Sperberauge

Gewaltenteilung wird ausgeschaltet

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Wird Kavanaugh ins US-Verfassungsgericht gewählt, herrschen die Konservativen auch ohne Kongress-Mehrheiten.

Das (schweizerische) jüdische Wochenmagazin «tachles» macht in der Auseinandersetzung um den Kandidaten Brett Kavanaugh für das US-Verfassungsgericht auf einen bisher wenig beachteten Punkt aufmerksam: «Die Auseinandersetzung um die Nominierung von Brett Kavanaugh für das US-Verfassungsgericht offenbart die konservative Agenda: Die Republikaner wollen die Judikative als unabhängige Macht ausschalten und damit ihre Vorherrschaft auf Jahrzehnte absichern.»

Der deutsch-amerikanische Journalist Andreas Mink erklärt in tachles en détail, warum es nicht so sehr um die Person von Brett Kavanaugh geht, als vielmehr darum, mit einem Sitz von Kavanaugh auf Lebenszeit die absolute Mehrheit in der US-Judikative für die Konservativen zu sichern – und damit die in der US-Verfassung vorgesehene Unabhängigkeit der Dritten Gewalt, der Judikative, auszuschalten. Das wäre dann das Ende der in der Verfassung vorgesehenen Gewaltenteilung. Die Überlegungen von Andreas Mink sind absolut bemerkenswert.

Gleichschaltung von Exekutive, Legislative und Justiz

Andreas Mink schreibt: «Mit etwas Abstand betrachtet, entfaltet sich hier eine Entwicklung, die der Politologe Jacob Hacker an einem Interview mit tachles bereits am Tag nach Trumps Wahlsieg als Gefahr für Amerika beschrieben hat: Die Schwäche des Verfassungs-Systems liegt in einer Übernahme und damit ‹Gleichschaltung› aller drei Säulen (Präsident, Kongress, Justiz) durch eine Partei. Dann könnte die Judikative eine Art dritte Kammer des Parlaments werden. Doch während Abgeordnete im Repräsentantenhaus alle zwei Jahre und Senatoren alle sechs Jahre zur Wahl stehen, werden Richter wie Gorsuch und nun womöglich Kavanaugh zwei, drei Jahrzehnte amten und die Grand-Old-Party-(GOP)-Agenda auch dann weiter betreiben, wenn Kongress-Mehrheiten oder das Weisse Haus verloren gehen. Gleichzeitig können Richter aber durch Entscheide über das Spendenrecht und den Zugang zu Wahlen konservative Mehrheiten im Kongress und in Gliedstaaten bewahren. Das Verfassungsgericht hat dieser Tage auch über Fragen wie die Zuschneidung von Wahlkreisen oder Ausweispflichten beim Stimmgang zu entscheiden. Hier haben konservativ regierte Gliedstaaten in den letzten Jahren immer neue Hürden für demokratische Wähler aus Minderheiten und ärmeren Schichten geschaffen.

Eine konservative Übernahme der dritten Verfassungs-Gewalt Judikative aus der Kontrolle von Legislative und Exekutive heraus ist nun zum Greifen nah. Nie war die GOP entschlossener dazu, als heute. Die Republikaner haben sich seit der Bürgerrechts-Ära in eine ethnisch nahezu geschlossene Partei primär von älteren Weissen mit einem hohen Männeranteil verwandelt, die sich als Gruppe vom demographischen und Wertewandel bedroht fühlen. Deshalb wollten die Konservativen nun mit der Auswahl von Kavanaugh auf Nummer Sicher gehen. Anhin haben von republikanischen Präsidenten wie Ronald Reagan eingesetzte Verfassungsrichter immer wieder durch unabhängige Entscheidungen für unliebsame Überraschungen gesorgt. Dies galt speziell für Anthony Kennedy, den Kavanaugh nun ablösen soll.

Vom Trinken und möglichen Missbrauch abgesehen, lässt die gesamte Laufbahn Kavanaughs eigentlich nur den Schluss zu, dass dieser weniger ein unabhängig denkender Jurist, als ein hochintelligenter und entschlossener Karriere-Konservativer ist. Er gehört seit dem Studium an der Yale Law School 1988 der ‹Federalist Society› an und war nach einer Assistenz bei Verfassungsrichter Kennedy während der 1990er Jahre im Team von Sonderermittler Kenneth Starr aktiv. Der junge Jurist fiel durch Feuereifer auf und schrieb den Report, der 1998 Grundlage für das gescheiterte Absetzungsverfahren gegen Präsident Bill Clinton wurde. Ende 2000 trat er dem Anwaltsteam von George W. Bush in der Auseinandersetzung mit Al Gore um die Auszählung von Wahlstimmen in Florida bei.

Nach dem Erfolg blieb Kavanaugh bei Bush und stieg bis 2003 in die Schlüsselstelle des ‹Stabs-Sekretärs› auf. Bush belohnte die Treue Kavanaughs mit einer Nominierung für das Berufungsgericht in Washington. Der ‹D.C. Circuit› ist das zweitwichtigste Gericht der USA. Doch der Jurist musste drei Jahre lang auf den Posten warten, da Demokraten im Senat sein Engagement gegen Clinton nicht vergessen wollten und die Nominierung bis 2006 aufhielten. Als Berufungsrichter fiel Kavanaugh durch hart-konservative Urteile etwa gegen Umweltauflagen auf.

Damit war in der neueren Geschichte Amerikas kein Kandidat für den Supreme Court derart tief engagiert in den Grabenkämpfen der Politik, wie Kavanaugh. Deshalb haben Trump und die Republikaner nach seiner Nominierung die ansonsten übliche Herausgabe von Dokumenten zu seiner Arbeit weitgehend verweigert. Spätestens seit der Senatsanhörung am letzten Donnerstag ist Kavanaugh als ‹unabhängiger Richter› nicht mehr glaubwürdig. Mit der Geschmeidigkeit eines politischen Routiniers hat er bei der Anhörung die Wahrheit verdreht und etwa häufiges Erbrechen durch einen ‹schwachen Magen› erklärt. Erstaunlicher waren die Tränen und die Wut, mit der sich Kavanaugh selbstgerecht als Opfer einer Schmierkampagne der Demokraten darstellte.

Collins, Flake und Murkowski (die drei Senatoren, auf deren Stimme es bei der Wahl ankommt, Red.) stehen damit vor der grundsätzlichen Frage, ob sie die historischen Ziele ihrer Partei über die persönlichen Makel Kavanaughs stellen. Blockieren sie Kavanaugh, bleibt Trump und McConnell bis zu den Kongresswahlen am 6. November keine Zeit mehr für die Durchsetzung eines Ersatz-Kandidaten. Konservative Anwärter dafür gäbe es natürlich genug. Aber das Risiko, bei den Wahlen die Senatsmehrheit zu verlieren, treibt die konservative Führung nun zu einer moralisch unhaltbaren Hast. Sofern sie Kavanaugh vor dem 6. November an den Supreme Court hieven, würde die Republikaner auch eine Wahlniederlage infolge dieser einzigartigen Aktion nicht allzu sehr schmerzen.»

Der ganze, äusserst lesenswerte Artikel von Andreas Mink im jüdischen Wochenmagazin tachles kann hier nachgelesen werden: anklicken.

Bereits in ein paar Stunden wissen wir wohl Bescheid, wie es um die Gewaltenteilung in den USA künftig steht …

… und schon ist es die Realität. Nun gilt es, genau zu beobachten, wie der neue Verfassungsrichter entscheidet: im Interesse eines Staates, der bisher auf sein politisches System und seine Gewaltenteilung stolz sein konnte, oder im Interesse einer Partei, wodurch die bisher unabhängige Judikative definitiv begraben wäre.


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5 Meinungen

  • am 7.10.2018 um 09:02 Uhr
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    Und damit Kavanaugh nicht eventuell mal auf andere (oder eigene) Gedanken kommt, hätten die Republikaner etwas gegen ihn in der Hand. Denn was nutzt eine Ernennung auf Lebenszeit, wenn man ihn oder seine Familie mit den ungeklärten Vergewaltungsvorwürfen moralisch unter Druck setzen kann?

  • am 7.10.2018 um 12:17 Uhr
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    Die Beiträge von Christian Müller schätze ich seit ich sie erstmals las ganz besonders. Um dieser guten Analyse eine weitere Perspektive zu geben sind noch einige Kommentare erforderlich. Erstens ist die Wahl eines Verfassungsrichters durch Empfehlung von Präsident und Partei mit einer demokratischen Verfassung unvereinbar. Ein Verfassungsrichter muss, wie Regierung vom Parlament, von Richterkollegen gewählt werden. Zweitens kann es nicht sein, dass man jemanden für – angebliche Jugendsünden – über heisse Kohlen zieht und Jahrzehnte einer effektiven Karriere sowie die Entwickelung der Persönlichkeit ignoriert (egal wie man über seine Einstellung denkt). Und drittens, wer die Gespräche im Senat verfolgt hat muss zum Schluss gekommen sein, dass hier aus welchen selbstsüchtigen Gründen auch immer eine üble Kampagne seitens der Demokraten gestartet wurde. Man hat taktisch mit einer Bezichtigung vom Juli bis Mitte August gewartet, um sie publik zu machen. Da war ja genügend Zeit für eine FBI-Untersuchung, nach der die Demokraten dann so laut schrien!

  • am 7.10.2018 um 14:06 Uhr
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    Der grösste Unfug, den ich zu diesem Thema gelesen habe. Wenn diese Logik stimmen würde, hätte die Gewaltenteilung in den USA nie funktioniert. Wären die Demokraten an der Macht, würden sie einen Richter aus ihren Reihen wählen. Nur weil es ein Republikaner ist, ist der Rechtsstaat in Gefahr? Einen einfältigeren Zirkelschluss habe ich schon lange nicht mehr gesehen.

  • am 7.10.2018 um 15:27 Uhr
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    Bravo! Der Reporter des Quellenmagazins hat durchgeblickt, wenn auch nicht vollständig. Während die meisten Europäischen Medien sich darin übertreffen, Donald Trump einseitig bis oft bösartig, als eine Art minderbemittelten Elefant im Polit-Porzellanladen darzustellen, macht man in den USA raffiniertest durchdachte Langzeitpolitik. Die darin immer noch recht arroganten Europäer, werden da noch einige Überraschungen erleben. Ganz egal, wie man selbst persönlich dazu steht, sollte man einsehen, daß die derzeitige Epoche der US-Politik wirklich eine bedeutsame und langfristige «Wende» im grundsätzlichen Kurs der Weltmacht bedeutet. Das würde auch bei einem theoretischen plötzlichen Abgang von Trump, keineswegs wieder gestoppt.
    Werner Eisenkopf

  • am 8.10.2018 um 06:31 Uhr
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    Guten Tag, ich denke, dass die Gewaltengteilung langsam aber stetig „neoliberal“ ausgehebelt, und dies nicht nur in den USA (in der Schweiz ist ja zum Beispiel das Parteibüchlein für eine Wahl zum Bundesrichter entscheidend). Die sogenannte vierte Gewalt – die Medien – sind ja bereits gleichgeschaltet, bis auf wenige Ausnahmen. Schlussfolgerung: zwei von vier Stützen, der von unseren Vorväter ausgedachten Gewaltenteilung, sind ziemlich morsch und nur noch idealtypisch in der Staatskunde effektiv.

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