Glosse

Der Spieler: Wie das Leben so spielt

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Hier der Ernst des Lebens, dort das Vergnügen des Spiels. Im preisgekrönten «Village» trifft beides aufeinander.

Eine zwölfseitige Spielanleitung im Grossformat, ein Spielplan, auf dem man sich in Hunderte von Details vergucken kann, Figuren und farbige Klötzchen im Überfluss – vor kurzem noch hätten die meisten Besucherinnen und Besucher der Schweizer Spielmesse Suisse Toy einen grossen Bogen um ein solches Spiel gemacht. Was sich da präsentierte, versprach nämlich nicht Spass und Instant-Unterhaltung, sondern erst einmal langes Regelstudium und anschliessend zwei Stunden harte Arbeit.

Doch welche Überraschung! Am Stand von «Spiel des Jahres» gehörte das Strategiespiel «Village» zu den meistgefragten Titeln überhaupt. Hunderte liessen sich mitten im Messetrubel auf die Vorlage ein, die ihnen da vom Autorenpaar Inka und Markus Brand präsentierte wurde. Ein Phänomen, für das es mehrere Erklärungen gibt.

Spielerlebnis pur

Die erste hat nichts mit «Village» selber zu tun, sondern mit der Tatsache, dass auch in der Schweiz die Zahl jener Menschen zunimmt, die anspruchsvollere strategisch-taktische Spiele suchen. Alle, die seit den Anfängen der Schweizer Spielmesse in den 1990er Jahren dabei sind, bestätigen diese erfreuliche Entwicklung. Bei «Village» kommen diese Spielbegeisterten voll auf die Rechnung, denn es bietet Herausforderung auf höchstem Niveau und gleichzeitig ein grandioses Spielvergnügen, kurz: ein Spielerlebnis pur.

«Village» ist ein Spiel des Lebens. Es lässt Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Welt eines mittelalterlichen Dorfes eintauchen. Die Spielenden sind je für eine Familie verantwortlich. Man hat für Nachwuchs zu sorgen, bildet seine Figuren in einem Handwerksberuf aus und kommt auf diese Weise zu Nahrungsmittel, Geld, Geräten und Gütern, die man für ein erfolgreiches Leben benötigt. Auf den Markt fahren kann man ja nur, wenn man über das verfügt, was die anspruchsvollen Kunden wollen. Und wer eine Reise machen will, braucht erst mal einen Wagen und Güter, mit denen man den Wegzoll bezahlen kann. Auf Reisen kann man ebenso wenig verzichten wie auf das Engagement im Rathaus. Beides bringt mehr Einfluss, Geld und erweitert den Handlungsspielraum. Und wie im echten Mittelalter spielt auch hier die Kirche eine grosse Rolle: Der Aufstieg in der kirchlichen Hierarchie trägt bei der Schlussabrechnung Punkte ein, dabei ist es durchaus erlaubt, mit Bestechungsgeld die Position seiner Figuren zu verbessern.

Chronik oder Grab

Die verschiedenen Aktionen auf dem Spielplan, der die Teilnehmenden sehr gut durch das Geschehen führt, kosten neben Geld und Naturalien auch Zeit. Die Lebenskreise der Figuren schliessen sich, sie segnen das Zeitliche und sterben. Allerdings schlägt das Schicksal nicht einfach blind zu. Den Zeitpunkt des Todes ihrer Figuren bestimmen die Spielerinnen und Spieler selber. Dieser will geplant sein: Wer den richtigen Moment verpasst, findet seine letzte Ruhestätte in einem anonymen Grab, was keine Punkte einbringt. Deshalb schaut man darauf, dass die Figuren mit ihren Leistungen und Verdiensten in der Dorfchronik verewigt werden.

Das klingt vielleicht ein wenig makaber. Und es gibt Leute, die «Village» nicht mögen, weil es so realitätsnah ist. Beim Spielen selber fällt das gar nicht auf, weil Geburt und Tod zum Leben im mittelalterlichen Dorf gehören wie das Einfahren der Ernte oder das Handeln auf dem Markt. Dieser natürlich-harmonische Spielablauf ist meines Erachtens die grosse Stärke von «Village». Deshalb werden alle, die sich darauf einlassen, richtig in das Geschehen hineingezogen.

Darob vergisst man leicht, dass «Village» ein reinrassiges Strategiespiel ist, bei dem das Glück eine untergeordnete Rolle spielt. Entscheidend ist das Zeitmanagement. Aber nicht nur: Wer möglichst viele Siegpunkte holen will, muss den Einsatz seiner Familien-KMU bis ins Detail planen: Wen schicke ich in den Handwerksbetrieb, wer geht auf den Markt, wann macht wer eine Reise, wer engagiert sich im Rathaus und wer in der Kirche? Und dabei Geburtenplanung und Exit-Strategie nicht vernachlässigen …
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Village, Strategiespiel von Inka und Markus Brand für 2 bis 4 Personen ab 12 Jahren. Spieldauer 60 bis 90 Minuten. Verlag: Eggertspiele, Vertrieb: Pegasus.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung»

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Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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