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Die Vollverschleierung ist nicht einfach ein freier Entscheid. Die religiöse Ideologie dahinter ist totalitärer Natur, sagt Elham Manea. © zibik / Pixabay

Verhüllungsverbot: Der Kontext ist wichtig – gerade beim Nikab

Elham Manea /  Das Löschen des Körpers der Frau basiert auf einer extremistischen Ideologie und funktioniert innerhalb eines sozialen Kontexts.

Red. Am 7. März stimmt die Schweiz über die «Burka-Initiative» ab. Infosperber publiziert je einen Kommentar für ein Ja und für ein Nein zur Initiative. Die Position für ein Ja vertritt Gastautorin Elham Manea, Politikwissenschafterin und Privatdozentin an der Universität Zürich. Sie stellt die Verhüllung der Frau in den Kontext der Ideologie, die dahinter steht. Dieser Beitrag ist ebenfalls auf der Website DeFacto publiziert. Der Beitrag für ein Nein erscheint in zwei Tagen.

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Elham Manea

Den Nikab aus seinem religiösen, sozialen und politischen Kontext herauszulösen und sein Tragen als einfache «Wahlfrage» zu betrachten, negiert Komplexität und zahlreiche Nuancen dieser Angelegenheit. Doch der grössere Kontext ist auch für die Schweiz relevant. Den Kontext zu ignorieren, wird ihn nicht zum Verschwinden bringen.

Am 7. März 2021 wird das Schweizer Stimmvolk über die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» abstimmen. Im Vorfeld der Abstimmung hat Andreas Tunger-Zanetti zusammen mit Mitautorinnen ein Buch mit dem Titel Verhüllung: Die Burka-Debatte in der Schweiz veröffentlicht, das Argumente gegen das Verbot liefert.

Das Profil westeuropäischer Nikab-Trägerinnen

Das Buch, basierend auf den Ergebnissen anderer Studien, die in verschiedenen Ländern durchgeführt wurden, erstellt ein Profil der Frauen in unserer Umgebung, die einen Nikab tragen. Die überwiegende Mehrheit von ihnen ist in dem westeuropäischen Land, in dem sie heute auch leben, geboren oder zumindest als Kind dort sozialisiert worden (häufig in Grossbritannien, Frankreich, Belgien oder den Niederlanden). Die Nikab-Trägerinnen sind zwischen 18 und 35 Jahre alt; fast die Hälfte von ihnen entdeckte die Religion erst im Jugendalter, entweder weil sie vom Christentum zum Islam konvertierten oder weil sie zwar in einer muslimischen, aber säkular orientierten Herkunftsfamilie aufwuchsen. Viele europäische Nikab-Trägerinnen verfügen über eine gute Ausbildung, einige gehen auch einer Erwerbsarbeit nach. In Grossbritannien ist der Anteil derjenigen mit höherer Bildung und Beschäftigung deutlich höher als auf dem europäischen Festland. Gemeinsam ist ihnen, dass sie den Nikab aus freien Stücken tragen, als Akt der Emanzipation.

Diese Befunde meiner Kolleginnen und Kollegen bestreite ich nicht, wenn es um diesen speziellen Typus innerhalb der in Europa anzutreffenen Nikab-Trägerinnen geht. Es handelt sich um Frauen, die zum Islam konvertiert oder «wiedergeborene Musliminnen» sind und die sich entschieden haben, in dieser ganz bestimmten puritanischen Art des Islam zu leben.

Aber genau wie ihre männlichen Partner neigen Nikab-Trägerinnen in Westeuropa oft dazu, zu missionieren. Sie sozialisieren sich innerhalb eines geschlossenen Netzes Gleichgesinnter, das einer Sekte ähnelt. Sie verwenden die Bezeichnungen «Schwestern» und «Brüder» für Personen, die ihre Religionszugehörigkeit teilen. Wenn sie dieser Sekte beitreten, sagt man ihnen, dass «der Islam das vorherige Leben auslöscht» (الإسلام يجَّبُ ما قبله). Mit anderen Worten: Sobald man sich für den Beitritt entscheidet, ist man ein neuer Mensch.

Die Missionarinnen eines puritanischen Islams

Was in Tunger-Zanettis Studie und in anderen der von ihm zitierten Studien auffällt, ist das Fehlen der ideologischen, politischen und sozialen Kontexte, die das Tragen des Nikabs in europäischen Ländern umgibt. Es scheint, als wäre der Nikab aus dem Nichts gekommen und diese Frauen hätten sich aus einer blossen Laune heraus dazu entschlossen, ihn zu tragen.

Doch warum sollten sich all diese Frauen aus freien Stücken dazu entscheiden, einen Nikab zu tragen? Vor allem da der Nikab heute als eine Randtradition gilt, die auch innerhalb der muslimischen Länder umstritten ist, als extrem bezeichnet und vom traditionellen Islam abgelehnt wird.  Selbst die höchste religiöse Autorität im sunnitischen Islam, der Scheich von Al Azhar, der nicht gerade für seine emanzipatorischen Positionen bekannt ist, erklärte öffentlich in einer Fernsehsendung, dass der Nikab ein «Brauch, und kein religiöses Gebot» sei und er das Produkt einer «Einzelmeinung» in der islamischen Rechtsprechung sei[1].

Salafistische Lehren über Frauen

Niemand wird behaupten, dass der Nikab in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf den Strassen Ägyptens oder Tunesiens zu sehen war. Man sah ihn damals weder auf den Strassen von Birmingham oder Leicester in Grossbritannien noch in den französischen Vorstädten und auch nicht in Molenbeek in Belgien. Heute ist das anders. Wo immer in Westeuropa neofundamentalistische Interpretationen des Islam mit ihren Strukturen und Ressourcen auftauchen, folgt bald darauf der Nikab. Dabei handelt es sich um einen kausalen Zusammenhang und nicht bloss um eine zufällige Korrelation.

Angesichts seiner Relevanz werde ich mich hier auf die Salafi-Lehren über Frauen und ihre theologischen Merkmale konzentrieren – und insbesondere auf die ruhigistische Missionsform des Salafismus. Diese basiert auf den religiösen Meinungen von Scheichs, die von ihren Anhängern als heilige Autoritäten angesehen werden.

Agnes De Feo, die in der Studie von Tunger-Zanetti prominent zitiert wird, bestritt nie den Einfluss, den Prediger von Salafi und Tablighi in den französischen Vororten haben. Sie widmete ihnen mehrere Kapitel in ihrem Buch, das sie 2020 veröffentlichte: «Derrière le niqab — 10 ans d’enquête sur les femmes qui ont porté et enlevé le voile intégral.» In einem kürzlich erschienenen Interview erwähnte sie die saudischen Scheichs, die die Nikabi-Frauen in ihrer Studie inspirieren: Ibn Baz, Ibn Uthaymin und al-Albani[2].

Was predigen die Scheichs den und über Frauen? 

Die Antwort findet sich in einem 528-seitigen Buch, das den Titel «The Fatwas (religious edicts) on Women» trägt. Es beschreibt die religiösen Meinungen der Scheichs über Frauen, ihren Körper und wie sie sich verhalten sollten[3]. Die Botschaft ist klar. Da jede Frau sexuell ist (عورة), sollte alles, das dies an ihr sichtbar macht, verborgen bleiben: ihre Stimme, ihr Gesicht, ihre Hände, ihre Handflächen und sogar ihre Füsse, wenn sie betet. Mädchen sollten den Hijab bereits im Alter von sechs Jahren tragen und jedes Mädchen, das einen wohlgeformten Körper hat, der die sexuellen Wünsche von Männern wecken könnte, sollte auch den Nikab tragen. Frauen und Mädchen dürfen auch vor ihren Vätern, Brüdern und Onkeln keine engen Kleider tragen, da Männer nicht von ihren Töchtern, Schwestern oder Nichten sexuell erregt werden sollten.

Die Trennung zwischen den Geschlechtern folgt einer göttlichen Ordnung, die beide Geschlechter vor Versuchungen schützen soll. Für die Frau, und ich zitiere hier, ist der Ehemann ein «Meister». Für ihn ist sie eine «Gefangene» und «sie sollte ihm gehorchen», indem sie den Schleier trägt und anderen Befehlen folgt, «denn wenn sie ihm gehorcht, gehorcht sie Gott». Gemäss dieser strengen Lehre sollten Frauen ihre Familien, einschliesslich ihrer Eltern, verlassen, wenn diese nicht dem «richtigen» islamischen Weg folgen.

Das Prinzip der Loyalität und Ablehnung, al-wala’wa-l-bara und Segregation 

Dieser Rat steht im Zusammenhang mit einem theologischen Merkmal des Salafismus, dem Prinzip der Loyalität und Ablehnung, al-wala’wa-l-bara. Nach diesem Prinzip müssen wahre Musliminnen und Muslime nicht nur alles lieben und festhalten, das Gott befiehlt und billigt. Vielmehr müssen sie auch alles hassen, das Gott missbilligt und verbietet. Dies alles beinhaltet Verhaltensweisen, Bräuche, Traditionen und andere Menschen[4]. Daher müssen wahre Musliminnen und Muslime nach salafistischer Manier gegenüber Polytheisten offen feindlich eingestellt sein und ihren Hass auf sie verkünden. Dies beinhaltet auch jede Art von freundschaftlichem Umgang mit ihnen. Entweder trennen sie sich von Polytheisten oder sie ziehen an einen Ort, an dem der «wahre» Islam praktiziert wird.

Dieses Konzept der Migration nennt man Hijra. Diese Lehren hatten klare Auswirkungen auf Länder mit muslimischer Mehrheit und auf Minderheitengruppen des islamischen Glaubens in westlichen Demokratien. Wenn sich diese Art von Islam in einer Gemeinschaft verbreitet, verwandelt sie sich in ein geschlossenes Ghetto. Dies entwurzelt viele der islamischen Traditionen in diesen Gemeinschaften, beseitigt ihre reiche Vielfalt und ersetzt sie durch eine starre, kompromisslose Lehre. Dadurch spalten sich ganze Familien und Gemeinschaften.

Dies erklärt auch, warum die toleranten Formen des nordafrikanischen Islams in Frankreich und Belgien durch eine radikalisierte Form der Religion ersetzt wurden, die vom Salafismus und anderen Formen des Islamismus geprägt ist. Eine ähnliche Entwicklung fand in Grossbritannien statt, wenn auch mit einer anderen Form der fundamentalistischen Lesart des Islam.

Die Haltung der Scheichs zur Sklaverei 

Doch die Scheichs beschränken ihre Lesart der Religion nicht nur auf Frauen. Sie bieten eine viel umfassendere Vision einer politischen, sozialen und religiösen Ordnung. Der Besitz anderer Menschen — ja, genau, die Sklaverei — ist ein Teil davon. Ibn Baz sagt, dass im Dschihad gegen «Ungläubige» deren Kinder und Frauen sowie alle Gefangenen versklavt, verkauft und geerbt werden können. Und in Ländern, in denen Sklaverei noch praktiziert wird, ist es möglich, Sklaven zu kaufen und zu verkaufen[5]. Ibn Uthaymin hat ähnliche Ansichten. Er sagt, dass es im Krieg mit Ungläubigen barmherziger ist, Junge und Frauen als Sklaven zu nehmen, anstatt sie zu töten[6]

Diese Ansichten sind keine theoretischen Meinungen, die aus der Vergangenheit wiederbelebt wurden. Sie werden in der Gegenwart ausgesprochen und artikuliert. Was diese Männer sagen, ist auch in unseren europäischen Gesellschaften relevant. Ihre Bücher und Fatwas werden in vom Golf finanzierten Madrasas und Moscheen unterrichtet und beworben. Auch der IS handelte nicht von sich aus, als sie beschlossen, Frauen und Kinder als Sklaven zu nehmen. Diese Handlungen wurden durch eine fundamentalistische Interpretation des Islam, die von einer politischen Ideologie geprägt ist, legitimiert und in den islamischen Mainstream aufgenommen.

Wenn nun einige junge Frauen aus Westeuropa beschliessen, diese fundamentalistische religiöse Interpretation anzunehmen, ist dies ihre Wahl. Die visuelle Manifestation dieser frauenfeindlichen, sklavenfreundlichen, rechtsextremen religiösen Ideologie — der Nikab — sollte jedoch weder als harmlose Wahl eines Lebensstils akzeptiert noch als islamischer Mainstream angesehen werden.

Das Argument der «Wahlfreihei» erinnert mich an ein ähnliches Argument, das während des Kampfes gegen die Sklaverei in den Vereinigten Staaten verwendet wurde, als manche argumentierten, dass etliche Sklaven gerne versklavt bleiben würden. Das macht die Sklaverei aber nicht akzeptabler.

Der Nikab — bloss ein auffälliger Lifestyle, quasi Punk?

Dieses Argument konzentriert sich auf die tatsächliche Anzahl der Nikab-Trägerinnen in der Schweiz. Ihre Zahl wird auf wenige Dutzend geschätzt. Haben wir also kein Problem, weil es nur ein paar Frauen betrifft? Und was wäre, wenn es 3’000 Nikab-Trägerinnen wären, sollten wir uns dann Sorgen machen?

Wenn es sich um eine Grundsatzfrage handelt, sollte die Anzahl keinen Unterschied machen. Dennoch macht es einen, denn die Situation kann sich in den nächsten zwanzig Jahren ändern. Ich habe gesehen, wie dramatisch schnell sich etwas in den MENA-, europäischen und afrikanischen Ländern verändern kann. Vor dreissig Jahren wäre es auch noch schwierig gewesen, eine Nikab-Trägerin in Frankreich, Grossbritannien, Tunesien oder Südafrika zu finden.

Natürlich lässt sich sagen, dass die Frauen, die einen Nikab tragen, ihre religiöse Identität konstruieren und auf eine auffällige Art zeigen wollen; doch die sehr religiöse Ideologie, die sie dazu inspiriert, vollverschleiert zu sein, sollte nicht ignoriert werden. Schliesslich gilt diese strenge Kleiderordnung, die in muslimischen Ländern nur dort obligatorisch ist, wo die religiöse Ideologie die Kontrolle hat, überall als extrem – und ist auch in den Ländern mit muslimischer Mehrheit stark umkämpft.

Es spielt darum keine Rolle, wenn man sagt, dass die Frauen bei uns den Nikab doch aus freiem Willen tragen, denn das bedeutet nicht, dass alle Nikab-Trägerinnen in Europa dies aus denselben Gründen tun. Es gibt auch zahlreiche Berichte von ehemaligen Nikab-Trägerinnen aus europäischen Ländern wie Frankreich, Belgien, Schweden oder Grossbritannien[7], die über ihre Erfahrungen und den Druck (einschliesslich körperlicher Gewalt), den sie erduldeten, berichten[8]. Dieser Kontext wird in der ganzen Diskussion in der Schweiz ignoriert. Beispielsweise liest man nichts über die geschlossenen Gemeinschaften in französischen Banlieus, die zu fruchtbaren Rekrutierungsgebieten für islamistische Gruppen in Europa geworden sind. 

Warum man in Europa den sozialen Kontakt nicht vernachlässigen darf

Wiedergeborene Musliminnen und Konvertiten finden es möglicherweise «emanzipierend», den Nikab zu tragen. Aber was ist mit all den Frauen und Mädchen, die versuchen, sich der Kleiderordnung und der sozialen Kontrolle der Islamisten zu widersetzen?

Mädchen und Frauen werden auch vielerorts in Europa von ihrer Familie oder ihrem Umfeld unter Druck gesetzt, den Schleier zu tragen, die Schule früh zu verlassen und zu heiraten. Diejenigen, die sich dieser auferlegten Gesellschaftsordnung widersetzen, werden schikaniert und haben mit schwerwiegenden Konsequenzen zu rechnen.

In der Schweiz gibt es bisher noch keine derart grosse, getrennte geschlossene islamische Gemeinschaften wie in Frankreich, Belgien oder Grossbritannien. Aber es gibt entsprechende Tendenzen in einigen Städten, in denen bestimmte Gruppen sehr stark vertreten und aktiv sind, wie zum Beispiel in Kleinbasel, in Schlieren im Kanton Zürich oder in Kreuzlingen im Kanton Thurgau.

Entwicklungen in der Schweiz

Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Erfahrungen junger muslimischer Frauen in der Schweiz wurden bisher noch nicht untersucht. Die überwiegende Mehrheit der europäischen Muslime sieht keinen Widerspruch zwischen ihrem Glauben und den demokratischen und freien Strukturen, dies ist wohl auch in der Schweiz der Fall. Eine sehr kleine Minderheit mag den Salafi-Islam gutheissen – aber es bleibt ein Randphänomen. Dennoch ist auch die Schweiz nicht immun gegen Salafismus, auch wenn er sich erst im Entstehen befindet. 

Ich schlage darum vor, die Wechselwirkung zwischen den Zentren des Salafi-Einflusses in der Schweiz und den Nachbarländern über die Grenzen der Kantone wie Basel und Genf hinweg genau zu beobachten. Es ist auch wichtig zu berücksichtigen, wie die Ausbreitung des arabisierten Salafismus in Ländern wie Albanien und dem Kosovo von einigen Gruppen von Schweizer Musliminnen und Musilimen aus diesen Ländern wiederholt und widergespiegelt wird. Und wichtig zu beachten bleibt, dass ich meine Beobachtungen hier auf die Salafi-Form beschränke. Ich spreche nicht von Formen des Islamismus wie der Muslimbruderschaft und Milli Gürus.

Und nein, ich glaube nicht, dass das Verbot des Tragens des Nikabs Lösungen für andere Probleme in der Schweiz bietet. Aber ich denke, es sollte inzwischen ziemlich klar sein, dass es sich beim Salafismus um eine rechtsextremistische religiöse Ideologie handelt: Es geht dabei im gleichen Atemzug sowohl darum, Sklaven zu verkaufen und zu besitzen, die Geschlechtertrennung zu predigen und Frauen unterzuordnen. Diese Ideologie unterrichtet Menschen darin, ihre Umgebung zu hassen und sich von allen zu trennen, die ihrer Sekte nicht angehören.

Das Ignorieren dieses Kontexts wird auch in der Schweiz nicht dazu führen, dass er verschwindet. Und den Nikab primär auf einen individualistischen Punk-Lebensstil zu reduzieren, wie dies Agnes De Feo kürzlich in einem Interview getan hat, blendet erhebliche Aspekte aus. Das Löschen des Körpers der Frau basiert auf einer extremistischen Ideologie und funktioniert innerhalb eines sozialen Kontexts.

Ich verstehe, dass mein geschätzter Kollege Tunger-Zanetti und andere gleichgesinnte Intellektuelle besorgt sind über die Stigmatisierung der Schweizer Musliminnen und Muslime in ihrer reichen Vielfalt. Ich teile diese Sorge auch. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, kritische Forschungsfragen zu stellen. Vor allem sollte es uns nicht dazu verleiten, den gesamten theologischen und sozialen Kontext zu ignorieren.

Wenn sich einige junge Frauen für diese fundamentalistische religiöse Interpretation entscheiden, ist dies ihre Wahl. Es sollte jedoch klar sein, dass der hier verwendete Begriff «Wahlfreiheit» auf die freien demokratischen Rahmenbedingungen westlicher Gesellschaften zugeschnitten ist. Die religiöse Ideologie, die sie fördert, sieht keine Wahlfreiheit vor, wenn sie an der Macht ist. Sie ist totalitärer Natur.

Anmerkungen und Referenzen:
[1] Al Arabiya TV. 2010. ‘Niqab Is a Custom not a Religious Requirement’, 04 April, Program Journalism Gate (Wajehat Al Sahafa), in Arabic, Al Arabyia TV, 02 April 2010, accessed 05 May 2013, http://www.youtube.com/watch?v=r9uhzGyk9Eg.
[2] Es sollte hier erwähnt werden, dass Scheich Nasiruddin Al Albani, selbst ein syrischer Salafi, der nach Saudi-Arabien zog, die Notwendigkeit des Tragens des Niqab bestritt und von saudischen Salafi-Scheichs vehement angegriffen wurde. Für das Interview siehe Nadia Henni-Moulaï (Januar 2021), Agnès De Féo: « Les femmes portant le niqab en France ne subissent aucune coercition masculine », Middle East Eye, https://www.middleeasteye.net/fr/entretiens/niqab-voile-integral-france-femmes-musulmanes-islam-de-feo.
[3] Mohammed Ibn Uthaymin, Abdul Aziz Ibn Baz, Abdul Rahman Al Saadi, and Abdullah bin Jabrin,  Fatawa Al Nissa, In Arabic, Cairo: Dar Al Fajr, Edition of 2003.
[4] Für mehr Informationen zum Salafismus und dem Prinzip des al-wala’ wa-l-bara, siehe Benham T. Said and Hazim Fouad, eds., Salafismus: Auf der suche nach der wahren Islam (Freiburg: Herder Verlag, 2014), pp. 64–74.
[5] Official website of Sheikh Imam Ibn Baz, Fatwas, In Arabic, On Owning (a person) and its Sharia Regulations, https://binbaz.org.sa
[6] Sheikh Ibn Uthaymin: In response to those who say that enslaving the women and children of the polytheists is a sign of the savagery of Islam, A Sound recording, In Arabic, https://www.youtube.com/watch?v=FsjYqdoTvng
[7] Siehe Manea, Elham (2016): Women and Sharia Law. The Impact of Legal Pluraliism in the UK. Cambridge University. Kapitel 6.
[8] Siehe Henda Ayari&Florence Bouquillat (2016). J’ai choisi d’être libre : [témoignage : rescapée du salafisme en France]. Lieu de publication non identifié: Flammarion; Yasmin Mohammed (2019), Unveiled: How Western Liberals Empower Radical Islam, Canada: Free Hearts Free Minds.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Elham Manea ist Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich, Autorin und Menschenrechtsaktivistin. Sie erlangte 1989 ihren Bachelor in Politikwissenschaft an der Universität in Kuwait und arbeitete anschliessend drei Jahre als Assistentin an der Universität in Sana, Jemen. Durch ein Fulbright Stipendium schloss sie 1995 ihren Master in Vergleichender Politikwissenschaft an der American University in Washington, USA ab. In der Schweiz arbeitete sie als Radio- und Online Journalistin für den arabischen Dienst des Swissinfo/Swiss Radio International. 2001 erlangte sie ihren Doktortitel an der Universität Zürich. 2011 habilitierte sie sich dort mit der Arbeit «The Arab State and Women’s Rights. The Trap of Authoritarian Governance».

Zum Infosperber-Dossier:

Niqab_hassan_uos_ft_51

Pro und Contra Niqab-/Burkaverbot

Sind Niqab und Burka Teil der Religionsfreiheit oder Symbol einer fundamentalistischen Unterdrückung?

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