Moutier

Grüsse von der Felswand: Die Jurafahne hängt schon seit Jahrzehnten über dem Städtchen Moutier. Der Smiley der Proberner musste nach wenigen Tagen ersetzt werden – wegen Vandalismus.  © cd

Jurakonflikt: Moutier kämpft mit Schrotkugeln und einem Lächeln

Catherine Duttweiler /  Keine Abstimmung wird so streng überwacht wie die zum Kantonswechsel von Moutier. Trotz Kodex brechen wieder alte Konflikte auf.

Kletterseile, Haken und Verankerung sehen aus wie neu. Doch die Stoffahne mit dem fröhlichen Smiley war nach wenigen Tagen an den Aufhängepunkten dutzendfach durchlöchert und ausgefranst: Vandalismus, Schiessspuren, wahrscheinlich Schrotkugeln, sagen die Vertreter des probernischen Komitees «Moutier plus» gestern an einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz am Eingang der Klus. Dort hatten sie vor zwei Wochen eine Blache mit einem sonnenbebrillten Smiley aufgehängt – an einer Felswand, gegenüber dem Jurawappen, das vor Jahrzehnten an die Felswand gemalt worden war. Das Komitee hat  Strafanzeige gegen Unbekannt eingereicht, die ballistische Untersuchung der Kantonspolizei läuft. 

Ein «gestohlener Abstimmungssieg» wie in den USA?

Knapp zwei Wochen vor der Volksabstimmung liegen die Nerven blank in Moutier, dem mit rund 7200 Einwohnerinnen und Einwohnern grössten Städtchen im Berner Jura. Die Separatisten führen ihren letzten Kampf um die Unabhängigkeit von Bern. Im September 2017 hatten sich die Gemeinden Belprahon und Sorvilier gegen einen Kantonswechsel ausgesprochen – und das knappe Ja in Moutier war wegen grober Unregelmässigkeiten für ungültig erklärt worden. Vier Jahre danach wird der Urnengang jetzt wiederholt, und noch immer wird heftig über den angeblich «gestohlenen Abstimmungssieg» polemisiert. In sozialen Medien, Videos und Leserbriefen wird die «Berner Hölle» bunt beschrieben, ein Steuerrechner stellt tiefere Steuern im finanzschwachen Kanton Jura in Aussicht, und es werden rassistische Anschuldigungen verbreitet. 

Das Plakat weist vor allem an den vier  Aufhängestellen zahlreiche Schusslöcher auf. Es musste aus Sicherheitsgründen entfernt werden, da es auf die nahe Intercity-Linie zu stürzen drohte.

Dabei sollte die Abstimmung diesmal wirklich korrekt und konstruktiv verlaufen, so der Wunsch der beiden Kantonsregierungen, die sich mit der Stadtregierung von Moutier auf einen Verhaltenscodex geeinigt hatten und sich im Abstimmungskampf eigentlich gar nicht äussern wollten. Jura-Anhänger Marcel Winistoerfer, Gemeindepräsident von Moutier, hatte sich 2017 an vorderster Front und mit fragwürdigen Aussagen für den Kantonswechsel engagiert; seine Rolle, vor allem aber die kurzfristige Registrierung ausserkantonaler Wahltouristen sowie weitere Abstimmungsmanipulationen hatten zur Annullierung des Resultats geführt, ein Entscheid, gegen den die Separatisten zuletzt nicht mehr rekurriert hatten. 

Zahlenkrieg um Arbeitsplätze und das Regionalspital

Diesmal wollte man also alles richtig machen und übte sich in Zurückhaltung. Bis Anfang Jahr. Im Januar begann ein Zahlenkrieg um Arbeitsplätze, obwohl sich alle Parteien zuvor auch dazu auf eine gemeinsame Darstellung im Abstimmungsbüchlein geeinigt hatten: Demnach wären 144 Stellen betroffen. Doch dann überboten sich Bern und Delsberg in Medienmitteilungen mit neuen Angaben zu den Vollzeitstellen in der Verwaltung, die in Moutier verloren beziehungsweise neu geschaffen würden – bis das Bundesamt für Justiz klärend eingriff . Es folgte ein Streit um die Zukunft des Regionalspitals Moutier, das nur 15 Kilometer vom jurassischen Kantonsspital entfernt ist. Würde es wegen des Kostendrucks womöglich redimensioniert oder privatisiert – oder gar ausgebaut?  Das «Hôpital du Jura bernois» sah sich jedenfalls letzte Woche genötigt, sich in einer öffentlichen Stellungnahme gegen die Instrumentalisierung zu wehren und rechtliche Schritte anzudrohen. 

Für beide Seiten geht es um viel in diesem inzwischen 200 Jahre andauernden Kampf um Kantonsgrenzen. Sollte die Ortschaft Moutier, welche bisher nur auf wenigen Kilometern an den Kanton Jura grenzt, eine Fast-Enklave im Kanton Bern werden, würden sich rund 15 Prozent der bernjurassischen Bevölkerung sowie grosse Industriebetriebe wie Tornos künftig nach Delsberg orientieren – bezüglich Verwaltung, Steuern und Ausbildung. Der Quotensitz der Bernjurassier in der Berner Kantonsregierung stünde ebenso auf dem Prüfstand wie das Wahlprivileg der von den Grünliberalen ohnehin kritisierten zwölfköpfigen bernjurassischen Deputation im Grossen Rat. Auch die Stadt Biel/Bienne, die sich als Brückenbauerin zwischen Deutsch- und Westschweiz sieht, würde eine Schwächung der Frankophonen im Kanton bedauern. Stadtpräsident Erich Fehr äussert sich allerdings nicht offiziell, aus Respekt vor der starken Kolonie ausgewanderter Jurassier, die in den letzten Jahrzehnten auf Stellensuche ins Seeland gezogen sind. 

16 Beamte sollen Abstimmungsmanipulationen verhindern

Damit es nicht zu erneuten Schummeleien kommt, wird seit Anfang 2020 das Wahlregister vom Bund genau kontrolliert – mit einem besonderen Augenmerk auf Personen, die mit über 30 Jahren ihren Wohnsitz noch immer zuhause bei den Eltern haben. Ausserdem sind in diesen Tagen 16 Mitarbeitende des Bundesamtes für Justiz im Einsatz. Sie haben die Urnen plombiert, Wasserzeichen auf die Abstimmungsunterlagen drucken lassen und übergeben die Dokumente in Zweierteams persönlich an 200 Menschen in Institutionen. Von jedem Besuch erstellen sie ein Protokoll. Dieser riesige  Aufwand soll dazu beitragen, dass das Resultat unanfechtbar ist und möglichst von allen Parteien akzeptiert wird. 

Gerade weil das Thema stark bewegt, hat sich das probernische Komitee für eine apolitische, fröhliche und positive Kampagne entschieden – mit jüngeren, frischen Köpfen anstelle der SVP-Herren, die 2017 mit  polarisierenden Symbolen wie dem Berner Bären auftraten und eher kontraproduktiv wirkten. Auch die Projurassier arbeiten mit lockeren Slogans («Wir werden immer das schönere Schwimmbad haben») und satirischen Videos.

Ein Lächeln, das provoziert

Doch die alten Emotionen sind dennoch präsent, wie die mutwillige Beschädigung des harmlosen Smiley-Plakats nach wenigen Tagen zeigt. Die Berntreuen nutzten die Steilvorlage für eine Medienkonferenz, zu welcher ein Dutzend Medienschaffende aus der ganzen Romandie erschienen sind. Als Reaktion auf den Vandalenakt haben sie – ganz nach ihrem Motto «plus grand, plus haut, plus fort» – ein noch grösseres Plakat im Format von acht mal acht Metern an die Felswand gehängt. Es zeigt wiederum einen Smiley. Ein Lächeln, das in der aufgeheizten Stimmung offenbar von manchen bereits als Provokation aufgefasst wird. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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4 Meinungen

  • am 16.03.2021 um 14:52 Uhr
    Permalink

    Ein ziemlich einseitiger, offen parteiischer Bericht, mit welchem sich die Autorin Cathérine Duttweiler klar als Sympathisantin der probernischen Seite zu erkennen gibt. Sie scheut sich auch nicht, mit nachweislich faktenwidrigen Behauptungen zu operieren. So ist ihre Bemerkung betreffend der angeblichen «jurassischen Enklave Moutier mitten im Kanton Bern» ein Fake: Mit einem kurzen Blick auf die Schweizerische Landeskarte 1 : 25’000 hätte sie erkennen können, dass das Territorium der (künftig wahrscheinlich jurassischen) Gemeinde Moutier auf der Krete der Montagne de Moutier mit demjenigen des heutigen Kantons Jura (Gemeinde Châtillon JU) zusammenhängt und so von einer richtigen Enklave, geschweige denn «mitten im Kanton Bern gelegen», nicht die Rede sein kann. Vermutlich wäre es allerdings angezeigt, Moutier mit seiner Randlage nach dem allfälligen Übertritt zum Kanton Jura künftig mittels Ausbau der bestehenden Strasse nach Montagne de Moutier, ergänzt durch einen Scheiteltunnel alternativ mit dem Becken von Delémont zu verbinden.

    • Portrait_CatherineDuttweiler
      am 16.03.2021 um 16:55 Uhr
      Permalink

      Vielen Dank, Herr Knupfer, für Ihre Rückmeldung. Die verwinkelte Gemeindegrenze von Moutier deckt sich tatsächlich auf einer Länge von etwa vier Kilometern mit derjenigen der jurassischen Gemeinden Châtillon und Haut-Sonne. Ich werde den Text gerne entsprechend anpassen. Ob im Falle eines Kantonswechsels tatsächlich der Waldweg über die Montagne de Moutier ausgebaut würde – die einzige direkte Verbindung zwischen der Gemeinde Moutier und dem jurassischen Kantonsgebiet -, wie Sie und viele Separatisten dies fordern, könnte dannzumal der Kanton Jura entscheiden. Moutier und Delémont haben allerdings bisher bereits über die A6 eine gute und schnelle Verbindung via Roches (BE) sowie Choindez und Courrendlin (JU).

  • am 17.03.2021 um 05:46 Uhr
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    Die Gründung des Kantons Jura war ein Sieg von gewaltaffinen Jurassiern, unterstützt von katholischen Politiker*innen, insbesondere Bundesrat Kurt Furgler. Dass dieser arme Kleinkanton als Vollkanton zwei Ständeräte stellt, die beiden Basel aber je nur einen, war und ist ein demokratipolitischer Affront!

  • am 17.03.2021 um 12:01 Uhr
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    Bitte Herr Schneider,
    Sie können den Jurassiern doch nicht vorwerfen, dass die Basler – die nicht Sprache und Kultur, sondern nur eine Religion trennt (und wohl oft der Steuersatz) – so verbohrt sind. dass sie sich nicht wieder zu einem Kanton vereinigen können.
    Ausserdem, ich geh› mal davon aus, Sie kennen das politische System der Schweiz, in der haben alle Kantone zwei Ständeräte.
    Dass der Kanton arm ist, obwohl er zur Zeit seiner Gründung einer der (relativ) industriestärksten der Schweiz war oder ob daran die 150 Jahre zählende Ausbeutung und Vernachlässigung durch den Kanton schuld ist, was ist der Grund? Und wieso wird bei den deutsch-schweizer Kantonen kein Reichtum-Zensus eingeführt…?
    Der hier hier schreibt ist weder katholisch noch fischli-reaktionär, er ist deutscher Muttersprache. Er hat französisch vor 50 Jahren im Jura gelernt, da er erschüttert war über den Hochmut und die Herablassung mit der sein bernischer Arbeitgeber die angestellten Jurassier behandelte. Der Mann sprach sicher nicht mehr als 50 Worte französisch. Die meisten waren Schimpfworte.
    Seitdem ist der Schreiber mit Herzen Jurassier – auch wenn die katholische Prägung (das kennen Sie vielleicht auch) zu walisischen Verhältnissen in Politik und Verwaltung drängt.
    Mit tief empfundenem Mitleid.

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