Somm

So zeichnet die Nebelspalter-Redaktion ihren neuen Chef. © Nebelspalter

Die Wetteraussichten für Markus Somms neuen Hut

Rainer Stadler /  Demnächst startet der «Nebelspalter» eine Online-Ausgabe mit recherchierten Beiträgen. Hat Initiant Markus Somm damit eine Chance?

Schön, wenn man über den neuen Chef spötteln und damit seinem Dossier treu bleiben kann. Die «Nebelspalter»-Redaktion hiess Markus Somm willkommen mit einem mutierten Gedicht von Goethe:

«Ich brauch dich, es reizt mich dein Renommee;

Auch wenn von Satir’ ich rein gar nichts versteh.»

«Verleger, Verleger, komm schenk mir Gehör!

Das endet nicht glücklich, ich schwör!»

In der Tat ist es für hiesige Verhältnisse ungewohnt, im selben Medium Satire mit Journalismus zu verknüpfen. In Frankreich sind der «Canard enchaîné» und in Grossbritannnien das «Private Eye» mit dieser Mischung erfolgreich unterwegs. Aber funktioniert das in der Deutschschweiz der Trockenkekse? Hier geniesst der Humor nur in einschlägig deklarierten Medien-Rubriken ein Asyl.

70 Geldgeber – unter ihnen der ehemalige NZZ-Präsident und wortreiche, gestrauchelte Ex-Bankier Konrad Hummler – glauben an das Projekt, das Somm nun realisieren soll. Sie investierten 7 Millionen Franken in die vor zwei Monaten gegründete Klarsicht AG. Der Zweck dieser Firma ist es, so steht es im Handelsregister, publizistische Gefässe herauszugeben, die «der freiheitlich-demokratischen Grundordnung schweizerischer Prägung sowie dem offenen Diskurs verpflichtet sind».

Wie man es besser machen könnte

Was da vage klingt, wird Somm handfester machen. Der meinungsstarke Mann, der zuvor die «Basler Zeitung» nach rechts gerückt und damit einen Teil der Öffentlichkeit erheblich erschreckt hatte, wird auch beim «Nebelspalter» einen rechtsliberalen Kurs verfolgen. Das Politische steht für ihn im Mittelpunkt. Insbesondere sind es diese Themen: das Verhältnis der Schweiz zur EU, die Rolle von Staat und Verwaltung, die Bildungspolitik und nicht zuletzt die Klimapolitik. Somm spricht in einem telefonischen Gespräch auch von einem konstruktiven Ansatz. Es gehe nicht nur darum zu kritisieren, sondern auch Vorschläge zu machen, wie man es in der Schweiz besser machen könnte.

Mitte März will Somm die Online-Ausgabe des «Nebelspalters» starten. Bis zu zehn Journalisten werden für das neue Medienprodukt im Einsatz sein und pro Tag drei bis fünf Beiträge realisieren. Zu Beginn dürften es eher drei sein, und das jeweils an fünf bis sechs Tagen pro Woche, sagt Somm. Trotz dem schnell näher rückenden Termin lässt er sich noch Spielraum und will jetzt nicht mit der Trompete grosse Ankündigungen machen, wohl wissend, dass es schädlich ist, einen hohen Erwartungsdruck zu erzeugen. Somm spricht von einem «Work in progress». Doch eine Marketingagentur ist damit beauftragt worden, den Stapellauf kommunikativ sichtbar zu machen.

Keine Gesinnungsprüfung

Zwei Drittel des journalistischen Personals sind bereits unter Vertrag. Darunter sind laut Somm erfahrene Berufsleute wie auch junge Einsteiger. Er habe diese nicht auf Grund einer Gesinnungsprüfung ausgewählt, sagt er. Vielmehr achtete er auf die Persönlichkeit der Kandidaten und deren Fähigkeit, eigenständig zu denken.

Meinungsjournalismus reicht nach Ansicht von Somm aber nicht, um ein treues Publikum zu gewinnen. Vielmehr will er den Schwerpunkt auf Recherchen und Analysen legen, die nicht nur in der Online-Ausgabe, sondern auch im gedruckten, zehnmal jährlich erscheinenden Heft einen Platz erhalten. Episch lange Geschichten, wie sie die «Republik» und neuerdings auch die Tagespresse pflegen, sind nicht vorgesehen, sondern vielmehr Beiträge, die dem knappen Zeitbudget des heutigen Konsumenten entsprechen.

Heikle Werbung

Lässt sich damit genügend Geld verdienen? Somm will im vierten Betriebsjahr schwarze Zahlen schreiben – das entspricht der üblichen Frist, welche man neuen Projekten setzt. Als Einnahmequellen nennt Somm Abonnements, Einzelverkäufe und Werbung. In Betracht zieht er auch sogenanntes Native Advertising, also eine kommerzielle Kommunikationsform, welche die Stilmittel des Journalismus einsetzt und oft gestalterisch dem redaktionellen Angebot gleicht – man wird sehen, ob der digitale «Nebelspalter» diese Werbeform deutlich kennzeichnen wird. Die diesbezüglichen Branchensitten sind bisher allzu large.

Mit der Übernahme des «Nebelspalters» beginnt Somm nicht auf der grünen Wiese. Vielmehr kann er bereits mit einer bestehenden Kundschaft rechnen. Im vergangenen Jahr wies der Verlag eine verkaufte Auflage von 18’000 Exemplaren aus. Dabei liegt das Blatt in rund 4000 Wartezimmern von Ärzten und Zahnärzten auf. Die Leserschaft umfasst 165’000 Personen. Gemäss den Verlagsangaben von 2019 ist das Publikum – wie bei den meisten politischen Presseerzeugnissen – eher alt und männlich. 66 Prozent haben den 50. Geburtstag hinter sich. Und 65 Prozent zählen zu den Männern.

Somm will auch die Jüngeren ansprechen. Da diese ein distanziertes Verhältnis zu Textinformationen haben, wird der künftige «Nebelspalter» Audio- und Videoformate realisieren, was wiederum weitere Werbemöglichkeiten schafft, etwa in Form von Sponsoring.

Eine kleine Modellrechnung

Werbung im Mediensektor ist indessen ein wackliges Geschäft. Die meisten Medienanbieter leiden unter Entzugserscheinungen. Werfen wir also einen Blick auf das Potenzial bei den Abonnements. Die «Republik» verzeichnete zwei Jahre nach dem Start und nach erheblichen Marketingaktionen etwa 17’000 Abonnenten, dies bei einem Jahrespreis von 240 Franken und einem täglichen Angebot von drei bis vier Beiträgen. Das jetzige Jahresabo des «Nebelspalters» kostet 98 Fr. Damit ist eine gewisse Preishöhe schon gesetzt. Dazu eine kleine Modellrechnung: Nehmen wir an, die Jahreskosten des Online-Betriebs betragen 2,5 Millionen Franken, dies bei einer Entlöhnung von 10 Journalisten plus den Aufwand für Technik, Marketing und Verlag. Bei einem Jahresabo von 100 Fr. und Werbeeinnahmen von 500’000 Franken wären dann für die Finanzierung 20’000 Abonnenten nötig. Das ist nur eine grobe Schätzung.

Ist eine solche Kundenzahl erreichbar? Das scheint nicht ausgeschlossen. Medienkonsumenten, denen die tagesaktuellen Angebote der grossen Verlage zu ausführlich, zu beliebig oder zu breit sind, könnten Gefallen finden an einer knappen Auswahl zu den wichtigsten Themen der Schweizer Politik – wenn der Preis eher tief ist. Ein grosses Sorgenthema von Somm – das geplante Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU – scheint derzeit allerdings an Virulenz zu verlieren. Die Front der Kritiker wird zunehmend breiter. Doch so oder so bleibt die aussenpolitische Positionierung der Schweiz noch lange ein Kernkonflikt. Der publizistische Stoff wird den Bindungsskeptikern nicht ausgehen.

Kein Nullsummenspiel um Abonnenten

Die Frage ist allerdings, wie man diesen Stoff bearbeitet. Der Grossteil des Publikums hat wenig Interesse an ideologischen Grabenkämpfen. Wenn eine rechtsliberal ausgerichtete Redaktion mit unverkrampftem und wachem Blick die politischen Grossthemen aufgreift, kann sie durchaus mit einer Nachfrage rechnen. Dies nicht zuletzt angesichts der ziemlich monochromen Themenbearbeitung in den reichweitenstarken Organen. Im Wettbewerb mit weltanschaulich ähnlich ausgerichteten Produkten wie der «NZZ», der «Weltwoche» oder dem «Schweizer Monat» wird es jedoch nicht einfach um ein Nullsummenspiel gehen im Sinne von: Der eine gewinnt, was der andere verliert. Vielmehr müsste es einem neuen Mitspieler wie dem «Nebelspalter» gelingen, bisher nicht erreichte Interessenten zu gewinnen.

Neuankömmlinge bekommen in diesen für Medienhäuser schwierigen Zeiten selten eine gute Überlebensprognose. Als die vom Aargauer Verleger Peter Wanner initiierte Website «Watson» vor sieben Jahren an den Start ging, läuteten ihr die Branchenexperten sogleich die Totenglocke. Doch «Watson» lebt immer noch, hat einen Partner in Deutschland gefunden und wagt nun den Schritt über den Rösti-Graben.

Geld vom Staat?

Brisant wird es, wenn die Politik dem von der Medienbranche sehnlich erwünschten Schnellausbau der Journalismusförderung zustimmt und wenn auch Online-Anbieter öffentliche Gelder beziehen dürfen. Dann gerät Somm mit seinem Projekt in die Zwickmühle. Er wird entscheiden müssen, ob er aus prinzipiellen Gründen auf Staatsgelder verzichten oder ob er ebenfalls zugreifen will, um eine sonst drohende Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden. Man wird sehen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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2 Meinungen

  • am 7.02.2021 um 19:06 Uhr
    Permalink

    «Vielmehr achtete er auf die Persönlichkeit der Kandidaten und deren Fähigkeit, eigenständig zu denken», sagt Markus Somm. Und weiter: «Episch lange Geschichten, wie sie die «Republik» und neuerdings auch die Tagespresse pflegen, sind nicht vorgesehen, sondern vielmehr Beiträge, die dem knappen Zeitbudget des heutigen Konsumenten entsprechen.» Aha, die Artikel sind nicht entsprechend den Inhalten. Mal kurz, mal lang. Sie sind marktgerecht. Damit bedient Herr Somm den Markt, aber eigenständig gedacht ist das nicht. Sondern eben abhängig vom Markt. Und das ist eigenständiges Gift für bessere Streben nach Profit. Um den es den Herren Investoren vor allem geht. Das ist ihre Eigenständigkeit. Alles für mich. Sätze zu deren Rechtfertigung sind Sprachblasen voller Marketinggas. Und s’ist leicht brennbar. Aber darum geht’s. Ums Zündeln am rechten Rand.

    • am 8.02.2021 um 17:04 Uhr
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      Sie haben noch keinen einzigen Artikel in M. Somms neuer Zeitschrift lesen können. Sie urteilen also nicht faktenbasiert, sondern einfach aus dem holen Bauch heraus, lassen sich leiten von Gefühlen und Vorurteilen. Alle würden sich über Ihre fundierte Kritik an einem «rechten» Medienprodukt freuen. Formulieren Sie diese Kritik aber bitter erst, nachdem Sie überhaupt wissen, was drin steht!

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