Glosse

Der Spieler: Sport und Spiele ja, Sportspiele nein

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Sportsimulationsspiele tun sich auf dem Markt schwer. Selbst «Um Reifenbreite» als «Spiel des Jahres» schaffte es nicht. Warum nur?

Mit der 21. Etappe geht morgen Sonntag die 100. Auflage der «Tour de France», des längsten und schwierigsten Radrennens der Welt, zu Ende. Die Strecke passt zum Jubiläum: Sie führt durch die Schlossgärten von Versailles, dann geht es an der Stele zu Ehren des mehrfachen Tour-Siegers Jacques Anquetil vorbei zum Ehrenhof des Louvre. Das Fahrerfeld dreht hierauf eine Runde um den Arc-de-Triomphe und biegt schliesslich auf die Champs-Elysées ein. Die Organisatoren haben die Ankunft auf 21.45 Uhr in der Abenddämmerung geplant, um dem Publikum einen weiteren «magischen Moment» zu vermitteln, an denen die Tour so reich ist.

Ein Velorennen, egal ob es sich um die «Tour de France», den «Giro d‘Italia» oder die «Tour de Suisse» handelt, umfasst alles, was Menschen fasziniert: Sieg und Niederlage, Kampf, Taktik, Emotionen (von den Betrügereien mit Dopingmitteln reden wir hier jetzt nicht) – genau das, was Menschen unabhängig von Alter und Geschlecht im Gesellschaftsspiel suchen.

Sportliche Aktivitäten haben, abgesehen vom Leistungs- oder Profisport, sehr viel Spielerisches an sich, und umgekehrt steckt in den Spielen sehr viel Sportliches, wie etwa der Wettbewerb mit dem Kampf um den ersten Platz. Bei so vielen Gemeinsamkeiten zwischen Spiel und Sport sollte es doch auch eine Menge von Sportsimulationsspielen geben. Müsste man annehmen, zumal Spiele die Realität des Alltags abbilden und der Sport ein wichtiger Teil dieser Realität ist.

Von Verlagen und Spielern verschmäht

Dem ist jedoch nicht so. Wer sich in einem gut sortierten Spieleladen umschaut, stellt rasch fest, dass sämtliche Themenbereiche in den Regalen vertreten sind, Sportspiele aber einen verschwindend kleinen Platz einnehmen. Landwirtschaft, Städtebau, Geschichte, Eisenbahnen, Handel und Industrie, Besiedelung von Inseln, Spielcasinos, Beziehungen, Detektivgeschichten, exotische Länder, Fantasygestalten – alles kann man am Spielbrett miterleben. Aber Fussball, Boxen, Orientierungslaufen, Volleyball, Velorennen, Schwingen? Fehlanzeige, bis auf wenige Ausnahmen.

Verlage lassen die Hände von Sportspielen. Spielerinnen und Spieler verschmähen sie. Mit den Gründen für diese doppelte Abneigung hat man sich in der Szene meines Wissens bisher nicht intensiv auseinandergesetzt. Dabei liegen sie auf der Hand: Sport spielt oder simuliert man nicht. Sondern betreibt ihn selber aktiv, geht als Zuschauer oder Zuschauerin an Sportveranstaltungen oder guckt sich Sportsendungen am Fernsehen an. Den echten Fans einer Sportart genügt das, sie können ihre Begeisterung und ihre Emotionen bei der Live-Übertragung von Fussballspielen, Ski-, Rad- und Autorennen direkt ausleben, sie brauchen dafür keine Brett- oder Kartenspielsimulation mehr, die für sie eh nicht an das Vorbild heranreicht. Und wer Sport nicht mag, für den gibt es überhaupt nicht die geringste Motivation, sich an einen Tisch zu setzen und mit der Familie ein Fussball-Brettspiel zu spielen, von denen es erstaunlicherweise doch eine ganze Reihe gibt.

Langweilige «Würfelorgien»

Sportspiele haben höchstens als Action-Spiele eine Chance. Das erklärt die ungebrochene Attraktivität von Tipp-Kick und der Sportsimulationsspiele am Computer, wo es vor allem auf die Reaktion ankommt. Hier können die Spielenden Spannung und Emotion live miterleben, während viele Fussballbrettspiele im Grunde genommen langweilige «Würfelorgien» sind, wie ein österreichischer Kollege einmal bemerkt hat. In den Spielanleitungen sind zwar unendlich viele Aktionsmöglichkeiten beschrieben, aber nach kurzer Zeit schon merkt man, dass sich die Züge nur wiederholen und man letztlich gespielt wird. Spätestens nach der Fussball-Weltmeisterschaft, in deren zeitlichem Umfeld Fussball-Simulationsspiele zuhauf auf den Markt geworfen werden, landen solche Spiellustkiller auf dem Flohmarkt. Und es nützt einem Spiel auch nicht eben viel, wenn seine Macher einerseits bewusst vom gängigen Simulationsmuster abweichen, andrerseits aber mit komplizierten Regeln unnötig hohe Einstiegshürden schaffen. So passiert beim «Millionen Schwalben» des Berner Fatamorgana Verlags.

Immerhin hat es 1992 ein Sportspiel auf die Liste der Preisträger von «Spiel des Jahres» geschafft – «Um Reifenbreite» des Holländers Rob Bontenbal. Spielerinnen und Spieler sind Teamchefs, die ihre vier Radrennfahrer über einen kurvenreichen Rundkurs jagen. Um den Sieg zu erringen, reicht Tempobolzen allein nicht. Taktik ist ebenso gefragt, eingeschlossen das auch bei richtigen Velorennen kräftesparende Windschattenfahren. «Um Reifenbreite» war ein gutes Familienspiel. Es hat aber den Durchbruch beim breiten Publikum nicht geschafft. Die generelle Abneigung gegenüber Sportspielen war stärker als die werbeträchtige Auszeichnung «Spiel des Jahres». Der als überrissen witzig empfundene Comic auf dem Cover verstärkte diese Abneigung zusätzlich.

Was «Um Reifenbreite» nicht gelang, hat «Formula D» (früher «Formule Dé») geschafft. Das Formel 1-Würfelspiel hat sich mit Fangemeinden auf der ganzen Welt zu einem eigentlichen Kultspiel entwickelt. Gerade bei Jugendlichen, die im Spiel ein Gruppenerlebnis suchen, ist es sehr beliebt. Das Spiel bietet einen schnellen Einstieg, ist sehr realitätsnah und bietet den Chefs der Rennställe die Möglichkeit, ihre Lust am Risiko auszuleben und dafür entweder belohnt oder aber bestraft zu werden. Das löst Nervenkitzel aus, für Spannung und Emotionen ist also gesorgt. Eine Stärke des von Eric Randall und Laurent Lavaur entwickelten Spiels ist es, dass mittlerweile Dutzende von Rennstrecken angeboten werden, von Monaco über Silverstone bis zum Nürburgring. Da kommen die Fans voll auf ihre Rechnung – der Verlag auch.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung»

Zum Infosperber-Dossier:

Synes_Ernst 2

Der Spieler: Alle Beiträge

Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.