Glosse

Der Spieler – Kleines Spiel polarisiert die Szene

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Die einen bejubeln es als das beste Spiel seit «Siedler», die anderen halten es für eine langweilige Würfelei: «Machi Koro».

Endlich wieder mal ein neues Spiel, das so richtig polarisiert. Vor uns liegt «Machi Koro», ein Städtebauspiel aus Japan. Ein gewisser Karsten kommentiert dazu auf der Website «Reich der Spiele»: «Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Machi Koro ist einfach geil! Ich spiele es fast jeden Tag mit unterschiedlichen Leuten. Kollegen, Freunde, Kinder. Alle mögen das Spiel, nur ihr tanzt aus der Reihe. Habt ihr das überhaupt richtig gespielt? Machi Koro ist das beste Spiel seit (sic!) Siedler!» Die Antwort von Frank kommt postwendend: «Ganz ehrlich: Ich war froh, als die Partie vorbei war. Nach ein paar Minuten war klar, wer gewinnt. Nur was macht man, wenn jemand seinen kommenden Sieg bis zur letzten Karte auskosten möchte (und es dann doch noch versaut)? War echt eine zeitliche Quälerei.»

Medienhype mit Wirkung

Warum diese Diskrepanz in der Beurteilung? Das hängt im wesentlichen mit der Art und Weise zusammen, wie «Machi Koro» von den USA her auf den deutschsprachigen Markt gekommen ist. Ich erinnere mich noch, wie an den Internationalen Spieltagen 2013 in Essen alle von einem sagenhaften Spiel aus Japan geschwärmt hatten, bei dem jeder mit Karten eine eigene Stadt zusammenbaue, «Machi Koro» eben, was auf Deutsch «Stadt würfeln» heisse. Ein Superspiel, ein neues «Dominion» (2009 als «Spiel des Jahres» ausgezeichnet) gar, das man unbedingt haben müsse – dieser Ruf hatte sich in Windeseile über das Internet ausgebreitet und war dem Spiel voraus geeilt. Der Medienhype zeigte Wirkung: Innert kürzester Zeit war «Machi Koro» an der «Spiel 13» ausverkauft. Leider war ich zu wenig schnell, und so war ich damals frustriert nach Hause gefahren. Frustriert, weil ich den möglichen Nachfolger des Neoklassikers «Siedler von Catan», als der «Machi Koro» auch schon gesehen wurde, nicht gleich auspacken und selber spielen konnte.

Superspiel, ein neues «Dominion», Nachfolger von «Siedler von Catan» – solche und andere Vorausqualifikationen weckten überall hohe und höchste Erwartungen. Nicht nur in Bezug auf den Auftritt (Verpackung, Material, graphische Gestaltung), sondern auch auf den spielerischen Gehalt. Dies vor allem. Würde «Machi Koro» eine Welt bieten, in die man stundenlang würde eintauchen können? Ein Erlebnis, das auch emotional packt? Eine intellektuelle Herausforderung mit einem Ablauf, den ich als Spieler dank meiner strategischen und taktischen Fähigkeiten grösstenteils selber bestimmen kann?

Ohne Würfel läuft nichts

Genau hier liegt der Haken. Denn «Machi Koro» ist weder ein «Dominion», noch ein «Siedler von Catan», sondern ein toll verpacktes, letztlich aber einfaches Würfelspiel. Alle Teilnehmenden bauen für sich mit Hilfe von Karten eine Stadt auf. Unternehmen, wie Bäckereien, Möbelfabriken oder Bergwerke gehören dazu, daneben eine Infrastruktur mit Funktürmen, Einkaufszentren oder Bahnhöfen und schliesslich auch Einrichtungen für Sport, Freizeit und Vergnügen (Fussballstadien, Cafés). Im zeitgemässen Städtebau dürfen weder Grünflächen noch Obstplantagen (schliesslich sind wir auch ein wenig Selbstversorger …) fehlen. Die Realisierung eines solchen Projekts kostet Geld. Und dieses bekommt man, weil die Investitionen Erträge abwerfen. So bekommt man für ein Weizenfeld von der Bank eine Münze, für einen Mini-Markt gar deren drei. Wer ein Stadion besitzt, bittet seine Mitspielenden zur Kasse. Doch das Geld fliesst nicht einfach so. Vielmehr bestimmen ein oder zwei Würfel, welche Unternehmen Einkommen erbringen. Würfle ich beispielsweise eine Zwei, so bekommen alle, die einen Bauernhof besitzen, eine Münze aus der Bank. Das Einkommen aus den Stadionbesuchen wird mit einer Sechs generiert, und wer mit zwei Würfeln die Summe von Neun erzielt, sorgt für gute Stimmung am Spieltisch: Alle erhalten nämlich fünf Münzen.

Ohne Würfel läuft in «Machi Koro» nichts. Ob ich viel oder wenig verdiene, hängt letztlich vom Glück ab. Genau das ist es, was jene an diesem Spiel frustriert, die mehr Einfluss nehmen und mit Hilfe von strategischen und taktischen Überlegungen selber über den Ausgang des Spiels entscheiden wollen. Sie mögen es nicht, dem Schicksal so ausgeliefert zu sein. Zwar kann man in «Machi Koro» die Zusammensetzung seiner Karten, das heisst den Aufbau seiner Stadt, optimieren. Weil Einkaufszentren den Wert meiner Unternehmen steigern, lohnt es sich, solche in seine Auslage einzubauen. Oder befindet sich ein Bahnhof im Spiel, so lohnt es sich, ein Familienrestaurant zu errichten. Denn jetzt kassiert man vom Spieler, der eine Neun oder eine Zehn gewürfelt hat, zwei Münzen. Für eine Neun oder eine Zehn benötigt man jedoch zwei Würfel, und dieses Privileg bekommt, wer über einen Bahnhof verfügt. Taktische Überlegungen beim Städtebau hin oder her: Am Ende entscheidet der Würfel.

Wer Prämisse akzeptiert, hat Spass

Das ist eine feste Prämisse. Wer sie akzeptiert, kommt auch als Wenigspieler zu einem echt guten Spielererlebnis. Mir persönlich macht es nämlich Spass, in der Hoffnung, das Würfelglück doch noch auf meine Seite zu zwingen, die Auslage der Städtebaukarten in jeder Runde neu zu optimieren. Der Würfel macht zwar immer noch, was er will, aber man weiss ja nie … Und gerade hier erlebt man eine der schönsten Seiten des Spielens: Wenn einmal etwas schief gelaufen ist, bekommt man immer wieder eine neue Chance, das nächste Mal doch noch zu reüssieren. Wo hat man das sonst im Leben?

Hat das Internet «Machi Koro» kaputt gemacht? fragt die US-Webseite Boardgamegeek. Bis zu einem gewissen Grad ja, weil der Hype falsche Erwartungen geweckt und deshalb vor allem die Freaks enttäuscht hat. Die Schuld für ihre Frustration können diese jedoch nicht anderen in die Schuhe schieben, denn sie haben schlicht das Kleingedruckte auf der Verpackung übersehen. Es heisst dort zwar gross «Bau dir deine Stadt», aber auf der Rückseite gibt es eine kurze Japanisch-Lektion «für Anfänger»: «Machi = die Stadt, «Koro» = würfeln.

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Machi Koro: Stadtbauspiel mit Würfeln von Masao Suganuma für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Kosmos Spiele (Vertrieb Schweiz: Lemaco SA, Ecublens), ca. Fr. 20.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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Der Spieler: Alle Beiträge

Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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