Kommentar
kontertext: Ein mutiges Nein zum Verhüllungszwang
Stellen Sie sich vor, Sie spielen Volleyball, und niemand sieht Ihre Oberschenkel! Genau das hätte den zwei deutschen Beachvolleyballerinnen Karla Borger und Julia Sude geblüht, wenn sie sich nicht geweigert hätten, am Turnier vom 8. bis 12. März in Qatar teilzunehmen. Laut FAZ verlangten die Behörden dieses «Wüstenstaats» nämlich, dass «Spielerinnen in Shirts und knielangen Hosen starten sollen statt wie sonst üblich im Sport-Bikini.» Und das ausgerechnet am internationalen Frauentag!
Werden Männer im Beachvolleyball diskriminiert?
Doch die beiden Frauen zeigen der Welt jetzt, dass sie die westlichen Werte verteidigen und auch bereit sind, einen Preis dafür zu bezahlen: «Wir wollen das nicht mittragen», sollen sie gesagt haben. Das Anmeldeformular zum Turnier hätten sie deshalb mit einem couragierten «Nein» quittiert. Auch die Bundestrainerin Helke Claasen habe nun entschieden, dass sie ihre Reise nicht antrete, «weil sie sich als Frau dort nicht respektiert fühlt», wie es in der FAZ heisst. Das ist verständlich, schliesslich ist der Bikini die «Arbeitskleidung» der Sportlerinnen, in der sie sich wohlfühlen, wie Kolleginnen von Borger und Sude schon früher betonten: «Es macht einfach Sinn. Gerade bei warmem Wetter sind Bikinis absolut von Vorteil.»
Wenn das stimmt, dann ist Beachvolleyballer*in einer der wenigen Berufe, in der Männer ganz hemmungslos und offensichtlich diskriminiert werden: Laut der Kleiderordnung des Volleyball-Weltverbandes FIVB müssen Männer nämlich immer in lästigen Shorts und Shirts spielen, eine knappe Badehose im Stil der 70er Jahre zum Beispiel wäre nicht erlaubt.
Beunruhigender Trend
Ob sich die Männer je gegen diese ungerechte Verhüllungspflicht zur Wehr setzen werden, ist fraglich. Der Trend läuft eher in die Gegenrichtung. 2012 änderte der FIVB die Kleiderordnung für Frauen. War bis dahin ein sinnvoller Badeanzug oder ein Bikini mit maximaler Seitennahtlänge von 7 Zentimetern Vorschrift, ist es nun für Frauen möglich, ihre Körper mit unsinnigem Stoff zu verhüllen: Erlaubt sind Shirts – sogar mit langen Ärmeln!– und Shorts, die maximal drei Zentimeter über den Knien enden.
Zum Glück hat sich diese Unsitte bisher nicht durchgesetzt. Die Volleyballerinnen lieben ihren Bikini, und das ist gut so. Schliesslich lebt Beachvolleyball wie jede andere Sportart vor allem von der Publikumszufriedenheit. Und die steht und fällt in unseren Längengraden eben mit dem Bikini. Mit Erotik hat das freilich nichts zu tun. Oder finden Sie es etwa erotisch, wenn Sie bei jedem Sprung Ihrer Favoritin zittern, dass ihr das schmale Höschen verrutschen könnte? Eben!
Wenig Stoff mit viel Potential
Es geht einfach darum, dass Frauen selbst entscheiden können, was sie anziehen möchten, auch bei der Arbeit. Und gerade die deutschen Volleyballerinnen möchten gern so wenig wie möglich anziehen. Das haben sie schon bei den Olympischen Spielen in England 2012 bewiesen, als sie trotz typisch britischer Wetterverhältnisse nicht auf die Vorteile ihrer Arbeitskleidung verzichteten.
Die medienwirksame Nacktheit beim Beachvolleyball wurde lange damit erklärt, dass der Sport eben aus Brasilien komme, wo der Frauenkörper überhaupt nur im Zusammenhang mit dem Bikini gedacht werden könne. Es handelte sich demzufolge also um eine Geste transkultureller Verständigung und des Respekts, durch die eine traditionelle Tracht aus dem globalen Süden zur internationalen Norm erhoben wurde. Dank Borger, Sude und Claasen erkennen wir nun aber, dass der Bikini auch noch feministisches Potential hat. Nicht nur Rio wird damit zitiert, sondern ebenso die BH-Verbrennungen von 68! Deshalb feiert die FAZ die Verteidigung des Bikinis auch als mutigen Widerstand gegen ein frauenfeindliches Regime.
Was wirklich auf dem Spiel steht
Für die Volleyballerinnern steht dabei einiges auf dem Spiel: In Qatar geht es um nichts weniger als um die Olympiaqualifikation. Ist es das wirklich wert? Für Borger geht es um eine grundsätzliche Frage, die jede Spielerin für sich selber beantworten müsse: «Was machst Du, um Deinen Traum zu erfüllen?»
Und was ist genau der Preis, den sie und Sude für ihre mutige Aktion bezahlen? Eigentlich gibt es keinen Preis: Die beiden rangieren derzeit «auf Platz zehn und haben die Qualifikation so gut wie sicher», wie die FAZ weiss. Ob diese Aktion dereinst in die Geschichte der internationalen Frauenrechtsbewegung eingehen wird?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Martina Süess ist Literaturwissenschaftlerin. Sie arbeitet als Autorin, Journalistin und Dozentin.
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder. Die Redaktion betreuen wechselnd Mitglieder der Gruppe.
Es war nicht «der Mut des Stimmvolkes», sondern schlicht die Vernunft und die Zugrunde liegende Kultur.
Es ist und bleibt falsch, fordern zu wollen «Es geht einfach darum, dass Frauen selbst entscheiden können.»
Wenn man in ein anderes Land geht, muss Frau und Mann sich den dortigen Gegebenheiten anpassen, und das ist recht so. Umgekehrt haben sich die Frauen aus den arabischen Ländern unserer Kultur anzupassen – wir haben nicht einfach zu dulden, und das ist die Ansage des Volkes.
Und logischerweise passen sich auch die Volley-Damen im Bikini den arabischen Gepflogenheiten, sprich Kultur, an. Und sonst bleiben sie daheim.
Es ist keine Frauenfrage, sondern eine kulturelle Frage. Und das wollen einige Frauen nun nicht verstehen, und sie verdrehen alles. Wir sind einfach nicht mit Schleier aufgewachsen.
Nehmen wir an, die Buschfrau zieht in die Schweiz um. In ihrem Land ist es absolut normal, oben ohne herumzulaufen. Was wäre, wenn sie bei uns oben ohne in irgendein Einkaufscenter gehen würde? Zuerst würden wohl vorwiegend gerade die Frauen den Kopf schütteln. Man ist sich des nackten Busens in der Schweiz, aber auch in Europa, auf der Strasse eben nicht gewohnt – unsere Kultur lässt das nicht zu.
Oder nehmen wir an, der Inselbewohner kommt in der Schweiz und läuft ganz nackt herum. Er würde spätestens am Flughafen wegen öffentlichem Ärgernis verhaftet werden. Weil eben unsere Kultur das nicht zulässt, bis auf die Nacktwanderung im Appenzell, falls das noch zulässig ist.
So wird’s wohl sein: «schlicht die Vernunft und die zugrundeliegende Kultur» – das hat uns die Initiative gegen den Schleier ergreifen lassen.
Warum auch nur, werden keine Volksinitiativen gegen unzählige andere Kleidungsstücke ergriffen, die ebenso wenig unserer «Kultur» entsprechen? Oder meinen Sie, dass z.B. zerrissene Jeans unserer «Vernunft und Kultur» entsprechen?
Könnte es doch sein, wenn wir die Vernunft walten lassen, feststellen müssen, uns nicht gegen das Kleidungsstück, sondern vielmehr gegen die Träger (also bestimmte Menschen) gewendet haben?
Wieso kommen Sie nicht – in Ihrer Vernunft und mit Blick auf unsere zugrundeliegende Kultur – auf die Idee, unseren Töchtern und Söhnen unter Strafe/Busse das Tragen von zerrissenen Jeans zu verbieten? Wo bleibt da Ihre (Volks-)Initiative?
Sehr geehrte Frau Süess, da möchte ich gerne eine Frage stellen, da mir folgende Aussage in einer Zeitung einer Profi-Volleyballerin aus dem Baselbiet vor einiger Zeit in den Sinn kommt, als ich ihre Abhandlung gelesen habe:
«Wir Volleyballerinnen ahnen , dass ein Grossteil der Zuschauer unsere Künste wahrscheinlich nur anschauen, da wir uns so weiblich zur Schau stellen».
Was meinen Sie zu einer solchen Aussage? Provozieren solche Sportlerinnen gerne, um ihren Arbeitgeber resp. ihrem Metier zu nützen? Damit ich richtig verstanden werde, wenn sie mich nun prüde hinzustellen, wären sie auf dem Holzweg.
Die Kleidung im Sport ist nicht nur eine Frage der gerade aktuellen Kultur eines Landes, sondern auch des aktuellen Zeitgeistes, der aktuellen Mode, der gerade aktiven Religion und dem Prestigedenken einer oberen Klassengesellschaft. Als junger Mann musste ich auch im Hochsommer in langen weissen Hosen und einem weissen Pullover Tennis spielen, weil das «Sitte» war. Ein leichteres oder gar farbiges Tenü war absolut undenkbar. Im Turnunterricht in der Schule mussten die Mädchen «Pumphosen» tragen, um ihre Weiblichkeit zu kaschieren. Als ich Segeln und Regattieren gelernt hatte, durfte man nur mit grauen Flanellhosen, weissen Socken, Turnschuhen, weissem Hemd, dunkelblauem Blazer und schräg gestreifter Klubkrawatte in ein Boot steigen, weil das «Sitte» war. Golf wurde ausschliesslich in «Knickerbockers» und mit Schirmmütze gespielt, weil das «Sitte» war. Frauen liefen Schlittschuh, spielten Tennis oder gingen Baden in langen Kleidern. Bei den ersten olympischen Spielen der Antike – zirka 700 Jahre vor unserer Zeitrechnung – traten die Wettkämpfer bei allen Disziplinen völlig nackt an. Und nicht nur sie, sondern auch ihre Trainer und Betreuer. Zu den Wettkämpfen waren keine Zuschauerinnen erlaubt. Für mich ist deshalb die moderne Sportbewegung in erster Linie eine Befreiung. Eine Befreiung von allen verkrusteten, veralteten, diskriminierenden Einschränkungen. Wer dazu nicht JA sagen kann, der lebt um einige Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte zurück versetzt.
Die Initianten haben ja auch immer betont, dass sie nichts gegen ausländische Touristen haben. Elegant wäre nun, einen Passus in die Ausführungs-Bestimmungen zu setzen, der Ausländern ohne festen CH-Wohnsitz (vulgo Touristen) vom Verbot ausnimmt. Alles andere wäre doch arrogante Rechthaberei, die sich in fremde Sitten und Gebräuche einmischt. Zudem ist doch alles halb so wild. Schlimm ist einzig und allein die Burka-Pflicht in den Heimatländer dieser Frauen. Ich wage auch vorauszusagen, dass kein Schweizer Polizist oder Richter sich je mit einer reichen Sippe von Saudis etc. anlegen wird, falls doch irgend einmal eine Burka durch die Strassen schlendern sollte.