Sperberauge
Weltwoche: Zimi irrt
Viele Medien-Leute lesen mit besonderem Interesse, was über sie, die Medien-Leute, geschrieben wird. Ein bisschen Narzissmus ist ja erlaubt. Und vor allem ist auch die Hoffnung erlaubt, etwas Gutes über sich selber lesen zu können. In den Leserbriefen und -Kommentaren wird ja vor allem kritisiert. Komplimente zu verteilen gehört nicht zum Grundbedürfnis von Herrn und Frau Schweizer.
Aus genau diesem Grund wird, so man die Weltwoche wirklich immer noch abonniert hat, auch Kurt W. Zimmermanns Medien-Kommentar gelesen, obwohl Kurt W. Zimmermann, in der Branche kurz Zimi genannt, immer nach dem gleichen Prinzip in die Tasten greift: Er gefällt sich, gegen den Strich zu bürsten.
In der neusten Weltwoche-Ausgabe Nr. 46 schreibt Zimi über den Zweikampf der NZZ und des TagesAnzeigers um die nationale Vorherrschaft im Schweizer Medienmarkt. Und natürlich erklärt er die NZZ unter seinem neuen Chefredaktor Eric Gujer zum Sieger. Der TagesAnzeiger, so schreibt Zimi, habe mit seinem Prinzip der Mantelredaktion abgedankt.
Und warum ist es so? Zimi wörtlich: «Das Ende des Duells hat ökonomische Gründe. Beim Tages-Anzeiger-Verlag ist die Priorität der Profit. Beim NZZ-Verlag ist die Priorität die Publizistik.»
Ist das richtig? Es scheint einleuchtend. Aber es ist nur sehr, sehr oberflächlich richtig.
Beim TagesAnzeiger geht es um den privaten Profit der Familie Coninx, die an der Tamedia, der Herausgeberin des TagesAnzeigers, immer noch die Mehrheit hält.
Aber auch bei der NZZ geht es um den Profit – hier allerdings nicht direkt um den Profit einer Mehrheitsbesitzerin (eine solche gibt es da nicht), sondern um den Profit der Grossen und Reichen unserer Gesellschaft. Es gilt, dem Neoliberalismus auch in der Schweiz zum endgültigen Durchbruch zu verhelfen. Zwar fliesst das Geld schon jetzt aufwärts – der Reichtum der Reichen ist in den letzten Jahren deutlich schneller gewachsen als die Vermögen der Mittelklasse und der Unterschichten. Da dies in der Schweiz aber noch nicht so ausgeprägt abläuft wie etwa in den USA, besteht da noch Optimierungspotenzial. Was also läge da näher, als mit einer starken Zeitung – «Priorität Publizistik» – dem Neoliberalismus das Wort zu reden?
Der 2015 vom Verwaltungsrat eingesetzte Chefredaktor Eric Gujer ist Garant dafür, dass die NZZ eine klare Interessenpolitik betreibt – Interessenpolitik für die Reichen, die Superreichen und die Grosskonzerne. Auch im neusten Kommentar zu den Paradise Papers bestätigt die NZZ diesen ihren Kurs: «Grundsätzlich sind jegliche Arten von Offshore-Firmen legal und haben einen wirtschaftlich nützlichen Zweck.» (Was zeigen die «Paradise Papers», Punkt 8)
Deshalb, lieber Zimi, die «Priorität Publizistik», die Du der NZZ attestierst, ist zwar oberflächlich richtig, aber auch hier geht es, letztlich, um den Profit – die Unternehmenssteuerreform-Diskussion und viele andere politische Themen lassen grüssen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine Interessenkollisionen. Der Autor hat die «Weltwoche» nicht abonniert; für eine Zeitung, in der regelmässig Autoren wie Henryk M. Broder zu Wort kommen, gibt er kein Geld aus. Der neuste Kommentar von Kurt W. Zimmermann ist ihm von befreundeter Seite zugeschickt worden.
Christian Müllers Kritik stimmt leider auch nur an der Oberfläche. Richtig liegt er zwar wenn er feststellt: «Er gefällt sich, gegen den Strich zu bürsten.» Aber dies gefällt doch allen Journalisten, ansonsten wären sie doch keine echten Journalisten!!
Falsch liegt er in Bezug des Aktionariates bei der NZZ. Da ist weit und breit vom Reichtum der Reichen nichts sichtbar, dies war vielleicht vor fünfzig Jahren so. Ganz gewöhnlicher Durchschnitt, um nicht zu sagen Fussvolk oder gar Pleps tummelt sich im Aktionariat der NZZ, mehr Schein als Sein. Deshalb hat ja auch die Publizistik der NZZ jeden Halt verloren und ist gegen links abgedriftet. Der «alte Freisinn» existiert längst nicht mehr, auch nicht im Bundesparlament. NZZ und Tagi sind nicht vergleichbar, aber Schwächen weisen beide Zeitungen auf. Auf jeden Fall kein klarer Sieg für die Publizistik der NZZ welche sich zu oft hinter Gastkommentaren versteckt, um die eigene Meinung nicht kundtun zu müssen.