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Der Drang, sich zu beschweren, nimmt zu. © mohamed_hassan

Corona-Medienkritiker: «Generell unzufrieden und frustriert»

Rainer Stadler /  SRF hoffte auf einen Rückgang der Beschwerden - dank neuen Köpfen bei der Ombudsstelle. Doch das Gegenteil geschah.

Roger Blum, bis vor einem Jahr Ombudsmann der SRG Deutschschweiz, stand intern unter dem Verdacht, seine Person trage dazu bei, dass die Beschwerden gegen SRF-Angebote in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben. Und nun das. Die Ombudsstelle, die seit April 2020 von Esther Girsberger und Kurt Schöbi verantwortet wird, verzeichnete im vergangenen Jahr mehr als doppelt so viele Beanstandungen wie 2019 – ein Rekord in der 30-jährigen Geschichte der Institution.

Die Flut habe die beiden Vermittler an ihre «zeitlichen Grenzen» gebracht, heisst es im eben publizierten Jahresbericht. Die Pandemie trieb generell den Medienkonsum hoch; die Stilllegung des gesellschaftlichen Lebens erhöhte die persönliche Mussezeit, und offensichtlich erhitzte das leidige Thema die Gemüter – auch der Presserat ist mit einer zunehmend klagefreudigen Klientel konfrontiert. SRF und die Ombudsstellen seien besonders vielen Anwürfen und Beleidigungen ausgesetzt gewesen, meint der Jahresbericht. Etwa ein Drittel der Beschwerden betraf SRF-Beiträge über Corona. Was sich gegenüber früher aber nicht verändert hat: Die Leute stossen sich vor allem an Fernsehbeiträgen.

Kritiker aus dem rechtspopulistischen Milieu

Gemäss den Ombudsleuten kommt ein grosser Teil der Beschwerdeführer «aus dem rechtspopulistischen Feld». Bezeichnenderweise habe sich keine Beanstandung gegen Auftritte und Anweisungen gerichtet, die in den Kompetenzbereich der SVP-Bundesräte Maurer und Parmelin fielen. Bei den Kritikern gehöre es zum guten Ton, so die Ombudsleute, Erkenntnisse und Methoden der Wissenschaft anzuzweifeln: «So wie sie den menschengemachten Anteil am Klimawandel negieren, werden auch wissenschaftliche Erkenntnisse betreffend die Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht akzeptiert.» Ohnehin werde durch den Wortlaut der Beanstandungen bereits ersichtlich, dass die Kritiker «generell unzufrieden und frustriert sind». Weiter steht im Bericht: «Mit zunehmender Dauer der Pandemie verschafften sich unter den Skeptikern diejenigen immer mehr Gehör, bei denen verschwörungstheoretisches Denken nicht zu verkennen ist.»

Die Ombudsleute beurteilen die umstrittenen SRF-Sendungen bedeutend positiver. 71 Prozent der Beanstandungen wiesen sie als unbegründet zurück. In 26 Prozent der Fälle gaben sie den Beschwerdeführern teilweise und in 3 Prozent der Fälle vollständig recht. Natürlich seien angesichts der unzähligen Corona-Berichte Fehler geschehen. Es habe sich aber mehrheitlich um handwerkliche Fehler und nicht um Konzessionsverletzungen gehandelt.

Nach Ansicht der Ombudsleute hat Corona die Schleusen geöffnet. Entsprechend rechnen sie nicht damit, dass die Zahl der Beschwerden nach dem Abklingen der Pandemie schnell wieder auf den Stand von 2019 und davor zurückgehe. Der als Beschwerdemagnet verdächtigte Vorgänger Roger Blum hat Anlass, sich zurückzulehnen.

Social Media als Klagemauer

Für die Zunahme der Beschwerden muss man neue Faktoren in Betracht ziehen. Die SRF-Angebote sind auf sozialen Netzwerken und auf SRF-eigenen Plattformen weit über das Ausstrahlungsdatum hinaus verfügbar. Das erhöht ihre potenzielle Reichweite und relativiert den Zeitpunkt der Publikation. Gemäss jetziger Regelung sind Beschwerden nur zulässig, wenn sie innerhalb von 20 Tagen nach Ausstrahlung einer Sendung eingereicht werden. Die Digitalisierung des Medienmarkts erfordert entsprechend neue Regeln.

Beispielsweise hält sich die Ombudsstelle nicht dafür zuständig, wenn sich Personen darüber beschweren, dass ihnen der Zugang zu den Publikumskommentaren auf SRF-Sites verweigert wurde. Gemäss jetziger Regelung werden Beschwerden behandelt, wenn es um redaktionelle Sendungen, um das «übrige publizistische Angebot» von SRF oder um einen verweigerten Zugang zu einem Programm geht. Da besteht mit Blick auf verweigerte Kommentare ein Defizit.

Eine Erweiterung der Kompetenzen dürfte indessen die Arbeitslast der Ombudsstelle weiter erhöhen. Sie war einst geschaffen worden, um die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) zu entlasten. Nun steht die Ombudsstelle vor einem ähnlichen Problem. Man kann sich fragen, ob es eine solche Instanz noch braucht. Schliesslich verfügt das Publikum gerade dank den sozialen Netzwerken über vielerlei Möglichkeiten, seinen Unmut über SRF-Beiträge schnell, direkt und unzensuriert zu artikulieren. Dank Ombudsstelle und UBI haben die SRG-Sender allerdings die Chance, dass ihre Produktionen fern von Shitstorms durch kühle Köpfe und damit fairer beurteilt werden.


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3 Meinungen

  • am 14.04.2021 um 12:28 Uhr
    Permalink

    Eine Ombudstelle sollte sich durch Unabhängigkeit und Sachlichkeit auszeichnen. Sie sollte sich strikt auf die Sachverhalte konzentrieren und Bewertungen von Personen und ihren Motiven unterlassen. Nur so kann sie ihre wichtige Funktion der Schlichtung und Konfliktentschärfung leisten. Die Ombudstellen der SRG sind deshalb im Bereich der öffentlich-rechtlichen Medien wie der dörfliche Friedensrichter: Unverzichtbar für den Rechtsfrieden. Wenn nun die Ombudsstelle in ihrem Jahresbericht Beschwerdeführer als «generell frustriert» und «eindeutig aus dem rechtspopulistischen Umfeld» abqualifiziert, verletzt sie die Gebote der Unabhängigkeit und Sachlichkeit, beschädigt ihre Reputation und könnte schon bald zum Teil des Problems (Anstieg der Beschwerden) werden, anstatt Teil der Lösung zu sein. Nur damit es klar ist: Ich symphatisiere in keiner Weise mit Personen, die den menschengemachten Klimawandel leugnen oder die Existenz des Corona-Virus in Frage stellen und irgendwelchen Verschwörungsmythen anhängen. Ich möchte einfach darauf insistieren, dass Ombudsstellen ihren Job machen – und nur das.

  • am 16.04.2021 um 11:55 Uhr
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    ombudsstelle tönt viel besser als es ist oder sein soll!
    nicht nur srf ist der falschen berichterstattung und lügen verbreitung überführt (atlantik brücke). es ist für viele gebühren zahler offensichtlich, das gewisse sendungen der elite und ihrer interessen vorbehalten sind und dienen, wobei anders denkende und ihre meinungen diskreditiert, in die verschwörungs ecke gestellt oder ganz einfach ignoriert werden. wie also können sich angebliche ombudsstellen diesem hinterlistigen spiel entziehen ohne kollateralschaden bei den schwächsten in der runde? diese machtkämpfe sind nichts neues, aber sehr frustrierend für den gebührenzahler wenn es immer zu gunsten der selben endet. solange schlüsselstellen von eigenen systemlingen der elite besetzt werden, und darum geht’s im wesentlichen bei allen machtkämpfen, wird sich nie etwas zu gunsten der allgemeinheit verändern. egal wie viele schlichtungsstellen noch von angeblichen fairplayer besetzt werden. eigentlich könnte sich jeder normale haushalt diese gebühren sparen, schlussendlich pflücken immer jene die früchte die vorgeben es ist für alle gut.

  • am 16.04.2021 um 23:55 Uhr
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    Ich möchte an dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass die Beschwerdeflut offenbar auch beim Tamedia-Konzern anschwillt. Der Ombudsmann Ignaz Staub hat am Samstag in seiner Kolumne Einsicht in die ansteigenden Zahlen gewährt. Und ich denke, dass es auch hier nicht nur an den Rechtspopulisten liegt, sondern dass die Inhalte generell immer dürftiger werden. Ein Punkt, den er speziell erwähnt hat, ist die mangelnde Debattenkultur. Zwar werden laufend irgendwelche «Debatten» über Rassismus und Sexismus produziert, aber diese dienen letztlich nur der rechtspopulistischen Seite, um sich zu empören.

    Welchen Zweck soll es denn haben, wenn Journalist*innen jeweils mehrere Artikel über «Mohren» oder das Gendersternchen sowie einen «Perioden-Handschuh in Pink» (dies letztlich bloss Schleichwerbung) schreiben? Es sieht für mich ganz danach aus, dass da die Chefredaktion der Kulturredaktion vorgibt, dass sie eine bestimmte Quote von solchem Empörungsjournalismus, PR und People News erfüllen muss, damit die rechten Interessengruppen befriedigt werden.

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