Glosse
Der Spieler: Heftige Machtspiele im Vatikan
Seit der Ankündigung Benedikts XVI., er werde am 28. Februar von seinem Amt als Papst zurücktreten, tobt im Vatikan ein heftiger Machtkampf. Das erstaunt kaum. Der Oberhirte der katholischen Kirche zählt zu jenen Leaderfiguren, deren Wort weltweit noch etwas zählt. Deshalb ist es nicht egal, wer auf dem so genannten Heiligen Stuhl sitzt. Konservative Kreise möchten, dass künftig einer der Ihren die Kirche nach aussen repräsentiert. Liberalere Kräfte wirken hingegen darauf hin, dass ein Kardinal, der durch seine Offenheit aufgefallen ist, Papst wird. Bis im März das Konklave beginnt, können die verschiedenen Fraktionen und Gruppen für ihre Kandidaten weibeln. Diesmal steht den Lobbyisten mehr Zeit zur Verfügung, weil zwischen Ankündigung und Rücktritt drei Wochen liegen. Scheidet ein Papst infolge Tod aus dem Amt, ziehen sich die Kardinäle nach den Beerdigungsfeierlichkeiten ohne längere Vorlaufzeit zur Wahl in die Sixtinische Kapelle zurück.
Was während eines Konklaves passiert, zählt zu den bestgehüteten Geheimnissen des Vatikans. Das öffnet der Spekulation Tür und Tor. Klar ist nur eines: Für die Wahl braucht es eine Zweidrittelmehrheit der insgesamt 117 Wahlberechtigten. Wenn nun die Fraktion der italienischen Kardinäle einen Papst aus Italien ins Amt hieven will, benötigt sie unbedingt Stimmen aus anderen Ländern und Kontinenten. Sie ist zwar mit 28 Mitgliedern die grösste in der Wahlversammlung, aber diese Zahl reicht noch längst nicht, um einen eigenen Kandidaten durchzusetzen. Also muss man sich Verbündete holen.
Die Wahl von 2005 als Auslöser
Wie geht das? Diese Frage hat sich auch Christoph Bauer gestellt, Gymnasiallehrer für Biologie und Chemie in Würzburg. In einem Interview mit dem Online-Dienst «Reich der Spiele» sagte er, er habe sich im Zusammenhang mit der Wahl von Benedikt XVI. im April 2005 überlegt, «ob man so ein spannendes Ereignis wie die Papstwahl nicht auch spielerisch umsetzen kann». Das Ergebnis lag im Herbst 2010 vor: «1655 – Habemus Papam».
Bauer thematisiert also nicht den Übergang von Johannes Paul II. zu Benedikt XVI., sondern die Wahl von 1655, bei der Kardinal Fabio Chigi als Alexander VII. zum Nachfolger des verstorbenen Innozenz X. erkoren wurde. Allerdings ist es nicht so, dass in «Habemus Papam» Chigi automatisch Papst wird. Jeder der teilnehmenden Kardinäle kann obenaus schwingen, sofern es ihm gelingt, den intrigenreichen Machtkampf zu überstehen und die Mehrheit der Stimmen auf sich zu vereinen. Weil im Konklave vom 1655 gleich vier Fraktionen um die Macht ringen, ist das Buhlen um die Stimmen besonders spannend. Neben der spanisch-kaiserlichen und den französischen Fraktionen gibt es jene, die Papst Innozenz X. in den Kardinalsstand erhoben hat. Und schliesslich bilden auch die Kardinäle, die ihre Würde dem Vorgänger von Innozenz, Urban VIII., verdanken, eine Sondergruppe.
Einfacher Bietmechanismus
Das Regelwerk von «Habemus Papam» wirkt auf den ersten Blick umfangreich und lässt die Vermutung aufkommen, es handle sich um ein komplexes Spiel. Das ist nicht so. Das Papstwahlspiel basiert auf einem einfachen Bietmechanismus. Wer in den einzelnen Durchgängen am meisten Edelsteine bietet, darf jeweils als erster eine der ausliegenden Karten nehmen. Dabei darf man unter drei Kartensorten wählen: Kardinalskarten bringen in erster Linie Stimmen. Sind zwei Kardinäle einander besonders verbunden, gibt es wertvolle Zusatzstimmen. Die politischen Karten sind sehr begehrt, da man mit ihrer Hilfe seinen Einfluss auf das Geschehen im Vatikan massiv verstärken kann. Wer den spanischen König Felipe besitzt, hat die Macht, einen Kardinal aus dem Konklave auszuschliessen. Die Karte «Squadrone Volante» erlaubt es dem Besitzer, die Stimmen von unentschlossenen Kardinälen zu kaufen, während man mit der Karte «Todesfall» die Fraktionsführer oder ältesten Kardinäle aus dem Rennen nimmt, indem man sie ins Jenseits befördert. Einzig Kardinal Chigi ist immun gegen Bestechung und Tod – als späterer Papst geniesst er eine Sonderstellung. Eine solche hat auch der Camerlengo inne. Denn die einzige Möglichkeit, im Verlauf des Spiels seinen Vorrat an Diamanten aufzufüllen, besteht darin, in der Bietrunde die Camerlengo-Karte zu wählen. Schliesslich gibt es noch Aktionskarten, die Vorteile beim Bieten bringen.
Hat man den Mechanismus einmal verstanden und ist man mit der Bedeutung der einzelnen Karten vertraut, ergibt sich ein recht flüssiges Spiel. Allerdings hört man in Spielerkreisen oft die Kritik, dass «Habemus Papam» den Teilnehmenden zu wenig Entfaltungsmöglichkeiten biete. Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu weisen. Auf der anderen Seite bietet es dank der ausgewogenen Mischung von Glück und Taktik ein unterhaltendes Spielerlebnis. Jedenfalls warten alle mit Spannung darauf, wer beim Aufsteigen des legendären weissen Rauches nun Pontifex Maximus geworden ist und in Anlehnung an die berühmte «Bild»-Schlagzeile jubeln darf: «Wir sind Papst!»
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«1655 – Habemus Papam». Taktisches Bietspiel mit Karten von Christoph Bauer für 3 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren. DDD-Verlag. Spieldauer ca. 45 Minuten
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung»