Sperberauge
Analogien statt Analysen
Historische Knallpetarden statt Analysen: Gleich zwei Sonntagszeitungen vom 20. Juli 2014 ergehen sich nach dem (wahrscheinlichen) Abschuss eines Verkehrsflugzeuges über der Ukraine einmal mehr in geschichtlichen Parallelen. Schön ausgewogen wird in der einen Zeitung auf den Ausbruch des Ersten, in der anderen auf den Weg in den Zweiten Weltkrieg angespielt.
Der frühere Privatbankier Konrad Hummler kann in seiner Kolumne in der «SonntagsZeitung» «den Gedanken an den Mord von Sarajewo vom 28. Juni 1914 nicht mehr verscheuchen.» Selbstkritisch gibt er zwar zu bedenken: «Mag ja sein, dass wir in den letzten Monaten zu viel 1.-Weltkriegs-Literatur gelesen haben», um dann aber sogleich die vermeintlichen Parallelen herauszuarbeiten. Felix E. Müller, Chefredaktor der «NZZ am Sonntag», bemüht zur Abwechslung wieder einmal die Appeasement-Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain gegenüber dem Hitler-Deutschland von 1938, um Europas bisherige Haltung im Ukraine-Konflikt zu charakterisieren. Die Botschaft zwischen den Zeilen lautet bei beiden Autoren: Wir befinden uns in einer Art Vorkriegszeit.
Der Ukraine-Konflikt gehört ohne Zweifel zu den gefährlichsten europäischen Krisen der letzten Jahrzehnte. Doch wer zu historischen Vergleichen ansetzt ohne gleichzeitig auf die erheblichen Unterschiede der jeweiligen Konstellationen hinzuweisen, handelt gleich mehrfach verantwortungslos: Er betreibt mit abgenutzten Chiffren billige Angstmacherei, verwechselt Analogien mit Analysen und setzt sich damit dem Vorwurf der intellektuellen Unredlichkeit aus. Geschichte erklärt, wie es zur Gegenwart gekommen ist und ein Stück weit auch, was in der Gegenwart nachwirkt. In die Glaskugel guckt, wer daraus Schlüsse für die Zukunft zieht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Schade, sagt der Autor nicht, wo denn die (Nicht-)Parallelen und Unterschiede liegen. So erfahre ich aus seinem Beitrag nur, dass es die Sonntagszeitungen nicht richtig machen. Viel interessanter wäre gewesen, die Analyse anstelle der Analogien zu lesen. Oder mindestens hätte man mir einen Hinweis geben müssen, wer es denn «richtig» macht. So aber bleibt der Beitrag in der billigen Kollegenschelte stecken.
Die Analogie ist gemäss Logikunterricht die Mutter aller Fehlschlüsse. Das durfte sehr wohl gesagt werden. Als Medienkritik überzeugt mich der Beitrag des Autors stärker als der fast gleichzeitige von Ludwig A. Minelli.
PS. Bei Müller-Muralt stört vielleicht der Ausdruck «Hobby-Historiker". Analogieschlüsse und fragwürdige Theorien kommen durchaus bei der historischen Zunft und sogar bei universitären Historikern und sog. Geschichtsphilosophen vor, bei Oswald Spengler , Auguste Comte (Dreistadiengesetz der Geschichte), Marx und Engels (historischer Materialismus), der fragwürdigen Theorie vom Ende der Geschichte beim sog. US-Historiker Francis Fukuyama bis hin zur Imperialismus-Theorie des soeben verstorbenen Vordenkers der Konsensobjektivität deutscher Geschichtsschreibung aus der sog. Bielefelder Schule, Hans-Ulrich Wehler. Dem gegenüber befassen sich Hobby-Historiker oft mit ihrer Familien- und Ortsgeschichte, ein Gebiet, auf dem Flunkern eigentlich viel schwieriger ist als wenn man sich mit den sogenannten grossen Linien der Weltgeschichte befasst.
Zumindest einen historischen Vergleich der Ukraine-Krise mit den Weltkriegen gibt es: Profilierungssüchtige, machtbesessene Politiker – ganz speziell auch in der NATO, oder im Westen – haben sehr wohl Interesse an einem Krieg, denn die Menschen in Europa und Russland sind ihnen völlig egal, wichtig sind ihnen die Profite der Rüstungsindustrie und die Macht über die Rohstoffe.