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Ein Händedruck kann auch traumatisch sein. © geralt

Erinnerungen an den Handschlag

Rainer Stadler /  Werden wir nach der Pandemie wieder unverkrampft die Hände schütteln können? Eine soziale Experimentierphase steht bevor.

Unsere Zivilisation hat ihre Werte erfolgreich verteidigt gegen ein paar renitente Jugendliche, die aus angeblich religiösen oder kulturellen Gründen ihren Lehrerinnen den Handschlag verweigerten. Doch nun bedroht die Pandemie die alte europäische Sitte viel vehementer. Manche Experten verbreiten zwar Zuversicht und versichern, nach dem Ende der Pest würden sich die alten Gewohnheiten schnell wieder durchsetzen. Wer wird darauf hoffen?

Feuchte Hände

Nach mehr als einem Jahr Pandemie und einem winterlangen Leben in Zurückgezogenheit sind Gefühle der sozialen Verwilderung und Entfremdung kaum noch zu verdrängen. Das einst Selbstverständliche scheint plötzlich etwas seltsam. Heikle Erinnerungen kommen hoch. Etwa an geschäftliche Anlässe, an denen man morgens im Halbminutentakt zahllosen Personen die Hände schüttelte. Wenn es sich um regelmässig wiederkehrende Treffen handelte, löste das öfters auch Beklemmung aus. Denn irgendwann stand man vor jenen gut bekannten Personen, die einem forsch die rechte Hand entgegenstreckten – diese war indessen stets feucht, wenn nicht nass. Oje. Ein Entrinnen gab es nicht, solange die Höflichkeit bewahrt bleiben sollte. In guter Vorsorge hatte man also rechtzeitig ein Papiertaschentuch in den Hosensack gesteckt, um mit einer diskreten Geste das auf der eigenen Hand entstandene Feuchtgebiet wieder trockenzulegen.

Seitdem Corona unweigerlich unseren Sinn für Fragen der Hygiene geschärft hat, gerät man angesichts solcher Erinnerungen ins Grübeln. Falls nämlich alles beim Alten bleibt, wird nach dem Ende der Pandemie auch der hygienische Schlendrian zurückkehren. Man darf es der Fantasie des Lesenden überlassen, sich auszumalen, was alles wir beim Händeschütteln wieder mit unseren Zeitgenossen austauschen werden.

Die Tages-Impfung

Gehen wir davon aus, dass die volle Normalität erst in einem Jahr zurückkehren wird. Vermutlich wird dann – nach immerhin zwei Jahren des Lebens auf Distanz – ein Reflex der Vorsicht fixiert sein. Zumindest bei einem Teil der Bevölkerung. Gesundheitsfachleute meinen, man müsse sich Viren und Bakterien aussetzen, damit das Immunsystem fit bleibe. Dann geriete der Handschlag zu einer Art spontaner Tages-Impfung. Eine solche Sichtweise stärkt allerdings nicht den Sinn für den sozialen Akt des Händeschüttelns.

Die Rückkehr des Gewohnten dürfte darum einige Verunsicherung auslösen. Wenn der durch die Pandemie vorsichtig gewordene Überlebende die ausgestreckte Hand des Unbekümmerten verweigert, gerät er in die Rolle des sozialen Eisklotzes. Er müsste darum frühzeitig eine andere Form der Begrüssung einleiten.

Dafür kann er sich auf Beispiele aus anderen Kulturen stützen. Die flachen Hände vor der Brust aufeinanderzulegen und sich leicht zu verbeugen, wie das in einigen asiatischen Ländern üblich ist, wäre unbestritten eine vornehme Alternative. So sympathisch wie freundlich wäre es, wie das offenbar bei einigen afrikanischen Völkern Sitte ist, bei der Begegnung gegenseitig zu klatschen. Der Saloppe wiederum wird – nach polynesischer Art – seinen Daumen und den kleinen Finger ausstrecken. Wer jedenfalls rechtzeitig die Initiative ergreift, wird Akzente setzen können. Mit täglichen Irritationen ist zu rechnen.

Eine Chance fürs Küsschen?

Nach dem Ende der Pandemie ist eine Pluralisierung der Begrüssungsformen absehbar. Der Trend ist seit längerem zu beobachten. Die einen umarmen sich, andere verkeilen sich mit angehobenem Unterarm. Der Stirn- und Nasengruss aus Neuseeland wird wohl wenige Anhänger finden. Fraglich ist, ob die hierzulande relativ spät etablierte und oft künstlich gebliebene Küsschenkultur wieder aufleben wird. Oft ist sie zudem beschränkt auf die Begrüssung zwischen Mann und Frau. Wenn nun einige Vorkämpfer der Diversität darauf bestehen, sie seien weder Mann noch Frau oder irgendwie beides, wirft das komplexe Fragen auf. Uns steht eine anspruchsvolle soziale Experimentierphase bevor.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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2 Meinungen

  • am 10.04.2021 um 18:18 Uhr
    Permalink

    Vielen Dank für diesen Artikel.
    Der streckenweise launige Text erinnert mich an einen lachenden Clown, der im Herzen tieftraurig ist. Und mit der Formulierung „Gefühle der sozialen Verwilderung und Entfremdung“ ist die Traumatisierung ganzer Gesellschaften sehr gut beschrieben.
    Ich bezweifle, dass die Menschen „nach Corona“ sobald zu ihrer Unbefangenheit zurückkehren werden. So wie heute schon jeder, der gegen unsinnige „Maßnahmen“ anschreibt, sich gedrängt fühlt seiner Leserschaft schon im Text zu versichern, dass er kein „Corona-Leugner“ ist.
    Ich wünsche mir, dass Erwachsene sich für die „Nach-Corona-Zeit“ zur Pflicht machen, jedem Kind, wo auch immer sie einem begegnen, ein freundliches Gesicht zeigen.

  • am 23.04.2021 um 18:04 Uhr
    Permalink

    Der Handschlag als alte europäische Tradition ist sicherlich geeignet, eine milde Durchseuchung mit dem Effekt des Imunsystem-Trainings zu realisieren.
    Allerdings ist der Handschlag von unseren Vorfahren entwickelt um seinem Gegenüber zu signalisieren, das man in friedlicher Absicht begrüßt, ohne eine Waffe in der Hand.
    Und ein Vetragsabschluss wurde rechtswirksam durch Handschlag besiegelt.
    Beide Gründe sind weggefallen-Verträge werden nichtmal eingehalten, wenn die auf Papier geschrieben wurden (A.Hitler/Stalin, USA/Gorbatschow etc.) noch kommt man ohne Waffen, wenn sich ein Kontaktgift auf der Handfläche des Gegenüber auf einer Folie befindet.
    Die Handschlag-Nummer sollte man künftig vergessen.
    Ein leichtes Kopfnicken, leichte Verbeugung oder Namasté reicht.
    Und eine Durchimmunisierung wird beim Anfassen eines Einkaufswagen erreicht. Da findet man sogar Colibakterien-weil einige Hygieneferkel sich nicht nach ihrem Toilettengang die Hände waschen. Mit Seife&Handbürste.
    Wie sagte meine Oma zu mir ?: Junge, achte auf deinen Umgang.
    (Nicht nach Duden)

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