Sperberauge
Auch beim VZ «No free lunch»
Es ist zwei oder drei Jahre her, seit sich Frau Müller* beim Vermögenszentrum (kurz VZ) beraten liess. Der unabhängige Finanzdienstleister war ihr empfohlen worden – das Erstgespräch sei gratis.
Frau Müller kopierte also ihre Unterlagen. Lohnausweis, Hypothekarvereinbarung, PK-Ausweis. Sie ist eine kinder- und geschwisterlose Mittvierzigerin, im Nebenerwerb selbständig, hauptberuflich angestellt. Wer keine Kinder, keinen Ehepartner und keine Geschwister hat, muss schauen, wo sein PK-Geld im Todesfall hingeht. Deshalb im Erstgespräch die erste konkrete Frage: Mehr Geld aus der Pensionskasse ins Haus investieren, damit es vererbbar würde?
Der sehr junge Berater gab sich alle Mühe, doch Frau Müller hatte den Eindruck, er könne ihr Bedürfnis nicht so recht nachvollziehen. Fürs Alter, so riet er der Eigentümerin von zwei Häusern sowie einer zweiten und einer dritten Säule, wäre Sparen mit ETFs, börsengehandelten Indexfonds, sicher eine gute Idee. Frau Müller nahm das zur Kenntnis und meinte, sie könne sich ja später wieder einmal melden. Das mit den ETFs werde sie sich überlegen.
Nachrichten auf der Combox
Kurze Zeit später surrte am frühen Abend das Handy. Da Frau Müller die Nummer nicht kannte, liess sie die Combox abnehmen. Es war das VZ: Wie das jetzt sei, man habe doch wegen ETFs gesprochen. Es folgten weitere Anrufe, verteilt über die folgenden Monate.
Hin und wieder bestellte Frau Müller beim VZ gratis Merkblätter: Immobilien im Alter, Sparen mit ETFs, Tipps zum Optimieren von Steuern. Auch den digitalen Newsletter des VZ abonnierte sie. Schliesslich wollte sie informiert sein, nicht wie so viele Bekannte im Umkreis plötzlich mit Lücken in der Vorsorge dastehen. Diese Merkblätter veranlassten dann offenbar einen VZ-Mitarbeiter zu einer weiteren Combox-Nachricht: «Sie haben Merkblätter bestellt. Und dann haben Sie ja noch eine Hypothek, die in einem Jahr ausläuft. Wir würden Sie gerne zu einem Beratungsgespräch einladen.»
Einen Moment lang war Frau Müller irritiert: Weshalb wusste das VZ über ihre Hypotheken Bescheid? Da fiel ihr das Beratungsgespräch ein, und der Stapel kopierter Unterlagen.
Gegenüber Infosperber erklärt das VZ, man sei im Falle einer kostenpflichtigen Beratung «aus regulatorischen Gründen verpflichtet, die Kundendaten zu speichern und aufzubewahren». Nur: Hier ging es nicht um bezahlte Beratungen, sondern um die unverbindlichen, kostenlosen Erstberatungen. Frau Müller hatte an einem solchen kostenlosen Erstgespräch teilgenommen.
Eine Gratisberatung bietet das VZ, da war Frau Müller offensichtlich etwas naiv, nicht einfach aus schierer Nächstenliebe an: Von 100 Kunden, die das VZ für seine Beratungsleistungen aufsuchen, so schreibt das Vermögenszentrum, erteilten ihm rund 60 einen konkreten, kostenpflichtigen Beratungsauftrag. «Von den 60 Beratungskunden, die uns einen konkreten Beratungsauftrag erteilten, nutzen zwischen 60 und 80 Prozent die günstigen Umsetzungslösungen, sei es im Bereich der Bank-, der Vorsorge- oder der Versicherungsdienstleistungen. Die restlichen 20 bis 40 Prozent der Beratungskunden setzen die konzeptionellen und planerischen Resultate der Beratungsleistung in Eigenregie mit ihrem bestehenden Bank- und Versicherungspartner um.»
Das VZ verkauft keine eigenen Finanzprodukte, die Berater sind keine Vermittler. Honorare generiert das Vermögenszentrum mit den gut zwei Dutzend Filialen in der Schweiz durch kostenpflichtige Beratungen und nicht durch Vermittlerprovisionen. Verständlich, dass man potenziellen Kunden nachtelefoniert, wenn sich diese eine Zeit lang nicht melden – was gesetzlich nach einem Erstkontakt eben auch erlaubt ist. Frau Müller hat, auch wenn sie irritiert ist, ein gewisses Verständnis dafür: Es gibt per definitionem kein gratis Beratungsgespräch. Was nichts kostet, ist früher oder später eben doch immer das Gleiche: ein Verkaufsgespräch.
* Name geändert
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
VZ verkauft weder eigene noch fremde Produkte. Wovon leben sie also: von der Beratung natürlich.
Müsste eigentlich auch Frau Müller klar sein.