es darauf angelegt, bei diesen die Frage «was könnte denn damit gemeint sein» zu provozieren und auf diese Weise ihre Neugier zu wecken. Was bei Titeln, wie «Dodelido» oder «Blöde Kuh», garantiert der Fall ist.
Es steht drauf, was drin ist
Es gibt auch Ausnahmen. «6 nimmt!» sagt allen, die diesen Titel lesen, worum es in diesem Kartenspiel geht. Oder «Elfer raus». Und wo «Sticheln» auf der Verpackung steht, muss ein Stichspiel drin sein.
Zurück zu unserem «5211». So nichts sagend der Titel auf den ersten Blick erscheint, er sagt alles aus, nämlich genau das, wie dieses Spiel abläuft: Man bekommt fünf Karten auf die Hand und spielt dann simultan zwei aus, anschliessend nochmal eine und nochmal eine. Dazwischen werden die eigenen Handkarten immer auf fünf ergänzt. Und somit ist auch klar, wie «5211» ausgesprochen wird: «Fünf-Zwei-Eins-Eins.»
Das Material besteht aus insgesamt 100 Karten, 20 in jeder der fünf Farben. Die Karten haben unterschiedliche Werte von 2 bis 6. Einen Punkt gibt es in der Schlusswertung für jede gewonnene Kododo-Karte. Darauf ist statt einer Zahl die Abbildung der gleichnamigen grünen Rennechse zu sehen, die auf der Karibik-Insel Curaçao heimisch ist. Warum ausgerechnet dieses Tier in dieses Kartenspiel gekommen ist, bleibt ein Rätsel. Möglicherweise, um ihm einen Hauch von Exotik zu verleihen, was ja auch mit dem Design der Karten angetönt werden soll.
Alles deht sich um die Wertung
«5211» gehört zu den abstrakten Ablege- und Sammelspielen. Der Autor, der Japaner Tsuyoshi Hashiguchi, bereichert die Gattung um ein paar fiese Elemente, die verhindern, dass man einfach so herunterspielen und Siegpunkte scheffeln kann. Das Ausspielen der fünf Handkarten erfolgt, wie beschrieben, nach dem 5211-Prinzip. Man legt zuerst zwei Karten verdeckt vor sich auf den Tisch. Sie werden dann gleichzeitig aufgedeckt. Nachdem man zwei Karten nachgezogen hat, legt man eine Karte verdeckt vor sich hin. Simultanes Aufdecken, Nachziehen einer Karte und anschliessend Wiederholung des Vorgangs mit einer Karte. Jetzt haben alle Teilnehmenden vier Karten offen vor sich, die restlichen Handkarten kommen auf den Ablagestapel, und der Durchgang wird gewertet.
Um diese Wertung dreht sich alles: Grundsätzlich ist es so, dass man alle seine Karten der Farbe, die von allen am häufigsten ausgespielt worden ist, bei sich auf einem besonderen Stapel ablegt. Die aufgedruckten Werte darf man als Gewinnpunkte für sich verbuchen. Gewonnen hat, wer nach mehreren Durchgängen am meisten Punkte erzielt hat.
Wo liegt nun das Spezifische an «5211»? Darin, dass eine Farbenmehrheit bei den ausgespielten Karten nicht sofort bedeutet, dass man automatisch zu Punkten kommt, sofern man Karten in der entsprechenden Farbe ausgespielt hat. Gibt es nämlich bei der Ermittlung der häufigsten Farbe einen Gleichstand, werden die Karten dieser Farbe nicht gewertet. Stattdessen gibt es Punkte für die Farbe, die am zweitmeisten vorkommt. Hinterhältig ist auch der sogenannte «Desaster»-Wert, der von der am meisten ausgespielten Farbe nicht erreicht oder überschritten werden darf. Der «Desaster»-Wert ist von der Anzahl der Teilnehmenden abhängig (zum Beispiel fünf bei zwei oder acht bei fünf Teilnehmenden). Ein Desaster besteht darin, dass alle Karten der betroffenen Farbei nicht gewertet werden.
Ein Dilemma, wie es Zocker lieben
Doch aufgepasst: Bevor die Farbenwertung zum Zug kommt, wird geprüft, wieviele Kododo-Karten insgesamt ausgespielt worden sind. Entspricht deren Zahl exakt den in der Spielanleitung genannten, von der Anzahl der Mitspielenden abhängigen Vorgaben (zum Beispiel vier bei zwei oder sechs bei vier Mitspielenden), dann kommen nur die Kododo-Karten in die Wertung. Der Haufen mit dem Rest aller gespielten Karten geht auf den Ablagestapel.
Diese Besonderheiten der «5211»-Wertung hat es in sich: Sie zwingt einen, das Geschehen in der Spielrunde genau zu verfolgen. Ziel ist es, möglichst zur Mehrheit zu gehören. Denn nur auf diese Weise komme ich zu Punkten. Doch nach welcher Taktik gehe ich vor? Wenn sie darin besteht, eine Mehrheit durch das Ausspielen der gleichen Farbkarte zu vergrössern, um für mich am Schluss zu mehr Punkten zu kommen, provoziere ich unter Umständen ein «Desaster», bei dem ich überhaupt nichts gewinne. Ein Dilemma, wie Zocker es mögen!
Die Art der Wertung lädt auch ein, sich in bestimmten Situationen sehr destruktiv zu verhalten. Hier versuche ich, Mehrheiten, von denen ich aufgrund meiner Handkarten kaum profitieren werde, von vornherein mit dem Ausspielen von entsprechenden Farb- oder aber Kododo-Karten zu sprengen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass man mit Destruktion allein nicht auf einen grünen Zweig kommt.
Katastrophales Artwork
Viel besser und zugleich eleganter ist es, wenn ich die Mitspielenden am Tisch für meine Ziele spielen lasse. Doch wie werden sich die Mitspielenden verhalten? Haben sie es darauf angelegt, mir einen Strich durch die Rechnung zu machen? Ich weiss es nicht. Diese Unbekannte verleiht «5211» etwas Unberechenbares. Mich persönlich stört das nicht. Im Gegenteil. Ich finde es gut, dass es für die Zielgruppe der Normal- und Familienspielenden Spiele gibt, bei denen der Zufall oder das Glück die Übermacht der knallharten Taktiker bis zu einem gewissen Grad ausbremsen.
«5211» zählt zu diesen Spielen. Ich würde es vorbehaltlos für die genannte Zielgruppe empfehlen, wäre da nicht das katastrophale Artwork der Karten. Rein optisch wirkt das Spiel sehr attraktiv, doch was nützt das, wenn einzelne Farben nicht nur für Menschen mit (Farb-)Sehschwäche schlecht oder kaum zu erkennen sind, besonders bei nicht optimaler Beleuchtung. Und das ausgerechnet in einem Spiel, bei dem es auf die Farben ankommt. Ich frage mich, nicht nur bei «5211», wie weit bei der Produktion von Spielen der Designer-Grundsatz noch gilt, wonach Form und Farbe sich der Funktion unterzuordnen haben. Wer sich nicht an dieses Gesetz hält, schafft nur Barrieren, die es beim Spielen nicht geben darf.
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5211: Ablege und Sammelspiel mit Karten von Tsuyoshi Hashiguchi für 2 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Pegasus-Verlag. Fr. 19.90. Es gibt auch eine «Azul»-Sonderedition, die im Vergleich zur Grundausgabe graphisch leicht verbessert ist. Sie kostet ebenfalls Fr. 19.90.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker Synes Ernst war lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.