Glosse
Wenn Journalisten mit Experten renommieren
Experten wissen von immer weniger immer mehr, bis sie von nichts alles wissen. Darin unterscheiden sie sich von uns Journalisten. Denn Journalisten wissen von immer mehr immer weniger, bis sie von allem nichts wissen.
Damit keiner merkt, dass wir nichts von allem wissen, fragen wir Expertinnen und Experten. Aber keine Gewöhnlichen. Prestigebewusste Medienleute interviewen bevorzugt den «profilierten Kenner», den «hervorragenden Professor» sowie die «renommierte Kommunikationswissenschaftlerin». Oder den Experten, der zu den «hochkarätigsten» und «renommiertesten» zählt.
Hochkarätige und Hervorragende arbeiten oft an Instituten und Universitäten, die nicht alle kennen. Darum betonen Radio, TV und Zeitungen, dass es sich um das «renommierte Institut» X der «führenden Universität» Y handelt. Wobei der Begriff «Institut» dehnbar ist. SP-Nationalrat Andreas Gross zum Beispiel steht einem «Institut für direkte Demokratie» vor. Dabei handelt es sich um sein Einmann-Büro im Jura – was freilich nicht ausschliesst, dass auch Andreas Gross zu den renommiertesten Experten gehört.
Experten werden meist mit Namen zitiert, was erlaubt, ihr Renommé zu überprüfen. Oft aber können Journalisten Befragte nicht beim Namen nennen. Dann zitieren sie «Beobachter» oder «gut informierte Kreise». Wobei es sich beim «best informierten Kreis» meist um den Daumen des Journalisten handelt. Daraus saugt er sein gesammeltes Nichtwissen, wenn er keinen namhaften Fachmann auftreiben kann.
Wenn Journalisten mit Experten renommieren, so tun sie das allein für Sie als Radiohörer oder Zeitungsleserin. Denn eine hervorragend informierte Person können Sie nur werden, wenn sie sich von den renommiertesten Experten belehren lassen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Hanspeter Guggenbühl ist freier Journalist und renommierter Mitarbeiter von Infosperber
Spannend ist auch, für welche profanen Feststellungen bisweilen in gewissen Medien auf Experten zurückgegriffen wird. Tolles Beispiel heute in der «SonntagsZeitung": Experten warnen vor den noch kühlen Flüssen – als ob man die Wassertemparatur nicht ohne Experten feststellen könnte. (http://www.sonntagszeitung.ch/home/artikel-detailseite/?newsid=254709)
Experten-Innen statt Amateure, letztere lieben wenigsten was sie tun und was sie vorgeben (ansatzweise) zu verstehen. Jeder ungebildete Mensch erkennt intuitiv oder erfahrungsgemäss die Gefahr einer Gewitterwolke (cumulonimbus). Der gebildete Mensch/Menschin 😉 verlässt sich auf Wetterexperten und die Alarmsysteme «Sturmwarnung» und «Vorsichtsmeldung". Wenige wissen, dass gemäss offizieller Statistik die Trefferquote nur 37%*) betragen. Wesentlich ist, ob sich Mensch oder Menschin in einem expertisisch anerkannten Gewitter vom Blitz erschlagen lassen, Pech, falls dies nicht expertistisch anerkannt ist….
*) betrifft die Sturmwarnung Walensee.
Eine notwendige Polemik. Der pikanteste Hinweis fehlt aber: Neuerdings bezeichnen unsere Deutschschweizer Tagesschau-Macher von SRF ihre Auslandkorrespondenten als Experten. Dieser Unfug gehört abgestellt, denn auch SRF-Journalisten sind nur eine unter vielen Journalisten-Stimmen, aus denen wir uns unsere Meinung selber bilden. Uns Zuschauern, Hörer und Leser reicht es übrigens, wenn eine oder ein befragter Meier oder Müller kompetent Auskunft gibt. Aus guten Gründen wurden doch in Wirtschaft und Verwaltung seit langem die unsäglichen Doktortitel abgeschafft. Da sollte man mit «Experten» nicht neue Schein-Hierarchien schaffen, die sich ja im einen oder andern denkwürdigen Fall als echte Fantom-Titel erwiesen haben. Peter Graf, Wabern
Lieber Hanspeter
Gefallen hat mir Deine vor allem auf Redaktoren zielende «Expertenschelte".
Du selber bleibst aber auch nicht vorm Hochjubeln durch den Infosperber verschont, renommiert
wie Du ja unzweifelhaft bist!!!
Dank und Gruss
Rolf Guggenbühl