Kommentar

kontertext: Kinder aus dem täglichen Radio verbannt

Linda Stibler © Claude Giger

Linda Stibler /  Warum SRF die Kinder jetzt mehrheitlich im Internet bedient.

Die Kindersendung «Zambo» war über viele Jahre eine gute und unbestrittene Nische. Sie lief jeden Tag zwischen 19.05 und 20.00 Uhr auf SRF1 und immer fanden sich Kinder ein, die zuhörten und mitmachten. Jetzt ist sie am Radio rigoros eingeschränkt: Die einstündige Sendung gibt es nur noch am Samstag- und am Sonntagabend, ansonsten ist sie ins Internet abgewandert, das heisst ihre Inhalte können nur noch über Handy, Laptop beziehungsweise Computer konsumiert und/oder als Podcast heruntergeladen werden.
Ist das jetzt eine gute oder eine alarmierende Nachricht? Heisst das, dass SRF sich aktiv daran beteiligt, zukünftige Radiohörerinnen ins Internet zu vertreiben oder ist es ein mutiger Schritt in die Zukunft? Fragen über Fragen.
Was das für die betroffenen Kinder bedeutet – darüber kann man einstweilen nur rätseln. «Zambo» spricht vor allem Kinder vor der Pubertät an. Das Programm ist also hauptsächlich auf Kinder im Primarschulalter zugeschnitten. Beteiligen werden sich wohl auch jüngere und auch etwas ältere Kinder. Bleibt offen, ob Kinder in diesen Altersgruppen alle schon ein digitales Gerät besitzen und/oder Zugang zu einem Familiengerät haben. Für diejenigen, für die das nicht gilt, ist der Verlust der Radiosendung auch eine Ausgrenzung und es wird zweifellos wieder jene Schichten treffen, die ohnehin benachteiligt sind. Zudem werden sich Eltern überlegen müssen, ob sie – vielleicht entgegen ihrem einst strengeren Verhalten zum Beispiel beim Handykonsum ihrer Kinder – ihre Haltung revidieren sollen.
Mit der einstündigen Sendung an Werktagen war bisher auch klar, dass «Zambo» in gewachsenen Strukturen einen verlässlichen und identifizierbaren Ort darstellte. Man könnte jetzt argumentieren, das sei einerlei – Medienkonsum sei Medienkonsum; das ist jedoch nicht der Fall, denn der zeitlich begrenzte Rahmen vermittelte ein Gemeinschaftserlebnis im Hier und Jetzt. Solche klare Verortungen – oder ihr Fehlen – sind für Kinder bei der Orientierung in der Welt nicht zu unterschätzen.
Mit dem Verschwinden der Kindersendung ist auch die Begegnung zwischen Erwachsenen und Kindern in Gefahr. Immer gab es Hörerinnen und Hörer, die die Sendung mehr oder weniger bewusst zur Kenntnis nahmen, selbst wenn sie keine Kinder im betreffenden Alter hatten. Das öffentliche Radio hat unter anderem genau diese Klammerfunktion zwischen verschiedenen Schichten und Altersgruppen.

Hauptgrund: Neue Radiogewohnheiten von Kindern und Familien

Man kann sich jetzt fragen, was denn die «Zambo»-Redaktion und die Programmverantwortlichen von Radio SRF zu dieser radikalen Umkrempelung bewog. Ich stellte meine Fragen an beide und erhielt von Christoph Aebersold, dem Leiter Bereich Familie von SRF, eine ausführliche Antwort. «Immer mehr Eltern nutzen mit ihren Kindern die Inhalte auf digitalen Plattformen, etwa YouTube oder Spotify», war das Hauptargument. Das entspricht durchaus den Erfahrungen, die viele Kinder und Jugendliche machen. Das Medienverhalten hat sich im Bereich des Radio- oder Fernsehkonsums stark verändert. Besonders nachdenklich machen müssten die Aussagen von Kindern, die kaum mehr direkt Radio hören, sondern (meist zusammen mit ihren Eltern) die Inhalte zeitversetzt nachhören. Dazu meinte Christoph Aebersold:
«Wie vorgängige Analysen und Befragungen von SRF gezeigt haben, entspricht eine tägliche Einschaltsendung für Kinder auf Radio SRF 1 nicht mehr dem aktuellen Bedürfnis vieler Familien. Mit der Stärkung des digitalen Angebots bieten wir Eltern die Möglichkeit, unser Kinderangebot gezielter zu nutzen. Konkret: Wenn Kinder immer weniger mit Radio sozialisiert werden, aber stattdessen neue digitale Plattformen nutzen, gilt es, unsere Präsenz dort auszubauen.»

Die täglichen Sendungen sollen ins Internet verwiesen werden. Was bedeutet das konkret? Die Inhalte werden zum grossen Teil fürs Internet produziert. Sie können direkt über die Internetseite des Radios unter «Zambo» oder srf.kids aufgesucht werden. Daneben hat man auch verschiedene Konzessionen gemacht. Es gibt mit dem «Zambo-Treff» eine geschützte Online-Community auf der Website von srfkids.ch, wo sich Kinder untereinander austauschen können und auch in Verbindung mit der «Zambo»-Redaktion treten können.
Ausserdem wird wöchentlich eine neue Podcast-Reportagesendung unter dem Titel «Zambo-Bus» produziert. Der «Zambo-Bus» nimmt Kinder mit auf Entdeckungstouren durch die Schweiz. Und alle zwei Wochen ist er an einer Deutschschweizer Schule zu Besuch und produziert mit Kindern Inhalte, die dann wiederum im Internet zu hören sind. Diese Inhalte fliessen auch in die Radiosendungen vom Samstag- oder Sonntagabend ein.
Nicht zu unterschätzen ist ein Angebot von Kinderhörspielen, die auf der Internetseite abrufbar sind; sie sind bei Kindern besonders beliebt.
Zu den Neuerungen gehört auch eine spezielle Sendung am Samstagmorgen, in die jeweils eine Familie mit Kindern, Eltern und Grosseltern eingeladen wird. Diese Sendungen laufen erst seit Anfang September, sie kommen zurzeit eher etwas inszeniert und langweilig daher; ob sie Entwicklungspotential haben, bleibt offen.
Dasselbe gilt wohl auch für die frei werdende Stunde nach den Nachrichten um 19.00 Uhr auf SRF1: Wird sie nur mit Geschwätz und Beliebigkeit gefüllt oder kann diese Lücke auch sinn- oder gar lustvoll gestaltet werden?

Grundsätzliche Fragen zur Digitalisierung

Es gibt einige kritische Fragen, die nur noch am Rande mit der Umgestaltung des Kinder-Angebotes zusammenhängen: Seit längerer Zeit forcieren die Leitung von SRG, die Radiodirektion und die Programmverantwortlichen den Ausbau des digitalen Angebotes auf allen Kanälen. Man verbindet damit ein Heilsversprechen im Konkurrenzkampf mit den grossen internationalen Medienunternehmen und gegen die Vormacht der digitalen Giganten. Dabei geht es aber nicht nur um Einschaltquoten, *das Geschäft mit den Daten und mit Werbung, das im Internet quasi immer als Nebenprodukt der Vermittlung von Inhalten anfällt. Wie weit kann sich das öffentlich-rechtliche Unternehmen auf diesen Konkurrenzkampf einlassen, auch wenn es sein online-Angebot ohne Werbung anbietet? Trotzdem muss vermehrt Geld investiert werden – zum Beispiel in digitale Technik; eingespart wird es im Programmteil von Radio und Fernsehen. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass die Inhalte der öffentlichen Medien auch auf dem Internet abrufbar sein sollten; muss man aber speziell fürs Internet produzieren? Und dabei das eigene, vorteilhafte und krisenresistente Medium schwächen – quasi den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?
Es ist störend, dass die SRG als Service-Public-Unternehmen der Diskussion über diese Fragen ausweicht und viele schwerwiegende Entscheide zurzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Transparenz fällt. Im Falle der Umstellung des ganzen Kinderprogramms wurden diese Entscheide nur kurz vor der Umstellung und nur scheibchenweise bekannt gegeben. Die normalen Radiohörerinnen und Radiohörer standen vor vollendeten Tatsachen. Auch in den Genossenschaften selbst wurde nicht vernehmbar diskutiert; in der Publikumszeitschrift «Link» zum Beispiel wurde nur über einen Teilaspekt berichtet. Es ist leider zu befürchten, dass es auf dieselbe Weise weitergeht.

* diese Passage wurde nachträglich präzisiert.

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  • Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

    Die Journalistin und Autorin Linda Stibler war über 40 Jahre in verschiedenen Medien tätig, unter anderem in der damaligen National-Zeitung, in der Basler AZ und bei Radio DRS (heute SRF).

      Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder.

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    Eine Meinung zu

    • am 13.10.2020 um 11:55 Uhr
      Permalink

      Heutzutage pflegen die traditionellen elektronischen Medien im Vergleich zu quasi allen anderen eine besondere Form von Anmassung. Man muss genau dann zuhören, wenn die Sache durch den Äther rauscht. Zeitungen und endlich auch come back TV kann ich auch später konsumieren, wenn es mir passt – «zeitversetzt». Beim Internet ist das selbstverständlich.

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