Sperberauge
Mattmark: Kleine WB-Erinnerungslücke
Am 30. August 1965 forderte die Mattmark-Katastrophe 88 Tote. Sieben Jahre später sprach die Walliser Justiz alle 17 Angeklagten frei, mit der Begründung, es habe sich um ein Naturereignis gehandelt, das nicht vorhersehbar gewesen sei.
In der Foto-Rubrik «Blick zurück» gedenkt der Walliser Bote (WB) vom 1. September 2020 dieser Katastrophe mit einem Bild von einer Gedenkfeier. Interessant ist der kleine Text, der neben dem Foto steht: «Beim Bau des Mattmark-Staudamms verschütteten 1965 herabstürzende Eismassen 88 Menschen. Es sei nicht vorhersehbar gewesen, hiess es damals. Heute sieht man das anders.»
Es stimmt, dass man das heute anders sieht, aber zur historischen Lokalisierung des Dogmas der Unvorhersehbarkeit der Katastrophe braucht man nicht bis «damals» zurückzugehen. Es genügt der Blick in den WB vom 30. August 2005. Unter dem Titel «Die Katastrophe war nach Beurteilung der Experten unvorhersehbar» steht dort der Kommentar:
«Die klaren Urteile von 1972 mochten vor allem bei den Angehörigen der Opfer den Eindruck erwecken, das Kapital hätte letztlich mehr gewogen als das Leben einfacher Arbeiter. Doch so war es nicht. Die Gerichtsakten belegen praktisch durchs Band, dass der Gletschersturz in diesem Ausmass einfach nicht voraussehbar war.»
Mit dieser Einschätzung war der WB nicht allein. Zum 40. Jahrestag der Katastrophe verbreiteten sämtliche Schweizer Medien mehr oder weniger kritiklos das Dogma der Unvorhersehbarkeit der Katastrophe. Obwohl meine Recherchen in der «Roten Anneliese» das Gegenteil zeigten.
Erst 2015 zum 50. Jahrestag drehte der Wind und es vollzog sich eine Metamorphose der medialen Wahrnehmung, nachdem ich meine zehn Jahre alten Recherchen in einem Infosperber-Artikel (Mattmark-Prozess (1972): Ein Fehlurteil mit Ansage) erneut aufrollte und nachdem SRF diese Recherchen im DOK-Film «Das Unglück von Mattmark» einem breiteren Publikum präsentierte.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war von 2000 und 2010 Redaktor der Oberwalliser Zeitung «Rote Anneliese». Er beleuchtet die Hintergründe der Mattmark-Katastrophe und des Prozesses im Kapitel «Die Drahtzieher des Mattmark-Prozesses» seines Buches «Tal des Schweigens: Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz» (2012). 2013 erhielt er dafür den Prix Courage.
Es wird in diesem Artikel auf «Rote Anneliese» hingewiesen eine Zeitung, die über Mattmark berichtet hat.. Und da liest man ausserdem über :
"geheime Studie zeigt: Homöopathie wirkt! Couchepin blockt»
Lesen unter Rote Anneliese nr. 189 September 2005. Seite 10