Sprachlupe: E-ID-Gesetz – ausser Spesen Stilkunde gewesen
Es lag wahrscheinlich nicht an den zwei Tippfehlern im gleichen Satz, dass das E-ID-Gesetz so deutlich abgelehnt wurde. Immerhin entfällt nun auch der Artikel 16/3: «Die E-ID Registrierungsnummer darf er nur Behörden oder andere Stellen bekannt geben, die öffentliche Aufgaben erfüllen.» Hier fehlte nach «E-ID» der Bindestrich gemäss dem Vorbild «E-ID-Gesetz», und es fehlte das Schluss-n bei «andere». Kurz vor der Abstimmung meldete ich das der Bundeskanzlei; bei der Verdankung vermerkte sie, der Satz sei vom Parlament in die Vorlage eingefügt worden.
So gebührt dem Parlament auch das Lob dafür, dass es in diesem Satz die Verschachtelung unterlassen hat, die nach verbreiteter Irrmeinung vorgeschrieben wäre, also: «Die E-ID-Registrierungsnummer darf er nur Behörden oder anderen Stellen, die öffentliche Aufgaben erfüllen, bekannt geben.» Zu solchen «nachklappenden Verben» heisst es bei Heuer, «Richtiges Deutsch» (NZZ Libro, soeben in 33. Auflage erschienen): «Nicht vertretbar ist, was allzu strenge Lehrer auch schon verlangt haben: dass der Relativsatz seinem Bezugswort … in jedem Fall unmittelbar anzuschliessen sei.» Hier eben dem Bezugswort «Stellen».
Identitätslieferant (m/f)
Beim Artikel 14/3 aber braucht man Geduld und Sprungkraft, um zu erfahren, was dem Subjekt «Systeme» drohte: «Die E-ID-Systeme eines IdP, der seine Geschäftstätigkeit aufgibt oder gegen den der Konkurs eröffnet wurde, können von einem andern anerkannten IdP übernommen werden.» Hier wäre die Entschachtelung etwas schwieriger, aber doch gut möglich gewesen: «Gibt ein IdP seine Geschäftstätigkeit auf oder wird gegen ihn der Konkurs eröffnet, so können seine E-ID-Systeme von einem andern anerkannten IdP übernommen werden.»
Der IdP ist der «Identity Provider», identisch mit dem «er» im eingangs zitierten Satz. Die Abkürzung für «Anbieterinnen von elektronischen Identitätsdienstleistungen» stand nur in der deutschen Fassung der Vorlage. Auf Französisch und Italienisch standen die Übersetzungen von «Identitätslieferant» – quelle horreur! Im Deutschen verwendet die Bundeskanzlei manchmal die «grammatisch weibliche Form, … wenn praktisch nur juristische Personen gemeint sein können», wie sie mir mitteilt. Ferner habe ich erfahren, dass Artikel 16/2 ein Gemeinschaftswerk von Bundesrat und Parlament war: «Dritten darf er die Personenidentifizierungsdaten nach Artikel 5, die Daten, die bei einer Anwendung der E-ID entstehen, und darauf basierende Nutzungsprofile weder bekannt geben noch diese Daten zu anderen Zwecken als zur Umsetzung der in Artikel 15 genannten Pflichten nutzen.»
Ein Fall fürs Brückengeländer
Dies wäre für Mark Twain ein gefundenes Fressen gewesen, als Exempel für die «Einschachtelungsmanie», die er in «Die schreckliche deutsche Sprache» geisselte (parenthesis distemper, in anderen Übersetzungen «Parenthesenkrankheit»). In einem Vortrag, den er dazu 1897 in Wien auf Deutsch hielt, sagte der amerikanische Schriftsteller über seine angebliche Vorliebe für Brücken: «Dort gibt’s den nötigen Raum. Dort kann man einen edlen, langen, deutschen Satz ausdehnen, die Brückengeländer entlang, und seinen ganzen Inhalt mit einem Blick übersehen. Auf das eine Ende des Geländers klebe ich das erste Glied eines trennbaren Zeitwortes und das Schlussglied klebe ich ans andere Ende – dann breite ich den Leib des Satzes dazwischen aus.»
Vom Bundeshaus wäre es nicht weit zur Kirchenfeldbrücke; dort könnte man schön ausbreiten und neu ordnen, was die Anbieterin bzw. der IdP nicht darf: «Die Personenidentifizierungsdaten nach Artikel 5 und die Daten, die bei einer Anwendung der E-ID entstehen, sowie darauf basierende Nutzungsprofile darf er weder Dritten bekannt geben noch diese Daten zu anderen Zwecken nutzen als zur Umsetzung der in Artikel 15 genannten Pflichten.» Oder, um an der frischen Luft auch noch die Substantivitis zu kurieren: «… für etwas anderes nutzen, als um die Pflichten gemäss Artikel 15 zu erfüllen».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.
Herrlich, diese Analyse des unverständlichen Beamtendeutschs. Wie einfacher wäre es für alle, würde man sich an ein paar banale Grundregeln halten. Ich habe mal gelernt, man solle Sätze mit maximal 15 Wörtern bilden und Verschachtelungen vermeiden. Ich halte mich konsequent daran. Es gibt noch genügen Knacknüsse mit Wortkombinationen von deutschen und englischen Wörtern, die auch meine Lektorin jeweils zu kreativen Höchstleistungen treiben.
Ich war auch ein bisschen schockiert über all die Rechtschreibefehler und die vielen unverständlichen Formulierungen. (Dabei sitzen z.B. im Ständerat 1/3 Jurist°innen, die aus eigener Erfahrung wohl etwas sensibler für korrekte und klare Sprache sein sollten.)
In Art. 12, Abs. 1 wurden die Frauen° m. E. nur halb erwähnt: «Die Inhaberin oder der Inhaber einer E-ID hat die nach den Umständen notwendigen und zumutbaren Massnahmen zu treffen, damit seine [bzw. ihre] E-ID nicht missbräuchlich verwendet werden kann.»
Ist halt so eine Sache mit diesen Doppelnennungen… Das ist für mich keine gute Lösung; schon gar nicht für komplizierte und abstrakte Gesetzestexte o. Ä.!