Glosse

Der Spieler: Wolfgang Kramer und der Spielemarkt

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Seit 40 Jahren entwickelt Wolfgang Kramer Spiele. Eine sehr lange Zeit. Aber auch für ihn bleibt der Spielemarkt ein Geheimnis.

Der 73-jährige Wolfgang Kramer, der mit seiner Frau Uschi in Stuttgart lebt, ist Doyen der deutschsprachigen Spielautoren. Seit 40 Jahren entwickelt er Brett- und Gesellschaftsspiele. Fünfmal hat er den Preis für das «Spiel des Jahres» gewonnen («Heimlich & Co.», «Auf Achse», «El Grande», «Tikal» und «Torres»), die weltweit wichtigste Auszeichnung für Gesellschaftsspiele. Mehrmals schaffte er es auf die Nominierungsliste zum «Spiel des Jahres», zuletzt mit seinem Kartenspiel «Abluxxen». Ein weiteres seiner Kartenspiele, «6 nimmt!», zählt seit Jahren zu den modernen Klassikern, die in jede gut dotierte Spielesammlung gehören. Seine Klasse und seine Erfolge erlaubten es Kramer, als einer der ersten in Deutschland aus seinem Hobby, dem Entwickeln von Spielen, seinen Hauptberuf zu machen. Dafür hatte der Betriebswirtschafter und Informatiker 1988 immerhin eine anspruchsvolle Tätigkeit als Leiter eines Rechenzentrums mit 14 Mitarbeitenden aufgegeben.

Erstaunliche Äusserungen

Wer sich wie Wolfgang Kramer als Selbständiger über ein Vierteljahrhundert auf dem freien Markt bewegt und – mehr noch – behauptet, kennt die Launen und Gesetze ebendieses Marktes aus dem Effeff. Sollte man annehmen können. Umso mehr erstaunen seine Äusserungen in einem Interview, das jüngst auf der Web-Seite «Reich der Spiele» publiziert worden ist. So sagt Kramer an einer Stelle: «Über 40 Jahre entwickle ich Spiele für Menschen und ich habe es immer noch nicht geschafft, zu verstehen, mit welchen Spielen ich die Menschen am besten erreiche. Was ist das grosse Geheimnis des Spielemarktes?» Und ein paar Abschnitte weiter stellt er fest, dass er trotz seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Autor immer noch nach dem «Geheimnis des Marktes» suche, vor allem nach dem Geheimnis des Massenmarktes. Das klingt schon fast resigniert, zumal Kramer seiner Äusserung die Bemerkung voranstellt: «Von meinen über 200 verlegten Spielen gibt es nur ein einziges, das sich in diesem Markt etablieren konnte, nämlich ‚6 nimmt!‘».

Mit einer gewissen Sorge beobachtet Erfolgsautor Kramer die Entwicklung in Richtung eines zweigeteilten Spielemarkts mit dem internationalen Markt für anspruchsvolle und komplexe Spiele auf der einen und dem Markt für Gelegenheitsspieler auf der anderen Seite. Die Spieleszene kenne sich nur bei anspruchsvollen und originellen Spielen aus, bemängelt er und sagt: «Diese Spiele sind im Fokus und erhalten Auszeichnungen.» Der andere Spielemarkt hingegen werde «so gut wie nicht» wahrgenommen, was Kramer für problematisch hält: «Dabei ist dies der wichtigere Markt, denn hier werden die Klassiker geboren, die auch noch nach Jahrzehnten nachgefragt werden. Nur in diesem Markt steht ein grösseres Wachstumspotenzial für das Spiel.»

Dem Markt ausgeliefert

Fühlt sich Kramer als Spieleautor den Gesetzen des Marktes ausgeliefert? Das Interview hinterlässt bei mir diesen Eindruck. Und das, obwohl er meines Erachtens genau weiss, was ein Spiel zu einem Erfolgsspiel macht: «Originalität ist besonders wichtig, aber auch, ob es einem Spiel gelingt, bei den Spielern Emotionen zu wecken. Es gibt sehr viele Kriterien, die zu einem Erfolg beitragen können, letztlich ist aber nur eine Eigenschaft entscheidend: der Spielreiz. Nur dann, wenn ein Spiel immer wieder gespielt werden möchte, gelingt es, ein Spiel längerfristig im Verlagsprogramm zu halten.» Mit diesem Erfolgsrezept müsste sich der Spielemarkt doch beeinflussen lassen, sofern dieser einigermassen den «normalen» Marktgesetzen folgt.

Eine naive Annahme, denn die Realität präsentiert sich ganz anders. Jedes Jahr kommen nämlich Hunderte von Spielen neu auf den Markt, die nach kurzer Zeit schon wieder aus den Regalen verschwinden. Denn der Handel ist gnadenlos, wenn sich Spiele nicht durchsetzen. Langweilige Massenware, Spiele, die weder originell noch emotional noch reizvoll sind, haben keine Chance. Wenn die deutschen Spielverlage für die ersten neun Monate des laufenden Jahres ein Umsatzplus von 8,4 Prozent verzeichnen, ist dieses nicht den schnelllebigen Produkten zu verdanken, sondern den Klassikern unter den Gesellschaftsspielen, wie «Mensch, ärgere Dich nicht!», «Siedler von Catan», «Carcassonne» oder «Qwirkle».

Verlage unter Zwang

Ich habe den Verdacht, dass Verlage und Handel die Geheimnisse des Spielemarkts ebenso wenig kennen wie die Spielautoren. Was ist mir in den mehr als 40 Jahren, in denen ich mich mit Spielen und ihrer Welt beschäftige, von den Verlagen und ihren Marketingexperten schon als Erfolgsstrategie angepriesen worden, selbst von namhaften Verlagshäusern. Vielfach mit mit einem herablassenden Blick, ach, Ihr Spielekritiker und Jury-Mitglieder, Ihr mit Euren Qualitätskriterien habt doch eh keine Ahnung vom Geschäft … Nein, haben wir nicht. Das Geschäft überlassen wir gerne den Verlagen und ihren Fachleuten in den Verkaufsabteilungen. Aber wir würden nie zulassen, dass ein Titel, der für erfahrene Vielspieler gedacht ist, in einer Aufmachung auf den Markt kommt, der an ein Kinderspiel erinnert. Total daneben. Gemeint ist «Broom Service», das aktuelle «Kennerspiel des Jahres».

Die Branche scheint unter einem unheimlichen Zwang zu stehen, Jahr für Jahr Unmengen von Neuheiten auf den Markt zu werfen. Das verschlingt Ressourcen und stiehlt die Zeit, kontinuierlich und intensiv über das Spiel und das Spielen nachzudenken. Was spricht die Menschen an, die Kinder, die Jugendlichen, die Älteren, was verbindet Generationen, was macht richtig Spass, was fordert und fördert menschliche Kompetenzen? Es sind exakt die Fragen, die der erfahrene Erfolgsautor Wolfgang Kramer gestellt hat.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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