Glosse
Der Spieler: Geschenk für den Bauernpräsidenten
Welche Geschenke Markus Ritter zu seiner Wahl als Präsident des Schweizerischen Bauernverbands bekommen hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Medien haben nichts darüber berichtet. Vielleicht befindet sich eine Kuhglocke darunter, wie das in landwirtschaftlichen Kreisen so üblich ist, oder ein Gutschein für einen Grosseinkauf in der Landi.
Bei solchen Gelegenheiten überlege ich mir immer, was ich als Spielekritiker der betreffenden Person zum Amtsantritt schenken oder empfehlen könnte. Manchmal ist das eine schwierige Aufgabe, manchmal liegt die Idee schon auf dem Tisch. Dies ist bei Ritter der Fall. Es muss ein Spiel sein, das die Landwirtschaft thematisiert. Nur: Wenn man sich auf die Suche nach einem solchen Spiel macht, erlebt man gleich die Qual der Wahl. Denn es gibt sie zuhauf, von «Farmerama» bis hin zu «Krawall vor dem Stall». Da es sich beim Präsidium des Schweizerischen Bauernverbands um eines der wichtigsten Ämter in der Schweiz handelt, ist für Markus Ritter meines Erachtens nur das beste und anspruchsvollste Spiel zum Thema Landwirtschaft gut genug. Es handelt sich um «Agricola» von Uwe Rosenberg, das seit seinem Erscheinen im Jahr 2007 die Fans von anspruchsvollen und komplexen Spielen begeistert.
Schwergewicht im doppelten Sinne
«Agricola»-Käuferinnen und -Käufer erwartet ein Schwergewicht im doppelten Sinne: Die rund zwei Kilogramm schwere Box ist gefüllt mit einer Unmenge Material, acht Spielplänen, einem Satz von 25 Steinen für jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer, rund 200 Spielsteinen, die Holz, Lehm, Schilf, Getreide, Gemüse, Schafe, Wildschweine und Rinder repräsentieren, dazu eine Spielanleitung, die 16 Seiten im Format A-4 umfasst – all dies verspricht zum einen Arbeit, gleichzeitig aber auch ein Spielvergnügen auf dem höchsten Niveau.
Im Zeitalter der schweren Traktoren und prallen Euter sollte Bauernpräsident Ritter dieser Herausforderung gewachsen sein. Das Problem könnte jedoch beim Zeitaufwand liegen. Studium der Spielregeln und Einstieg lassen sich nicht einfach huschhusch erledigen, da muss man einigen Aufwand betreiben, auch wenn die Regeln im Grunde genommen einfach sind. Meister fallen auch im Spiel nicht vom Himmel.
Unternehmerische Kompetenzen
«Agricola» spielt im 17. Jahrhundert. Die Teilnehmenden schlüpfen in die Rolle von Landwirten, die zur Aufgabe haben, Ackerbau und Viehzucht auf ihrem Hof voranzutreiben, Wohnqualität und Ausbildung zu verbessern sowie Anschaffungen zu tätigen. Nach 14 Runden entscheidet sich, wer seine Parzelle am besten bewirtschaftet hat. In jeder Runde geht jedes Familienmitglied einer Beschäftigung nach und führt eine Aktion aus. Sechsmal findet während des Spiels eine Erntezeit statt, während der man die dort angebauten Rohstoffe nach Hause bringt. Familienmitglieder müssen ernährt werden. Wer dazu nicht in der Lage ist, bekommt Minuspunkte. Sorgen sollte man sich auch um den Nachwuchs beim Vieh – dazu braucht es mindestens zwei Tiere einer Sorte auf seiner Parzelle. Nur das zeigt schon, dass die spielerische Herausforderung von «Agricola» darin besteht, die verschiedenen Aktionen zielorientiert zu planen und zu organisieren. So kann man nur erfolgreich Viehzucht betreiben, wenn man genügend Tiere auf seinen Weiden hat. Für diese Weiden braucht es einen Zaun, und den wiederum kann man nur bauen, wenn Holz zur Verfügung steht. Wer pro Runde mehr als eine Aktion durchführen will, muss seine Familie vergrössern. Doch wo soll man seinen Nachwuchs unterbringen, wenn im Haus die nötigen Zimmer fehlen?
Wer das prächtig ausgestattete «Agricola» spielt, trainiert nebenbei seine planerischen und organisatorischen Fähigkeiten. Insofern ist «Agricola» ein ausgezeichnetes Lernspiel, nicht nur für den neuen Bauernverbandspräsidenten, sondern für alle, die über das Spielen hinaus ihre unternehmerischen Kompetenzen fördern wollen.
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Agricola. Strategiespiel von Uwe Rosenberg für 1 bis 5 Personen ab 10 Jahren. Verlag Lookout Games. Spieldauer 60 bis 120 Minuten
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung»