Sperberauge
Wenn das Volk zu aktiv wird
«Die vielen Volksinitiativen der jüngsten Zeit belasten zunehmend den Parlamentsbetrieb. In der Sommer-Session, die am Montag beginnt, müssen die Räte erneut zu fünf Volksbegehren die Abstimmungsempfehlung fassen.» Beklagt die «Neue Zürcher Zeitung» am 2. Juni 2014 den Umstand, dass schweizerische Bevölkerungsteile die oft beschworenen direkt-demokratischen Instrumente auch real nutzen, aus Sicht der «NZZ» offensichtlich zu extensiv. «Das führt in jedem Fall zu stunden- oder gar tagelangen Redeschlachten, vor allem in der grossen Kammer.» So war das mit den Volksrechten denn doch nicht gemeint.
Zur Abwendung eines parlamentarischen Burnouts müssten National- und StänderätInnen künftig vielleicht besser auf ihren kriegerischen Einsatz vorbereitet werden – mit gezielten Aufbau- und Konditionstrainings, am besten in den entsprechenden Anlagen des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS, oder durch flächendeckende Abgabe von Vitamincocktails, welche die Chemische Industrie sicher gerne zur Verfügung stellen würde. Die VolksvertreterInnen könnten natürlich auch generell darauf verzichten, Abstimmungsempfehlungen abzugeben, und die BürgerInnen unvorbereitet auf Urnen loslassen.
Wer das demokratische Chaos oder die Einführung eines Profi-Parlaments – welches das ganze Jahr über Zeit hat, auf Volksinitiativen zu reagieren – verhindern will, müsste, zum Schutz der Demokratie, dafür sorgen, dass massvoller von ihr gebraucht gemacht wird, das heisst Kontingentierung von BürgerInnen-Vorstössen. Denn natürlich gilt auch für die Demokratie wie für die meisten Institutionen – am besten würden sie funktionieren, wenn die nicht wären, für die sie eigentlich gedacht sind.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Tja, vielleicht ist es doch nicht so einfach. Von sich aus lancieren selbst politisch interessierte und aktive Zeitgenossen keine Initiativen. Vielmehr sind es Parteien, Gruppen und Grüppchen, welche sich über das Vehikel der Initiative Gehör in den Medien und auf dem politischen Parkett verschaffen wollen. Manchmal hab ich das Gefühl, die jeweiligen Anliegen seien dabei eher zweitrangig, Hauptsache, die Organisation bekommt ihre Schlagzeilen.
Wer am Initiativrecht sägt, sägt am Baum der Demokratie. Am fleissigsten macht übrigens die äussere Rechte bzw. die SVP davon Gebrauch, denn einer Initiative folgt regelmässig noch eine Durchsetzungs-Initiative. Doch das ist ihr gutes Recht. Initiative und Referendum sind gute demokratische Mittel, um die Verirrungen der herrschenden Classe politique zu korrigieren, wie die Annahme der Einwanderungs-Initiative und die Ablehnung des Gripen-Kuhhandels grad kürzlich bewiesen haben. Für die bürgerliche Mitte hinderlich, weil sie nicht einfach ihre Geschäfte verrichten kann, ohne das Volk zu fragen. Gut so.
Mehr Volksentscheide: Das Volk kümmert sich vermehrt um politische Fragen!
Seit die Mitte-Parteien die Dominanz in der Schweizer Politik verloren haben, wird es immer schwieriger, Kompromisslösungen zu finden. Das mag man bedauern. Die Zeiten sind aber endgültig vorbei, wo ein paar Polit-Prominente Auswahl, Gewicht und Priorität der politischen Themen bestimmen konnten. Freuen wir uns doch über den neuen politischen Aktivismus in der Bevölkerung. Er könnte dazu führen, dass die Stimmbeteiligung steigt und das Wissen, wie mit Abstimmungsvorlagen mit Gegenvorschlägen umgegangen werden muss, zunimmt. Hier eine Überforderung der Stimmbürgerschaft zu sehen, ist doch abstrus. Es ist eine Aufforderung, sich mit politischen Fragen verschiedenster Art auseinanderzusetzen.