Glosse

Der Spieler: Wie eine Liste das Spielfieber weckt

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Über 500 Neuheiten sollen an der Spielmesse «Spiel '13» in Essen präsentiert werden. Was steckt hinter den wohlklingenden Titeln?

Eigentlich müsste ich abgeklärt sein. Wenn ich Ende Oktober an die «Spiel ’13», die weltweit grösste Messe für Gesellschaftsspiele, fahre, weiss ich genau, was mich erwartet. Schliesslich bin ich seit der Premiere im Jahr 1982 dabei. Es wird auch dieses Jahr wie in den vergangenen Jahren sein: Hunderte von Neuheiten und ein unglaubliches Gedränge in den Hallen der Essener Messe. Alles wie gehabt und dutzendmal erlebt.

Und trotzdem packt mich jedes Jahr das Fieber. Auch jetzt wieder, wo die Einladung zur Neuheitenschau ins Haus geflattert ist und die führende Fachzeitschrift «Spielbox» berichtet, dass per 30. August 524 neue Brett- und Kartenspiele angekündigt sind. 27 Druckseiten füllt die Liste. Ich überfliege sie, und schon beginnt das Spiel, das ich ab jetzt bis Ende Oktober mehrmals spiele. Ich nenne es das «Vor-Essen-Namensspiel». Es ist ganz einfach, man benötigt kein Material, bloss ein wenig Phantasie: Ich stelle mir vor, was sich hinter den wohlklingenden Titeln verbergen könnte. Welche Art von Spiel, welche Grafik, welches Zielpublikum?

Manchmal machen es einem die Namensgeber leicht: Bei «Tide of Iron: Stalingrad» kann es sich nur um ein Kriegsspiel (Wargame) handeln, die in Deutschland aus historischen Gründen eher verpönt sind, in den USA aber ein grösseres Freak-Publikum haben. «Glückauf» entführt die Spielerinnen und Spieler in das Stollenlabyrinth eines Kohlebergwerks, nehme ich an. Thematisch ähnlich angesiedelt dürfte «Atacma» sein, das Bezug nimmt auf die für ihre Salzbergwerke bekannte Atacma-Wüste in Chile. In einem Gewirr von Gängen muss man sich wohl auch im «Das Labyrinth des Pharao» bewegen. Allerdings taucht man da auch in die Geschichte ab, wie so oft bei Spielen. Hier geht man zu den Pharaonen wie auch bei «Pharao Code», bei «The Downfall of Pompeii» zu den alten Römern, und es würde mich wundern, wenn sich «Amerigo» nicht um die Entdeckungsfahrten Amerigo Vespuccis drehte. Zeitlich klar lokalisierbar sind hingegen «Rokoko» und «Sigismundus Augustus: Dei gratia rex Poloniae».

Titel als Warnsignal

Der Titel «Speed Cups» ist für mich ein Warnsignal «Achtung Tempo!». Solche Spiele mag ich nicht so. Und so werde ich auch «Professor Tempus» mit einer gewissen Skepsis betrachten, da Zeit hier eine wichtige Rolle spielen dürfte. Und bekanntlich gewinnt ja in solchen Spielen nie der langsamste Teilnehmer. «Rarrr!» dürfte aus demselben Grund nicht mein Liebling werden (möglicherweise liege ich mit meiner Einschätzung aber auch total daneben …). Ob in «Factory Fever» Stress und Hektik in einem Industriebetrieb simuliert werden, wer weiss? Dann wäre dies quasi die spielerische Umsetzung von Chaplins «Modern Times». Solche Assoziationen veranlassen mich immer, näher hinzuschauen: Wie ist das filmische Vorbild im Spiel umgesetzt worden? Diesmal stelle ich die Frage vor allem bei «Le Fantôme de l’Opéra». Ein solcher Titel weckt immer hohe Erwartungen. Sie konnten in der Vergangenheit nicht immer erfüllt werden, wie die Misserfolge von «Der Pate» oder «Der Name der Rose» auf dem Spielemarkt zeigen. Offenbar wollen sich die Verleger dieses Jahr die Finger nicht verbrennen – auf der Essener Neuheitenliste befinden sich praktische keine Titel, die sich an literarische Vorbilder anlehnen.

Süsses und Futterneid

Ein Spiel habe ich entdeckt, das einen biblischen Hintergrund besitzt, «Arche Noah». Was könnte da wohl gespielt werden? Das Wettrennen gegen die Zeit beim Bau der Arche, die spannende Auswahl der Tiere oder das Gedränge unter Deck? An der Messe in Essen wird das Geheimnis gelüftet. Titel wie «Der Millionen Coup» regen meine Phantasie in zwei Richtungen an: Geht es hier um einen Millionenraub oder einen völlig legalen Millionendeal in der Finanzbranche? Unter «Kitchen Garden» kann ich mir überhaupt nichts vorstellen, unter «Citrus» schon ein wenig mehr. Sicher sind da Zitronen im Spiel, aber muss man sie ernten? Oder essen? Zu sauer? Da hätte ich lieber etwas Süsses, zum Beispiel «Sugar Glider», ein Strategiespiel, bei dem es um das Sammeln von Früchten geht. Ob da wohl auch Futterneid aufkommt? Da wäre aber Friedemann Friese sauer, weil er in Essen mit einem Spiel namens «Futterneid» aufwartet.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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