Glosse

Kultursendungen biedern sich vergeblich Jungen an

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine. Die früheren Tätigkeiten in Medien sind im Artikel erwähnt. ©

Marco Meier /  Das «neue» Radio SRF 2 Kultur will mehr Junge ansprechen, statt sich am wachsenden Kernpublikum der 50- bis 70-Jährigen zu freuen.

Auch wir waren mit 30 lieber auf Achse als in der Oper. Ich kann es nicht mehr hören. Es begann vor 15 Jahren. Ich war gerade mal 45 Jahre alt, also, auch aus jugendwahnsinniger Optik gesehen, noch einigermassen im Saft. Man hatte mich zum Chefredaktor der Kulturzeitschrift «Du» berufen, nachdem ich zwischen 1988 und 1996 bereits als Stellvertreter des damaligen Redaktionsleiters Dieter Bachmann amtete.
Einmal im Jahr mussten die Chefredaktoren vor der Geschäftsleitung der Tamedia AG eine Art strategische Rechenschaft ablegen. Man wurde zuerst angehört und bekam dann ein paar gut gemeinte Direktiven für das neue Jahr mit auf den Weg. Die Zeitschrift hatte damals eine verkaufte Auflage von knapp 30’000 Exemplaren. Wir von der Redaktion waren der Meinung, das sei höchst beachtlich für eine Zeitschrift mit einem doch recht hohen kulturellen Anspruch.
Die Verlagsoberen sahen das anders, diagnostizierten noch ein brachliegendes Potenzial und forderten, die Leserschaft müsse jünger werden, sonst drohe sie uns bald auszusterben. So weit ich mich erinnere war das Durchschnittsalter unserer Leserinnen und Leser bei rund 60 Jahren. Seither wurde «Du» bereits zwei Mal verkauft. Die Auflage, so hört man, liege gerade noch bei einem Drittel von einst.

In der Zwischenzeit hatte ich als Redaktionsleiter zu den «Sternstunden» des Schweizer Fernsehens gewechselt. Und auch hier ertönte von den Auguren der Marktforschung regelmässig das fordernde Mantra, die Zuschauer und Zuschauerinnen der sonntäglichen Kultursendung müssten dringend jünger werden. Je nach Thema schauten jeweils zwischen 30’000 bis 60’000 Menschen die Sendungen zu Religion, Philosophie und Kunst. Wir von der Redaktion waren stolz auf diese Zahlen, stellten uns vor, dass unser Publikum gut und gern zwei bis drei Fussballstadien hätte füllen können. Das Durchschnittsalter bewegte sich auch hier um die 60 herum.

Nach fünf Jahren ging ich wieder meines Weges. Letzte Station meiner Medienkarriere war die Programmleitung des Kulturradios DRS 2. Ein Traumjob. Aber wieder war der Alarmismus der Publikumsforscher allgegenwärtig. Die Zuhörerschaft müsse unbedingt verjüngt werden, ansonsten der Kultursender seine Legitimation verspiele. In Tat und Wahrheit hörten aber täglich kumuliert zwischen 380’000 bis 400’000 die Sendungen von DRS 2. Die Hörerschaft zirkelte auch hier durchschnittlich um die 60 herum.
Seit kurzem ist das Kulturradio mit neuem Namen und erneuertem Programm auf Sendung – «in der Absicht, neue Hörerinnen und Hörer für unser Angebot gewinnen zu können» (Programmleitung SRF 2 Kultur).

Heute bin ich selbst kurz vor 60 und nur noch sporadisch als Schreiber für Medien tätig. Im Rückblick auf über dreissig Jahre Engagement in Print, Radio und Fernsehen frage ich mich, was eigentlich so verwerflich daran sein kann, für etwas ältere Menschen ein gutes Programm zu machen. Im Übrigen ist das ältere Publikum das einzige, das ohne jedes Zutun der Marketingabteilungen in sich eine nachhaltige und natürliche Wachstumsrate birgt. Ein höchst lohnendes Segment gewissermassen und erst noch ungewöhnlich treu.


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Eine Meinung zu

  • am 3.01.2013 um 00:31 Uhr
    Permalink

    Diesen Ansichten kann ich nur beipflichten. Sowohl bei der «Sternstunde» wie beim «Kulturradio» sind Änderungen zu bemerken, die mich vermehrt zur Umschaltung auf Alternativprogramme motivieren. Schade eigentlich!

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