Sperberauge

Der Steuer-AHV-Deal ist ein verfassungswidriger Kuhhandel

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Als nächstes wäre eine kombinierte Abstimmung über das EU-Rahmenabkommen zusammen mit einem 2-monatigen Vaterschaftsurlaub möglich.

In der Bundesverfassung steht es in Artikel 139 und 194 klar und deutlich: Abstimmungsvorlagen müssen die «Einheit der Materie» respektieren. Zwischen den einzelnen Teilen einer Abstimmungsvorlage muss ein sachlicher Zusammenhang bestehen, damit die Stimmbürger ihren politischen Willen frei und unverfälscht bilden und äussern können. Die Einheit der Materie ist ein allgemeines Prinzip der demokratischen Rechtssetzung.
In Bezug auf Referendumsvorlagen prüfte das Bundesgericht die Möglichkeit willkürlich uneinheitlicher Vorlagen, in welchen verschiedene Fragen miteinander verkoppelt wären, und zwar so, dass «ihre Verbindung zu einer Einheit aller Vernunft widersprechen» würde und «sich dafür ein haltbarer, vernünftiger Grund überhaupt nicht mehr geltend machen lassen» könnte. Eine solche Vorlage wäre willkürlich und deshalb rechtswidrig.

Das ist bei der jetzigen Abstimmungsvorlage der Fall, weil die Stimmenden eine Steuer- und AHV-Reform zusammen annehmen oder ablehnen müssen, die miteinander nichts zu tun haben.
Der einzige Grund für das verfassungswidrige Päckli ist politischer Opportunismus: Beide Vorlagen alleine würden beim Volk wahrscheinlich durchfallen. Zusammen könnten sie angenommen werden, weil – vereinfacht gesagt – die Rechte und die Linke je ein Zückerchen und eine saure Gurke erhalten.

Zückerchenpolitik ist verfassungswidrig

Das darf aber in einem demokratischen Staat kein Grund sein, gegen die Verfassung krass zu verstossen. Auf Infosperber hatte Ludwig A. Minelli den «willkürlich konstruierten Zusammenhang» der beiden Vorlagen aufgrund einer früheren Doktorarbeit von Manfred Kuhn über die «Einheit der Materie» klar dargelegt. Er kam zum Schluss:

«Unzulässig wäre es, wenn man verschiedene Einzelfragen, die in keinerlei begründbarem Sinnzusammenhang stehen, in einer Vorlage zur Abstimmung bringen wollte. So wäre zum Beispiel eine Vorlage als uneinheitlich zu bezeichnen, in der einerseits die Abschaffung des Schwurgerichtes und andererseits die Aufhebung der Polizeistunde für Wirtschaften beantragt würde, weil diese beiden Fragen schlechthin nichts miteinander zu tun haben und ganz offenbar mit dem zweiten Teil der Vorlage der Bürger zur Annahme auch des ersten Teils verlockt werden sollte.

Ehemalige Ständerätin Vreny Spoerry hakt nach

Auch der früheren FDP-Ständerätin und Juristin Vreny Spoerry ist offensichtlich der Kragen geplatzt. In der NZZ vom 30. April bezeichnet sie die Abstimmungsvorlage über den Steuer-AHV-Deal als «Kuhhandel, der die Abstimmungsfreiheit der Stimmberechtigten mit Füssen tritt.» Nach diesem Präzedenzfall sei die verfassungsmässig garantierte «Einheit der Materie» nichts mehr wert: «Wer weiss, ob wir nicht bald über das Rahmenabkommen [mit der EU] kombiniert mit einem zweimonatigen Vaterschaftsurlaub abstimmen müssen, damit die linken Kritiker des Rahmenabkommens diesem zustimmen und die Gegner des Vaterschaftsurlaubs diesen schlucken, um das Rahmenabkommen zu retten?»
Schliesslich warnt Vreny Spoerry: «Dieser Kuhhandel hebelt das Volk aus und ist damit ein bedrohliches Präjudiz und eine grosse Gefahr für unsere direkte Demokratie.»
Dem ist nichts beizufügen. Ein denkbar schlechtes Zeugnis für die Taktierer der grossen Parteien im Parlament.


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10 Meinungen

  • am 30.04.2019 um 12:42 Uhr
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    Verfassungswidriger Kuhhandel. So ist es.
    Da ist es doch sehr praktisch, dass es in der ach so demokratisch organisierten Schweiz keinen Verfassungsgerichtshof gibt. Schlau.

  • am 30.04.2019 um 12:47 Uhr
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    Danke für die klaren Worte.
    Die Demokratie stirbt in Raten, auch in der Schweiz.

    Es wird Zeit für eine Volksinitiative für eine zukunftsweisende neue Schweizer Friedenspolitik.
    Auch hier bräuchte es eine neue «Einheit der Materie».

    Paul Steinmann
    https://www.friedenskraft.ch/blog

  • am 30.04.2019 um 16:39 Uhr
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    AHV-Steuervorlage (STAF) NEIN: Der Mittelstand ist einmal mehr der Geprellte!

    Mit der STAF gehen die Einnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden aus Unternehmenssteuern um rund 2 Mia zurück. Der AHV-Topf erhält rund 0,8 Mia zusätzlich aus der Bundeskasse. Wer wird diese Steuerausfälle finanzieren müssen? Es ist einmal mehr der Mittelstand! Die Armen müssen zwangsläufig unterstützt werden; die Reichen finden selbständig neue Steuerschlupflöcher; nur den Mittelstand kann man problemlos abzocken!
    Bei einer Steuerreform darf es zu keinen Steuerausfällen bei den Unternehmenssteuern kommen. Die Steuersätze für alle Unternehmen und Sitzgesellschaften müssen gleich sein, und der Ertrag dieser Steuer muss für das Total der Staatsebenen Bund, Kantone und Gemeinden gleich bleiben wie heute.

  • am 30.04.2019 um 18:37 Uhr
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    Dann sollte man schon jetzt Klage erheben gegen diese Verfassungswidrigkeit – wer stellt sich zur Verfügung?

  • am 30.04.2019 um 22:33 Uhr
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    Artikel 194 der Bundesverfassung bezieht sich auf Verfassungsänderungen. Bei der STAF stimmen wir «nur» über Gesetzesänderungen ab.

    Juristische Gutachten und Gegengutachten über die Zulässigkeit einer solchen Vorlage sind in meinen Augen nicht sehr produktiv. Denn wir haben ja sowieso keine Instanz, die auf juristischem Weg einschreiten könnte. Einschreiten können nur die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger.

    Und dies sollten wir auch, und zwar mit einem deutlichen Nein zur STAF. Dieses muss nicht juristisch begründet werden. Es reicht, wenn wir darauf bestehen, unsere Stimme zu einer einzelnen Frage unverfälscht abgeben zu können. Wir wollen nicht wie ein Hund behandelt werden, dem man die bittere Arznei in einem Wurstscheibchen versteckt verabreicht, weil man davon ausgeht, dass er zu dumm ist, die Notwendigkeit der Arznei selber zu begreifen.

    Ausserdem können wir uns für die Wahlen im Herbst einige Namen von Leuten vormerken, welche wir wählen, beziehungsweise nicht wählen wollen.

  • am 1.05.2019 um 09:18 Uhr
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    @Heierli. Danke für Ihre Anmerkung. Ich habe den Artikel am Anfang jetzt noch ergänzt. Laut einem Urteil des Bundesgerichts gilt die Einheit der Materie auch für Gesetzesreferenden. Wenn sie dieses Prinzip nicht einhalten, sind die Vorlagen willkürlich und rechtswidrig.

  • am 1.05.2019 um 18:05 Uhr
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    "Die Einheit der Materie» ist auf jeden Fall gegeben, denn es geht bei beiden Themen um Geld. Man muss zudem nur in der Präambel der BV eine kleine unbedeutende Änderung vornehmen, dann ergibt auf einmal alles einen Sinn: «Im Namen des Geldes des Allmächtigen!» [Satire off]

  • am 1.05.2019 um 21:26 Uhr
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    Entscheidend ist hier Art 189 Abs. 4. Da Entscheide des Parlaments nicht angefochten werden können, ist es nicht an die Verfassung gebunden. Das ist gewollt und wirkt immer wieder.

  • am 3.05.2019 um 08:31 Uhr
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    Da man für beide Teile der Vorlage aus inhaltlichen Gründen nein stimmen muss, ist es egal ob das Packet verfassungskonform ist oder eben nicht.
    Stimmt das folgende Rechenmodell?
    Fehlbetrag in der Kasse durch die USTR 2,8 Mrd
    Multinationale Unternehmen zahlen mehr 0,8 Mrd
    CH Unternehmen zahlen weniger (demzufolge) 2,8 Mrd
    70% der CH Unternehmen zahlen keine Steuern, d.h. 30% der CH Unternehmen wie (Banken, Versicherungen, Pharma, Industrie und alle grösseren Unternehmen teilen das Geschenk von 2,8 Mrd unter sich auf und geben das ihren Managern und Aktionären weiter.

  • am 6.05.2019 um 15:06 Uhr
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    Um den Konzernen entgegen zu kommen senkt man die Steuern für alle Unternehmen. Dazu kommt mit Patentboxen und Teilbesteuerung der Dividenden hat man weitere Schlupflöcher geschaffen. Die Milliarden für die AHV zahlen aber nicht allein die Unternehmen sondern zur Hälfte auch die Arbeitnehmer.

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