Glosse
Sprachlust: Das Langleberisiko des Risikoveteranen
Lieb Vaterland, magst ruhig sein: Alle 188 «Risikoveteranen» sind entwaffnet worden. Die Meldung stammt von der Schweizer Armee, allerdings ohne den schönen Begriff, den sich ein Journalist einfallen liess, wahrscheinlich inspiriert von den Risikobären. Amtlich waren es ehemalige AdA (Angehörige der Armee) mit «Vermerk zum Rückzug der Waffe». Den bekamen längst nicht alle, die ihre Waffe unerlaubterweise behalten hatten, sondern nur jene, bei denen ein Grund zur Annahme vorlag, sie könnten sich oder andere gefährden.
Es bleiben fast doppelt so viele unerlaubt bewaffnete Veteranen, die frei herumlaufen – wahrscheinlich meist ohne ihre Gewehre. Diese stecken im Putzschrank, wenn man den gestellten Pressebildern glauben darf, die fast immer verbreitet werden, wenn vom häuslichen Arsenal die Rede ist. Sehr unpraktisch, ausser natürlich für Redaktionen in Fotonot – aber die Bildsprache bildet eigentlich kein Thema dieser Kolumne.
Natürliches Verhalten
Es gibt Bärenfreunde, die sich gegen den Ausdruck «Risikobär» wehren: Das sei diskriminierend, denn wenn Gefahr für Menschen entstehe, sei nicht der Bär das Problem, sondern der Mensch. Der Bär tue nur, was ihm seine Natur vorgebe: Fressen suchen, wo es am leichtesten zu finden ist, und unter Umständen aggressiv reagieren, wenn er dabei gestört wird. Der Risikomensch müsse also aufhören, mit Futter um sich zu werfen und den Ort dieser Schandtat hernach nochmals aufzusuchen.
Von Veteranenfreunden, die sich für Risikoveteranen einsetzen, ist noch nichts bekannt geworden. Es ist ja auch nicht so, dass das natürliche Verhalten des Veteranen darin bestünde, mit seiner Waffe sich oder andere zu gefährden – selbst dann nicht, wenn er sich in seinem tatsächlich natürlichen Verhalten gestört fühlen sollte. Aus pazifistischer Sicht könnte man freilich argumentieren, von Armeeveteranen sei überhaupt kein natürliches Verhalten zu erwarten, da sie eben durch den Umgang mit Waffen verdorben seien. So weit wollen wir nicht gehen, aber es gibt schon zu denken, wenn eine Google-Suche nach Risikoveteranen dies erbringt: «Risiko auf den Tisch. Dazu nen Hamburger mit Besteck, nen Appelkorn, und mit allen Armeen nach Kamtschatka einfallen.» Allerdings muss man dazu sagen, dass es sich um Veteranen des Brettspiels «Risiko» handelt.
Riskantes Reden
Auch wenn diese deutschen Risiko-Veteranen harmlos und die schweizerischen (ohne Bindestrich) entwaffnet sind: Es bleiben immer noch jene Ex-Ada ohne «Vermerk zum Rückzug der Waffe», aber durchaus mit unerlaubtem Schiesseisen. Und für sie besteht, wie für die meisten Leute, das Langleberisiko. Das heisst nun durchaus auch im amtlichen Sprachgebrauch so, und in jenem der Versicherungsbranche ohnehin. Denn es geht um Rentenversicherungen, und für die besteht in der Tat das Risiko, dass die «verrenteten» Personen länger leben, als in den Berechnungen vorgesehen.
Für durchschnittliche Pensionierte ist der Risikofall schon eingetreten, wenn die Warnrufe aus der Branche zutreffen: Die Lebenserwartung ist bereits höher, als es sich die meisten Pensionskassen leisten können, und sie ist immer noch am Steigen. Es ist auch nicht mehr tabu, aus der Sicht der direkt Betroffenen sinngemäss von Langleberisiko zu reden: je länger das Leben, desto grösser das Risiko, dass die letzten Jahre nicht zu den erfreulichsten gehören. Aber Versicherer wie Versicherte müssen lernen, mit diesem Risiko zu leben und es erträglich zu gestalten: Auf eine Interessengemeinschaft gegen langes Leben zu schliessen, wäre ein fataler Kurzschluss. Sprachlich gab es ihn schon einmal: mit dem «sozialverträglichen Frühableben», das ein deutscher Ärztevertreter 1998 in die Welt setzte. Er hatte die gute Absicht, vor überrissenem Sparen im Gesundheitswesen zu warnen, aber die Jury des «Unworts des Jahres» wusste die Ironie nicht zu schätzen und sprach ihm die Krone zu. Der Mann war eben ein Risikoredner.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel»; Verfasser der Kolumne «Sprachlupe», alle 14 Tage in der Zeitung «Der Bund».