Glosse
Der Spieler: Wühlen in 70 000 Spielen
«Die Idee war überfällig. Ein Nachschlagewerk zu schaffen, das es bisher in dieser Form auf dem Spiele- und Büchermarkt noch nicht gab, ein Spiele-Lexikon nämlich, das nahezu alle Spiele erfasst, die in den letzten Jahren erschienen sind.» Mit diesen Worten leitete 1983 der Spielkritiker Helge Andersen sein Lebenswerk ein. Mit allen Ergänzungen und Nachträgen umfasste das «Spiele-Lexikon» am Schluss drei prall gefüllte gelbe Ordner im A-5 Format. Ich habe nie herausgefunden, wie Andersen neben seinem Hauptberuf als Lehrer Zeit hatte, alle nötigen Informationen zusammenzutragen und – mehr noch – jeden Titel auch noch zu bewerten und mit Noten zu versehen.
In meiner Bibliothek mit Büchern und Literatur zu Spielen nimmt das «Spiele-Lexikon» heute gleichsam einen Ehrenplatz ein. Benutzt habe ich es allerdings seit Jahren nicht mehr. Es hat sich überlebt und teilt so das Schicksal vieler anderer, noch berühmteren Lexika vom Brockhaus bis zur Encylopaedia Britannica: Sie verstauben, weil wir unsere Informationen nicht mehr in gedruckten Nachschlagewerken holen, sondern in den elektronischen Datenbanken. Auch die Informationen über Spiele und alles, was damit zusammenhängt.
Groove der Gründerjahre
Als in den 1990er Jahren die Computerei den Nimbus der Geheimwissenschaft verlor und das Abrufen digitalisierter Informationen dank dem World Wide Web (WWW) und namentlich mit dem Einstieg von Google auch benutzerfreundlicher wurde, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis technikaffine Spielfreaks begannen, Andersens Idee elektronisch umzusetzen. Die heute führenden Spiele-Datenbanken und -Internetportale haben alle ihren Ursprung in jener Zeit, so Luding, die österreichische Datenbank Ludorium sowie die amerikanische Boardgamegeek. Dass ich mich in dieser Kolumne heute mit Spieledatenbanken befasse, hängt mit der kürzlich veröffentlichten Medienmitteilung zusammen, wonach es seit dem Jahreswechsel eine neue deutschsprachige Datenbank für Gesellschaftsspiele gebe.
Wer den Groove der Gründerjahre noch ein wenig spüren will, hole sich einmal die Startseite von Luding auf den Bildschirm. Ihr Layout ist an Kargheit nicht zu überbieten. So hat man eben noch Datenbanken gemacht, als Luding (damals hiess sie noch GameBase) 1997 an der Technischen Universität Aachen entwickelt wurde. Heute gehört sie zum Spieleportal Hall9000 und umfasst gemäss eigenen Angaben Informationen über mehr als 26 000 Spiele aus über 3 600 Verlagen. Im Unterschied zu vielen Spieledatenbanken enthält Luding neben den Angaben zu Autoren, Verlagen, Auszeichnungen oder Material keine eigene Rezensionen. Dafür verlinkt sie zu Besprechungen in anderen Medien. Das ist für mich die Stärke von Luding. Ich nutze diese Datenbank vor allem, wenn ich wissen will, was andere Kolleginnen und Kollegen über ein Spiel geschrieben haben. Insgesamt gibt es über 53 000 solcher Verweise. Das Spiel mit den meisten verlinkten Besprechungen ist gemäss Luding-Statistik übrigens «Carcassonne»: Auf das «Spiel des Jahres» 2001 wird insgesamt 54mal verwiesen, von AIEOU bis Westpark Games, eine wahre Fundgrube.
Ein gewaltiges Stück Arbeit
Mit dem Material von Luding arbeitet die neue Online-Datenbank gesellschaftsspiele.spielen.de, die seit Anfang 2015 gemeinsam von der Mediatrust, dem Nostheide-Verlag und dem freien Spiele-Journalisten Sebastian Wenzel betrieben wird. Warum man in dieses Geschäft einsteigen will, wird wie folgt begründet: «Spielen ist ein Kulturgut, das gilt auch für Gesellschaftsspiele. In den digitalen Medien wird das Kulturgut Gesellschaftsspiel allerdings bisher nicht ausreichend professionell als zentrale Spielgattung dargestellt und präsentiert.» Diesen Mangel beheben will jetzt Wenzel, der auf den verschiedensten Kommunikationskanälen mit Spielethemen präsent ist. Dazu hat er zwei kompetente Partner gefunden: Mediatrust ist ein starker Entwickler und Anbieter von Online-Spielen in Deutschland, während im Nostheide-Verlag die Publikumszeitschrift «Spielbox» erscheint. Erfasst sind derzeit 22 400 Spiele, von denen knapp 10 Prozent in den vergangenen Monaten mit Kurzbeschreibungen und Schlagworten versehen wurden. Geplant ist auch, verschiedene bereits bestehende Diskussionsforen in die Datenbank zu integrieren. Mich stört im Moment noch (in der Beta-Phase) die Gemengelage von Online- und Brettspielen auf ein und derselben Homepage. Den Initianten und Betreibern der neuen Datenbank für Gesellschaftsspiele steht also noch ein gewaltiges Stück Arbeit bevor, vor allem, wenn sie das Niveau von Ludorium oder aber – dies erst recht – von Boardgamegeek erreichen wollen.
Paradies für Brettspiele
Führt die Web-Adresse spielen.de primär mal zu Spielen am Computer, so landet man über spielen.at direkt im Paradies für Brett- und Gesellschaftsspiele. Dahinter steckt die Stiftung Spielen in Österreich des Ehepaars Dagmar und Ferdinand de Cassan, das sich seit den 1980er Jahren für die Förderung des Kulturguts Spiel in Österreich engagiert. Dazu gehört unter anderem seit 30 Jahren die Organisation des Spielfests in Wien, das im vergangenen November 70 000 Besucherinnen und Besucher angelockt hat, sowie das Österreichische Spielemuseum, das über einen Bestand von 25 479 Spielen verfügt. Alle diese Spiele sind in der Datenbank Ludorium erfasst, die derzeit gerade ein Facelifting erfährt. Verbessert werden soll bei der ältesten Spieledatenbank, die online ist, die Benutzerfreundlichkeit mit Schnellzugriff auf bestimmte Abfragekategorien, wie zum Beispiel «Spiele für Freunde» oder «Spiele für Experten». Dass gerade dieser Punkt verbessert wird, hat nach Ferdinand de Cassan einen Grund: «Alles, was andere Datenbanken gerne haben möchten, funktioniert bei uns. Die Beratung der Besucher steht an erster Stelle.» Was mir an Ludorium gefällt, sind die gute Erschliessung und die verschiedenen Möglichkeiten, auf den Spielefundus zuzugreifen. So kann ich gezielt nach Bewegungsspielen für 4 Personen ab 8 Jahren suchen. Ein weiterer Pluspunkt besteht für mich darin, dass bei vielen Titeln nach der Besprechung auch vergleichbare Spiele aufgeführt sind.
Wer aber wirklich alles über ein Spiel erfahren will, kommt bei der Suche nicht um Boardgamegeek (BGG) herum, die Mutter aller Spieledatenbanken. Sie wurde im Januar 2000 gestartet und verweist heute auf über 74 000 Spiele. Zu den einzelnen Titeln findet man kürzere oder längere Besprechungen, Hinweise auf andernorts erschienene Rezensionen, auf Einträge in Blogs, Diskussionsforen, Beschreibung von einzelnen Partien. Alles in allem eine Flut von Daten und Informationen, was auch für die BGG-Macher eine unendliche Herausforderung darstellt, wie sie in Interviews immer wieder betonen. Das scheint aber der Preis dafür zu sein, wenn man, wie Scott Alden sagt, das Ziel verfolgt, «die definitive Web-Seite für Brettspiele» zu sein. Ein hoher Anspruch, der ohne das Engagement der unzählige Spielfreaks umfassenden Community, welche BBG letztlich trägt, niemals einzulösen wäre.
Attraktive Ratings
Für mich ist es manchmal eine hübsche Spielerei, auf den Boardgamegeek-Seiten rumzusurfen. Meistens bleibe ich bei den Ratings und Rankings hängen und schaue nach, wie die Community meine Lieblingsspiele einstuft. So wird das kleine Kartenspiel «6 nimmt!» mit 6,88 von 10 möglichen Punkten bewertet, womit es auf der Rangliste aller Spiele den 437. Platz einnimmt. Ähnlich eingestuft wird das preisgekrönte Legespiel «Qwirkle», das 6,86 von 10 Punkten erzielt und auf Platz 461 kommt. Liebling der BGG-Gemeinde ist übrigens das aus dem Jahr 2005 stammende Zweierspiel «Twilight Struggle» mit einem durchschnittlichen Rating von 8,33/10 Punkten. Spass macht mir auch das Abfragen auf der Kategorien-Seite. Ich klicke auf «Environmental» und schon werden insgesamt rund 630 Spiele aufgeführt, die dem Thema Umwelt zuzuordnen sind, so zum Beispiel «Augen auf beim Umweltkauf» aus dem Jahr 1987, das 2011 erschienene «Dreck weg!» oder das altbekannte «Wildlife» (1964). Wer Lust hat, kann hier unter den knapp 800 Spielen stöbern, die thematisch in der Französischen Revolution oder zu Napoleons Zeiten angesiedelt sind, oder unter den fast 900 Eisenbahnspielen.
Man könnte stundenlang in Spieledatenbanken herumklicken. Auch schön, aber noch sinnvoller ist es, das Spiel auf den Tisch zu bringen und mit anderen loszulegen, wenn man einmal fündig geworden ist,
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».