Glosse
Sprachlust: Je kryptischer, desto akademischer?
«Dass sich aber ein solcher an den Satzanfang gesetzte Nebensatz (den wir uns natürlich als einen in Anführungszeichen zu lesenden vorzustellen haben) ausgerechnet zur Hinauszögerung der eigentlichen Auseinandersetzung mit dem Satzinhalt eignet, der mehrere komplexe Forschungsfragen gleichzeitig aufwirft, könnte jetzt doch, sechs Zeilen später, deutlich geworden sein.» Ohne die ironische Selbstbespiegelung «sechs Zeilen später» müsste man sich fragen, ob dieser Satz dem Stil des Autors entspricht.
Der Bandwurm stammt (samt Zeilenzählung) aus dem Buch «Wissenschaftssprache. Eine Gebrauchsanweisung» des Historikers Valentin Groebner (Konstanz University Press 2012). Er illustriert «wissenschaftliche Prosa, die in manchen Fällen von Parodie kaum mehr zu unterscheiden ist». Der Autor, der an der Universität Luzern lehrt, seziert mit spitzer Feder insbesondere Dissertationen. Seine «Gebrauchsanweisung» richtet sich an Leute, die solche Prosa verfassen und bei allem wissenschaftlichem Anspruch lesbar bleiben möchten. Sie dient aber auch jenen, die sich beim Lesen hochgestochener Elaborate fragen, ob denn Unverständliches besonders wissenschaftlich sei.
Gelehrter Ritualstil
Um das Phänomen der gestelzten, überladenen und fachwortgespickten Wissenschaftssprache zu ergründen, taucht Groebner tief in den akademischen Betrieb und dessen Traditionen ein, seien sie historisch echt oder aber absichtlich konstruiert. Denn Doktorarbeiten, wie er sie schildert, tragen deutliche Züge eines Initiationsrituals, mit dem sich manche Universitäten den Ruf eines Elfenbeinturms erhalten. Vor daran orientierter Schreibweise warnt der Verfasser «Autorin & Autor» (wie sein Beitrag zur geschlechtergerechten Sprache lautet). Denn weil die Hochschulen ihrem promovierten Nachwuchs nicht genügend Stellen bieten, müssen Jungdoktorin & Jungdoktor an ungeschützte Arbeitsplätze denken, wo sich jemand für ihre Ergüsse interessieren könnte.
«Lesbarkeit heisst, dass der Autor seine Argumentation im Text nachvollziehbar macht und buchstäblich unter Kontrolle der Anschaulichkeit argumentiert.» Daraus leitet Groebner (gewiss auch für die Autorin) eine Reihe von Anweisungen ab, deren wichtigste vielleicht ist, Unnötiges wegzulassen und auch nicht in «Superfussnoten» zu verpacken. Grosses Gewicht legt er auf die Dramaturgie, die Leserführung im ganzen Werk, aber eben auch in einzelnen Satz. Der soll nicht wie oben mit Schichten von Beigemüse beginnen, sondern gleich mit der Pièce de Résistance.
Es darf «journalistisch» sein
Auch Stilformen, die in breiten Fachkreisen als «journalistisch» verpönt sind, empfiehlt der Autor in seinen Schreibwerkstätten, aus denen das schlanke Buch hervorgegangen ist. Dazu gehöre es, die geschilderte Forschung zu personalisieren, wenn auch sparsam und nicht nach diesem amerikanischen Muster: «Dr. M. ist ein rothaariger Mittvierziger mit wettergegerbter Haut und ansteckendem Lachen, der …». Ebenfalls empfohlen wird, «O-Töne» (Originaltöne) einzuarbeiten, aber nicht in Form ausufernder Zitate, sondern auf die Kernaussagen reduziert. Dezidiert tritt Groebner gegen das «Ich-Verbot» an, das an manchen Fakultäten gelte: «Es ist ohnehin Ihr Text», lautet seine Begründung dafür, dass die Schreibenden auch die eigene Person ausdrücklich einbringen sollen.
Und sie sollen das mit ihren eigenen Gedanken und Worten tun, nicht mit «Supersubstantiven» – «theoretischen Zauberworten», von Koryphäen des Fachs geprägt. «Zu intensiv besetzte, gepanzerte und benutzte Begriffe werden nicht, wie Ungeheuer in Actionfilmen, von aufgeklärten Helden getötet. Vielmehr versinken sie irgendwann unter ihrem eigenen Gewicht erschöpft im Sumpf. Lachen Sie nicht. Genau daran erkennt man Jargon.» So schreibt Groebner in einem schönen Beispiel des von ihm empfohlenen Stils. Das wird man auch in dieser Länge zitieren dürfen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel»; Verfasser der Kolumne «Sprachlupe», alle 14 Tage in der Zeitung «Der Bund».