Sperberauge
Gut und ausführlich argumentiert!
Wer kennt die Redensart nicht: die Uni-Professoren «in ihrem Elfenbeinturm»? Oft haben Redensarten einen wahren Kern – so auch dieser. Es gibt viele Wissenschaftler, die es verlernt haben, ihre Erkenntnisse dem Umfeld so bekannt zu machen, dass sie auch verstanden werden. Es genügt ihnen, wenn ihre Kolleginnen und Kollegen, die Akademiker, sie verstehen. Leider.
Aber es gibt auch die anderen, die sich bewusst bemühen, ihre «Botschaften» verständlich zu verkünden. Das ist vielleicht nicht so wichtig etwa in der Medizin, wo es wichtiger ist, dass die uns behandelnden Ärzte und Ärztinnen, die Spezialisten, die neusten Erkenntnisse der Forschung kennen und verstehen. In anderen Bereichen, etwa im Bildungsbereich, im Rechtswesen und nicht zuletzt im Bereich von Staatsrecht und Politologie, ist die verständliche Kommunikation aber umso wichtiger. Wir leben ja in einer Demokratie und haben die Lenkung unseres Staates nicht einfach an eine wissenschaftliche Elite «im Elfenbeinturm» abdelegiert.
Besonders erfreulich ist, wenn kommunikative Fachleute sich auch noch zusammenfinden, um «interdisziplinär» – auch so ein akademisches Wort – zu diskutieren: aus Sicht unterschiedlicher Wissens- und Forschungsgebiete. Und genau so eine «Diskussionsrunde» ist der Club Helvétique. Da treffen sich aus allen Landesteilen der Schweiz Staatsrechtler, Juristen, Soziologen, Historiker, Naturwissenschafter. Und – wichtig! – sie diskutieren da zwar vor allem politische Themen, aber eben parteiübergreifend. Etwas willkürlich seien hier einige Club-Mitglieder namentlich erwähnt: René Rhinow, em. Professor für Staatsrecht und alt-BL-Ständerat der FDP; Dr. Giusep Nay, alt-Bundesrichter und ehemaliger Sekretär der Kath. Landeskirche Graubünden, CVP; Ueli Mäder, em. Professor für Soziologe an der Uni Basel und ehem. BS-Grossrat für die BastA; Elisabeth Joris, Historikerin aus dem Wallis; Dieter Imboden, em. Professor für Umweltphysik und Wissenschaftsmanagement an der ETH und ehemaliger Präsident des Nationalfonds; Chasper Pult, Romanist, Kulturvermittler, Ex-Präsident der Lia Rumantscha (ein Kämpfer für das Romanische); Hans-Peter Fricker, Präsident der Max Havelaar Stiftung, ex-Geschäftsführer WWF, ex-Chef DRS 2 Kultur, FDP; Andreas «Andy» Gross, Historiker und Politologe, NR, SP; und und und, alle Namen siehe hier. Aber auch «reinrassige» Politikerinnen und Politiker ohne akademische Ausbildung sitzen mit am Tisch, etwa Cecile Bühlmann aus Luzern, ehemalige Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz und als Nationalrätin ehemalige Fraktionspräsidentin der Grünen.
Nicht zuletzt sind aber auch ein paar Leute dabei, die wissen, wie etwas formuliert werden muss, dass man es versteht, zum Beispiel Casper Selg, Journalist, bis vor wenigen Jahren vor allem als Ausland-Korrespondent im Einsatz für die SRF-Nachrichtensendung «Echo der Zeit». Ein erfahrener Mann.
Dieser Club – der «Club Helvétique» – hat natürlich auch die am 25. November zur Abstimmung kommende sogenannte «Selbstbestimmungsinitiative» SBI diskutiert. Und er hat ein klares und verständliches Argumentarium erstellt, warum es für die Schweiz und ihre Einwohner und Einwohnerinnen besser ist, diese Initiative abzulehnen. Es lohnt sich, in dieses Argumentarium reinzuschauen:
1. Angriff auf die Demokratie: Die sogenannte „Selbstbestimmungs“-Initiative der SVP versucht Probleme zu lösen, die es nicht gibt. Und sie schafft neue Probleme, ohne ein einziges bisheriges zu beseitigen. So stellt sie z.B. mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eine enorm wichtige Errungenschaft in Frage, die sie bewusst nicht benennt. Die Initiative würde wesentliche Rechte aller Menschen schwächen, nämlich die Grundrechte, welche die Demokratie überhaupt erst möglich gemacht haben. Sie möchte die Schweiz aus einem europäischen Schutzmechanismus herauslösen, obwohl dieser sich seit 44 Jahren gerade auch für viele Menschen in der Schweiz sowie für das ganze Land als äusserst segensreich erwiesen hat. Die Initianten sprechen von der „Rettung der Demokratie“ und verschweigen dabei, dass Demokratie mehr bedeutet als die Macht der Mehrheit. Zu den Pfeilern der Demokratie gehören neben dem Wahl- und dem Stimmrecht genauso die Menschenrechte, die Gewaltenteilung sowie die Rechtsstaatlichkeit. An diesen demokratischen Pfeilern rütteln die Initianten.
2. Verwirrspiel: Die Selbstbestimmungs-Initiative ist für viele deshalb so schwer zu verstehen, weil sie irreführende Begriffe in den Vordergrund stellt, welche die eigentlichen Absichten der Initianten vernebeln. So führt diese Initiative beispielsweise nicht zu mehr persönlicher oder nationaler „Selbst-bestimmung“. Denn keiner der Gründe, weshalb sich heute so mancher fremdbestimmt fühlen mag, wird mit dieser Initiative behoben.
3. Die Initiative schaltet unsere Richter/innen aus: Auch der zweite Titel, unter dem diese Initiative segelt, das Verhindern von sogenannten „fremden“ Richtern, suggeriert Falsches und ist irreführend. Denn sie möchte unsere eigenen Gerichte und rechtsanwendenden Behörden daran hindern, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) anzuwenden oder sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu berufen. Dieses Vorhaben wird im Initiativtext durch die Hintertüre eingebracht: gemäss der Neuformulierung von Artikel 190 der Bundesverfassung sollen neu nur noch diejenigen völkerrechtlichen Verträge für das Bundesgericht massgebend sein, „deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat“. Die Initianten hielten bei der Einreichung der Initiative denn auch selber fest, dass dieser Passus in erster Linie die EMRK betreffe, da diese 1974 in Übereinstimmung mit der damaligen Rechtslage ohne Referendum ratifiziert wurde.
4. Auch die Richter/innen am EGMR sind unsere Richter/innen: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg, dessen Rechtsprechung den Verantwortlichen der SVP nicht passt, besteht nicht aus den berüchtigten „fremden Richtern“. Zwei der 47 Richter/innen des EGMR sind schweizerische Staatsangehörige (einer sitzt dort für Liechtenstein). Zudem werden alle 47 Richter/innen auch unter der Mitwirkung von Schweizer Parlamentarier/innen im Europarat gewählt; sie sind deshalb nicht fremde, sondern gemeinsame Richter/innen.
5. Die Bundesverfassung ist jetzt schon oberste Norm: Auch der Slogan, wonach die Bundesverfassung endlich unsere oberste und einzige Rechtsquelle werden müsse, ist irreführend. Denn dies ist bereits jetzt der Fall, dafür braucht es weder eine Verfassungsänderung noch diese trügerische Initiative. Die Stimmberechtigten und die Stände haben 1999 in der Bundesverfassung festgehalten, dass in der Schweiz das Völkerrecht gilt, insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Die allermeisten Elemente der EMRK entsprechen dem schweizerischen Verfassungsrecht. Wer also der EMRK zur Durchsetzung verhilft, respektiert die Bundesverfassung und stellt ihre prioritäre Bedeutung nicht in Frage.
6. Die Schweiz isoliert sich: Wer der Entstehungsgeschichte dieser Initiative nachgeht, der merkt, was sie wirklich will: Sie richtet sich gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und will die Schweiz aus dem Europarat herauslösen. Das hat der Hauptinitiant, Nationalrat Hans-Ueli Vogt, bestätigt. Er sagte wörtlich: «Die Kündigung der EMRK liegt in der Stossrichtung der Initiative.» (NZZ vom 27.11.2014). Damit würde die Schweiz sich von einer grossen zivilisatorischen Errungenschaft des 20. Jahrhunderts verabschieden. Nur Weissrussland, wo noch immer die Todesstrafe gilt, sowie der Vatikan-Staat gehören heute nicht zum Europarat.
7. Angriff auf die Minderheiten: Mit dieser Initiative will die SVP der Mehrheit der Abstimmenden in einer Volksabstimmung zu absoluter Macht verhelfen. Damit würde aus der Demokratie die Diktatur der Mehrheit gegenüber Minderheiten. Das widerspricht den rechtsstaatlichen Prinzipien der Schweizerischen Bundesverfassung ebenso wie der Idee der EMRK.
8. Angriff auf die Demokratie und ihre Grundlage: Mit der Reduktion der Demokratie auf die Macht der Mehrheit amputiert diese Initiative das Gesamtkunstwerk der Demokratie. Jede Staatsgewalt muss durch die anderen begrenzt werden, namentlich auch die gesetzgebende durch die richterliche Gewalt. Neben dieser Gewaltenteilung und dem Wahl- und Stimmrecht gehört zur rechtsstaatlichen Demokratie auch die Einhaltung der Grundrechte für jeden einzelnen. Daraus ergeben sich Mindeststandards für die Verfahren, nach denen einzelne Menschen be- und verurteilt werden. Diese minimalen Verfahrensansprüche schützen jeden Menschen vor Willkür und Unrecht, ein wichtiges Element, das die Demokratie ausmacht. Deshalb ist die Initiative zutiefst undemokratisch und bedeutet anstatt einer „Rettung der Demokratie“ die Zerstörung demokratischer Grundprinzipien.
9. Angriff auf den Grundrechtsschutz: Die einzigartige Errungenschaft der EMRK besteht darin, dass sie einen übernationalen Mindeststandard an Grundrechten für alle Menschen in Europa darstellt. Deshalb kann jede und jeder, die/der sich in den Grundrechten durch schweizerische Gerichtsurteile verletzt fühlt, beim EGMR in Strassburg die allfällige Verletzung seiner Grundrechte überprüfen lassen. Diesen Schutz und dieses fundamentale Recht würde uns eine mögliche Kündigung der EMRK entreissen. Deshalb bedeutet die Initiative deutlich weniger Freiheit und mehr Unsicherheit für jede und jeden von uns als der Status quo.
10. Die EMRK verbessert das Schweizer Recht: 1974 beschloss unser Parlament -gemäss der damals geltenden Regelung in der Bundesverfassung demokratisch, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu ratifizieren und sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu unterstellen. Seither haben die Richter/innen unseres Bundesgerichts sowie die des EGMR immer wieder Menschen aus der Schweiz zur Durchsetzung ihrer Menschenrechte verholfen. Entsprechend hat die Schweiz dank der EMRK und dank den Anstössen aus Strassburg die hiesige Gesetzgebung in vielen Bereichen des Sozialrechts, des Familienrechts, der Rechte der Frauen und der Kinder, im Verfahrens- und Strafprozessrecht und beim Schutz von Angeklagten im Interesse der einzelnen Menschen wesentlich verbessert. Die EMRK hat also sehr viel zur Verbesserung unserer Lebensverhältnisse beigetragen. Dies soll sie auch in Zukunft garantieren können.
11. Die EMRK kann nicht neu verhandelt werden: Die Initianten der SVP geben vor, die EMRK könne im Falle der Annahme ihrer Initiative neu verhandelt werden. Doch dies ist illusionär. Eine fast 70 Jahre alte Konvention zur Gewährleistung der gleichen Menschenrechte für alle kann nicht für die Schweiz neu geschrieben werden. Sie wird höchstens verfeinert, vertieft, auf Grund von gesellschaftlichen Neuerungen ergänzt und an gegenwärtige Entwicklungen angepasst. Dies geschieht in Form der Zusatzprotokolle, die auch in der Schweiz jeweils ratifiziert werden müssen und die nota bene jeweils dem fakultativen Referendum unterstehen, bevor sie bei uns anwendbar sind. Die wichtigsten Zusatzprotokolle wurden so direktdemokratisch legitimiert.
12. Erhöhte Rechtsunsicherheit statt Klärung: Mit dieser Initiative will die SVP letztlich alle internationalen Verträge in Frage stellen, welche nicht dem Referendum unterstanden haben. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) besteht aber heute aus Teilen, die nicht dem Referendum unterstellt wurden, und aus Teilen, gegen deren Ratifikation das Referendum hätte ergriffen werden können. Was würde nun also gelten, wenn nur noch dem Referendum unterstandenes Völkerrecht massgebend sein sollte? Das würde grosse Rechtsunsicherheit schaffen. Ein weiterer Grund, diese Initiative zu verwerfen, um unsere Bundesverfassung nicht zu entwerten.
13. Die Schweiz braucht die EMRK mehr als andere: Die Schweiz braucht die EMRK ganz besonders. Denn unsere Grundrechte sind zwar in der Bundesverfassung genannt und garantiert, aber ihr Schutz gegenüber Eingriffen durch Bundesgesetze ist nicht gewährleistet. Das Bundesgericht hat nicht die Befugnis, unsere Grundrechte zu schützen, wenn ein im Parlament beschlossenes Gesetz diese verletzt. Dies kann nur dank der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) erfolgen, indem die durch sie garantierten Menschenrechte in unserer Bundesverfassung neben den Bundesgesetzen als ebenfalls massgebend erklärt werden. Die Streichung der Massgeblichkeit der EMRK würde diesen Menschenrechtsschutz gegenüber Bundesgesetzen nur mehr dem EGMR in Strassburg überlassen und eine Kündigung der EMRK würde den Bürger/innen in der Schweiz den Schutz dieser Menschenrechte ganz entziehen.
14. Die Schranke gegen grundrechtswidrige Initiativen muss bestehen bleiben: Die SVP-Initiative will internationale Verträge aus dem Weg schaffen, welche bisher eine Schranke bilden gegen die Umsetzung von grund- und menschenrechtswidrigen Initiativen der SVP (z.B. die „Ausschaffungsinitiative“). Dieser Forderung erteilten die Stimmberechtigten schon bei der menschenrechtswidrigen „Durchsetzungsinitiative“ der SVP im Februar 2016 eine klare Abfuhr. Die sogenannte „Selbstbestimmungs“-Initiative verdient Ende November 2018 das gleiche Schicksal.
15. Verwirrung statt Klarheit bei der Geltung von Völkerrecht: Der Initiativtext und die SVP-Erklärungen dazu erwecken den Anschein, das Verhältnis zwischen Landesrecht und Völkerrecht klären zu wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Das Völkerrecht würde nach wie vor gelten, so wie dies internationale Vereinbarungen verlangen (insbesondere das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge). Diese würden durch die SVP-Initiative nicht aufgehoben. Statt Klärung würde eine Annahme der Initiative also nur Verwirrung stiften und vor allem grosse Rechtsunsicherheit schaffen. Wer völkerrechtliche Verträge nicht will, darf sie nicht abschliessen. Wer solche kündigen will, muss dies explizit vorschlagen und demokratisch entscheiden lassen. So wie dies die SVP mit einer anderen Volksinitiative, derjenigen gegen das Abkommen mit der EU zur Personenfreizügigkeit, nun selber beabsichtigt. Aber gleichsam unter der Hand, insgeheim, und nur durch die Hintertüre geht das nicht. Deshalb ist die „Selbstbstimmungs“-Initiative eine Mogelpackung.
16. Landesrecht kann jetzt schon vor Völkerrecht gelten: Das Verhältnis zwischen dem Völkerrecht und dem Landesrecht ist schon heute geregelt. Im Allgemeinen gehen völkerrechtliche Bestimmungen, die von den schweizerischen Behörden und im Referendumsfall auch von einer Mehrheit der Stimmberechtigten angenommen wurden, dem Landesrecht vor. Doch seit fast 50 Jahren gilt auch die Regel, wonach der Gesetzgeber ausnahmsweise ganz bewusst Gesetze erlassen kann, die dem Völkerrecht widersprechen. Er muss dies nur deutlich sagen. Dann muss sich auch das Bundesgericht daran halten. Ausser diese Gesetze widersprächen den Grund- und Menschenrechten, denn diesen darf in der Demokratie kein Organ zuwiderhandeln und das wollen die Initianten nach ihrer neueren Propaganda ausdrücklich nicht. Somit suggeriert die SVP-Initiative auch in dieser Beziehung ein Problem, das in Tat und Wahrheit gar nicht besteht. Die Medizin, welche die Initiative dem Gesunden verschreiben will, würde diesen erst richtig krank machen.
17. Die Initiative schwächt die Volksrechte: Ausgerechnet! Sie will dem Bundesrat das Recht geben, ohne Konsultation des Volkes internationale Verträge, die angeblich dem Landesrecht widersprechen, zu kündigen. Damit würde ausgerechnet die Initiative der SVP die Mitbestimmung der Stimmberechtigten schwächen, ohne deren Zustimmung heute keine wichtigen Verträge mehr ratifiziert werden dürfen. Die Initiative hält also keinesfalls, was sie verspricht, und ist zutiefst undemokratisch.
18. Die Initiative schwächt die Schweiz: Die Initiative würde die Glaubwürdigkeit der Schweiz als verlässlichen Vertragspartner in Zweifel ziehen und damit dem Ruf der Schweiz schaden. Man kann nicht -wie die Initiative- die Bestimmung, Bund und Kantone hätten das Völkerrecht zu beachten, in der Bundesverfassung stehen lassen und gleichzeitig festschreiben, die Bundesverfassung gehe dem Völkerrecht vor; das wäre ein Freipass, um jederzeit völkerrechtliche Verträge zu verletzen. Ausgerechnet die Schweiz, welche als Kleinstaat ein enormes Interesse daran hat, dass die Angelegenheiten dieser Welt durch das Recht aller und nicht durch die Macht der Stärkeren geregelt werden, würde zudem die Autorität des Völkerrechts beschädigen. Das widerspräche allem, für das die Schweiz zu ihrem und dem Vorteil aller in den letzten 100 Jahren eingestanden ist. Dazu zählt auch die humanitäre Tradition der Schweiz, die durch diese Initiative ebenfalls massiv beschädigt würde.
Zur weiteren Vertiefung der Argumentation sind die folgenden drei Neuerscheinungen zu empfehlen:
Freiheit und Menschenrechte, Nein zur Anti-EMRK-Initiative. Hrsg. Andreas Gross, Fredi Krebs, Martin Stohler, Cédric Wermuth, Editions le Doubs, St-Ursanne, 240 Seiten, CHF 19.80
Frau Huber geht nach Strassburg, Die Schweiz vor dem Gerichtshof für Menschenrechte. Hrsg. Adrian Ricklin und Kilian Meyer, WOZ-Verlag, Zürich, ca. CHF 22.-
Georg Kreis: Fremde Richter, Karriere eines politischen Begriffs. Verlag HIER UND JETZT, Baden, 136 S., CHF 37.-
Für weitere Informationen im Internet:
Website der Allianz der Zivilgesellschaft für ein Nein zur SBI: www.sbi-nein.ch
Website der Vereinigung „Unser Recht“: www.unser-recht.ch
Website des Eidg. Justiz- und Polizei-Departementes
Und hier die 18 Argumente zum Downloaden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Christian Müller ist von Hause aus promovierter Historiker, Mitglied der Vereinigung «Unser Recht» und Präsident der Vereinigung «Demokratie ohne Grenzen Schweiz» (democracywithoutborders.org). Es gibt keine Interessenkollisionen.
Wo ist in der wunderbaren Ausgewogenheit denn ein Vertreter der Befürworter zu finden? Jetzt mal abgesehen von der Argumentation selbst, welche – wie offenbar üblich – völlig ausblendet, dass es eine berechtigte Diskussion ist, was Demokratie „darf“ und was nicht…
Da wird wild mit Argumenten gerungen, einfach um eine politische Absicht zu begründen. Ich finde, dass man sich bei der Frage der Selbstbestimmung nicht hinter juristischen Argumenten verstecken sollte. Die Frage, wer in einem Land das letzte Wort haben soll, ist politische. Davon versteht ein Professor nicht mehr als ein Nichtstudierter. Einige der Professoren, welche die Initiative kritisieren, finden ja auch, man sollte das Initiativrecht einschränken. Sie haben zum Teil das Stimmvolk als Pöbel oder Narren bezeichnet. Wer so über das Initiativrecht und seine Mitbürger denkt, hat politisch völlig andere Überzeugungen als ich.
Alle 18 Punkte drücken lediglich Meinungen und Interpretationen zum Initiatvtext aus und spekulieren darüber, was die Initiative will. Rein faktisch hingegen definiert die SBI klar und einfach verständlich, wer das letze Wort hat: die Mehrheit von Volk und Ständen. Diese bestimmen demokratisch über den Inhalt unserer Verfassung. In dieser weltweit einzigartigen Direkten Demokratie haben Volk und Stände quasi die Verfassungshoheit inne, weshalb es keiner Verfassungsgerichtsbarkeit bedarf.
Wenn aber nicht definiert ist, wer das letzte Wort hat, dann reissen es gerne die machtbeflissensten Politiker an sich; die erklären uns dann rhetorisch geschickt, wonach man sich zu richten habe. Die sind einzig auf Mehrheiten angewiesen, nicht auf Volkes Wille; und Minderheiten müssen sie schon gar nicht berücksichtigen, sondern möglichst ausschalten – ausser man sieht eine opportunistische Chance, mit deren Anliegen bei der Mehrheit zu punkten. So landen wir mit den zunehmenden politischen, wirtschaftlichen und strategischen Sachzwängen automatisch in einer parlamentarischen Demokratie – mit exakt denselben Gefahren und Risiken von rasch wachsenden und zu gross werdenden radikalen Minderheiten, die – ohne Möglichkeit einer direktdemokratischen Austarierung – nicht nur die Gesellschaft wirklich spalten können, sondern auch Unruhen und schlimmeres heraufbefördern.
Offensichtlich ist diese Initiative eine Katze im Sack von der wir nicht recht wissen, was herauskommt. Da sollte man vielleicht nein sagen und sich Zeit lassen, etwas besseres auszudenken. Das wäre schon bei einigen vorangehenden Initiativen besser gewesen.
Nirgends in den Abstimmungsunterlagen steht, dass bei einer Annahme der SBI die Schweiz das ‹Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge› (WVK, SR 0.111) künden müsste, da man gem. Art. 27 WVK sich nicht auf innerstaatliches Recht berufen darf, um völkerrechtliche Verträge zu brechen.
Resp. die SBI verstösst gegen Art. 27 WVK, ist somit vertragswidrig und dies steht nirgends in den Abstimmungsunterlagen.