Glosse
Der Spieler: Schachtelgrösse spielt keine Rolle
Das hat es in der über dreissigjährigen Geschichte von «Spiel des Jahres» noch nie gegeben: Mit «Hanabi» und «Qwixx» stehen gleich zwei kleinformatige Spiele auf der Nominierungsliste, welche die Fachjury nach ihrer Klausurtagung zu Beginn dieser Woche veröffentlicht hat. Begleitet werden die beiden Kleinen von «Augustus», das aus dem Genfer Verlag Hurrican stammt – auch ein bemerkenswertes Ereignis, da Spiele aus der Schweiz höchst selten so prominent auf den Jury-Listen platziert sind.
Die Ausgangslage vor der Wahl zum «Spiel des Jahres», deren Ergebnis am 8. Juli in Berlin bekannt gegeben wird, ist eine echte Überraschung. Zumindest aus der Sicht des Publikums. Denn in Fachhandels- und Spielerkreisen herrscht immer noch die Meinung vor, nur ein Titel, dessen Material eine grosse Schachtel füllt und der mindestens 28.50 Fr. kostet, könne die begehrteste Auszeichnung im Bereich der Spiele gewinnen.
Botschafter für das Spiel
Für die Meinung des Fachhandels kann man ein gewisses Verständnis aufbringen. Er verdient mit einem hochpreisigen Spiel schlicht mehr als mit einem, für das Kundinnen und Kunden weniger zu bezahlen haben. Kommt hinzu, dass sich ein mit dem Label «Spiel des Jahres» aus der Masse herausgehobenes Spiel viel besser verkauft als ein Titel, der nackt und ohne besonderes Merkmal im Regal steht. Mit einer Auflage von 300 000 und mehr sind alle bisherigen Preisträger auch die jeweils wichtigsten Umsatzträger in einem hart umkämpften Markt. Besser, sie hätten das Potenzial zum wichtigsten Umsatzträger. In Wirklichkeit sieht es (vor allem in Deutschland) ein wenig anders aus. Denn gerade beim «Spiel des Jahres» findet ein regelrechter Preiszerfall statt: Spott- und Schnäppchenpreise für ein höchst attraktives Angebot – die Kunden freuts, den Spielekenner schmerzts, weil ein wertvolles Kulturgut gleichsam verschleudert wird.
Mehr Mühe habe ich, wenn Spielerinnen und Spieler einem «kleinen» Spiel nicht zutrauen, die Rolle eines Botschafters für die Idee von «Spiel des Jahres» zu übernehmen. Das «Spiel des Jahres» ist ja nicht das beste Spiel aus dem Angebot eines Jahres. Es ist vielmehr das Spiel, von dem die Jury überzeugt ist, dass es derzeit das Spiel ist, das möglichst viele Menschen vom Wert des Miteinanderspielens überzeugt und das möglichst viele Menschen zum Spielen verführt. Das kann ein kleinformatiges Spiel ebenso gut wie ein grosses. Tom Felber, Vorsitzender der Jury «Spiel des Jahres», schreibt: «Es kommt nicht auf die Schachtelgrösse an. Oft sind gerade kleine preiswerte Spiele sehr raffiniert und bieten enormen Spielspass. Weil sie überall hin mitgenommen und nahezu an jedem Ort gespielt werden können, sind manche von ihnen die idealen Botschafter, um das Spiel als Kulturgut in Familie und Gesellschaft weiter zu verbreiten, was ja das zentrale und eigentliche Anliegen ist, das die Jury «Spiel des Jahres» mit ihren Preisen, Nominierungen und Empfehlungslisten verfolgt.»
Felber spricht auch davon, dass man im Nominierungsentscheid auch ein «Statement» sehen könne, «das längst fällig war». Mit anderen Worten: Die Jury hat sich gegenüber den Kleinformaten geöffnet. Das ist neu. Selbst als mit dem genial einfachen Ablegespiel «6 nimmt!» 1994 ein Titel auf dem Markt war, der das Zeug zum «Spiel des Jahres» gehabt hätte, entschieden sich die Juroren für «Manhattan», das neben dem Preisträger-Potenzial das normale Grossformat als zusätzlichen Pluspunkt aufwies. Diese Entscheidung war auch eine Art Statement: Im Rennen um die Krone der Spiele würden die Kleinen gegen die Grossen kaum je eine Chance haben, Beliebtheit beim Publikum hin oder her.
Entscheid vorgespurt
Mit seinem Kommentar zu den diesjährigen Nominierungen und Empfehlungen hat der Vorsitzende den Entscheid vorgespurt. Es gebe zwar intern keine Favoriten, schreibt Felber, aber die Jury kommt meines Erachtens nicht umhin, entweder «Hanabi» oder «Qwixx» zum «Spiel des Jahres» zu wählen. Verliehe sie den Preis an «Augustus», würde sie das Vorurteil noch weiter zementieren, dass es herausragende Spielideen, die leider den «Makel» haben, dass sie mit 72 Karten umgesetzt werden, nie und nimmer auf den obersten Platz schaffen. Damit würde sie die Spiele in zwei Kategorien (preiswürdig – nichtpreiswürdig) aufteilen, was ja der Grundidee von Spielen als Kulturgut widerspricht.
Alle drei Spiele haben Preisträger-Potenzial. In «Augustus» wird die Bingo- oder Lotto-Idee in eine historische Umgebung versetzt und raffiniert um ein paar taktische Komponenten erweitert. Im kooperativen Kartenspiel «Hanabi» hält man die Karten verkehrt herum in der Hand, was die Mitspielenden zwingt, anders als in den gewohnten Bahnen zu denken. Und beim Würfelspiel «Qwixx» gelten die geworfenen Zahlen nicht nur für den Spieler, der gerade an der Reihe ist. Auch die Mitspielenden müssen den Wurf geschickt für sich selber nutzen. Allen drei Titeln ist gemeinsam, dass sie bei leichtem oder relativ leichtem Einstieg ein tolles Spielerlebnis bieten. Sie richten sich an ein breites Publikum, genau so, wie es der Sinn von «Spiel des Jahres» ist.
Meine Hoffnung ruht auf «Hanabi», das in allen Runden, in denen ich es gespielt habe, eine Wirkung entfaltet hat, die eines Preisträgers würdig ist: Viel-, Wenig- und sogar Nichtspieler werden mitgerissen und innert kurzer Zeit entsteht am Tisch ein dichtes Kommunikationsnetz, das alle miteinander verbindet. Alle Teilnehmenden spüren sehr schnell, dass sie Teil eines Ganzen sind und jeder Verantwortung für das Endergebnis zu übernehmen hat. Bei gelungenen Zügen teilt man sich die Freude, bei Missgeschicken ärgert man sich gemeinsam. Spiele, die das bieten, mag ich besonders. Hoffentlich sieht das die Jury auch so.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung»