Kommentar
Nein zum Rosengarten-Tunnel: Die 60er-Jahre sind vorbei
Es ist nicht mehr zu übersehen: Stahl und Beton bietet keine mehrheitsfähige Lösung mehr für die Probleme, die der Autoverkehr verursacht – zumindest in den Städten nicht. Der Kanton Zürich hat heute ein Bauprojekt verhindert, das 1,1 Milliarden Franken gekostet und die Stadt auf Jahrzehnte hinaus täglich mit zigtausenden Autos überflutet hätte.
Die Stimmberechtigten lehnten das Projekt mit einer Deutlichkeit ab, die kaum jemand für möglich hielt. Gegen das Rosengarten-Spezialgesetz stimmten 62,8 Prozent der Bevölkerung, gegen den separat behandelten Kredit sogar 63,7 Prozent. Selbst in der Agglomeration und den ländlichen Gebieten, wo die Bevölkerung neue Verkehrsinfrastruktur-Bauten eher akzeptiert, wurde das Projekt praktisch flächendeckend abgelehnt. In der Stadt Zürich waren über 70 Prozent dagegen.
Dabei hatte der Kanton doch ein nahezu unwiderstehliches Paket geschnürt: Beruhigung für das Rosengartenquartier, Tramgleise für die ÖV-freundlichen Städter und für die Bevölkerung der Agglomeration das Versprechen, dass sie besser mit dem Auto in die Stadt fahren können als jemals zuvor. Für jeden etwas.
Tatsächlich produzierte der Kanton mit jedem Argument für den Tunnel zwei dagegen.
- Das Tram: unausgegoren, für das Gefälle ungeeignet, selbst der VCS und ehemalige Kadermitarbeiter der städtischen Verkehrsbetriebe VBZ zerzausten den Vorschlag.
- Die Quartieraufwertung: Ja, irgendwann wäre es am Rosengarten sehr viel wohnlicher geworden, aber für den Stimmbürger aus Fischenthal oder Maschwanden war nicht ersichtlich, warum er das bezahlen sollte.
- Der volkswirtschaftliche Nutzen für die ganze Region: eine unbelegte Behauptung, denn der Kanton hat dazu keine verlässlichen Daten erhoben (siehe auch «Der Wert des Rosengarten-Tunnels ist nur Bauchgefühl»).
Und dann der Autotunnel: Drei Viertel der gesamten Kosten waren dafür vorgesehen, dass zwischen Irchelpark und Wipkingerplatz möglichst viele Autos bequem fahren können. Ein substanzieller Mehrwert war selbst für Autofahrende nicht erkennbar. Gleiche Fahrzeit, gleiche Kapazität (wobei der zweite Punkt umstritten war). Doch der Bau hätte bis mindestens 2030 gedauert und für die Stadtbevölkerung eine beispiellose Zumutung bedeutet. Und danach wären an seinen Portalen täglich 56’000 Autos freigelassen worden, die dieselben Schäden verursacht hätten wie heute: CO2-Emissionen, Luftverschmutzung, Lärm, Unfälle und Stau.
Das Nein ist ein Desaster für FDP-Regierungsrätin Carmen Walker Späh. Sie forcierte den Tunnel wie niemand sonst, pries ihn als «Stadtreparatur» an und veredelte ihn mit Adjektiven wie «ausgewogen» und «nachhaltig». Sie, die selbst ein Mehrfamilienhaus in unmittelbarer Nähe der Rosengartenstrasse besitzt und mutmasslich auch persönlich vom Grundstück-Mehrwert profitiert hätte, war eine unglaubwürdige Botschafterin.
Vor allem aber lieferte Carmen Walker Späh mit ihrem Herzensprojekt nicht einmal im Ansatz eine Antwort auf die Klimakrise. Die Schweiz hat das Pariser Klimaabkommen ratifiziert und muss die CO2-Emissionen bis 2050 auf netto null reduzieren. Besonders viel verändern muss sich im Verkehr, der heute für rund einen Drittel dieser Emissionen verantwortlich ist. Walker Späh blendete das Thema völlig aus. Sie präsentierte keine Vorschläge, wie die Emissionen durch Bau und Betrieb hätten verringert werden können. Niemand hatte auch nur den Hauch einer Idee, welchen Beitrag der Tunnel zu einer klimaneutralen Mobilität leisten könnte. Und irgendwann, als die FDP-Politikerin diesen Mangel zu erkennen schien, behauptete sie, der Tunnel sei durchaus gut für das Klima (NZZ vom 7. Januar). Mit diesem Satz offenbarte sie ihre eklatante Ignoranz gegenüber den grossen Herausforderungen unserer Zeit.
Das Nein der Zürcher Bevölkerung ist ein Signal, das alle Verkehrspolitikerinnen und Verkehrspolitiker zur Kenntnis nehmen sollten, die heute noch die Konzepte der 60er-Jahre predigen: Stahl und Beton sind nicht die Lösung für die Probleme, die uns das Auto eingebrockt hat – sondern deren Ursache. Die Reparatur der Schäden wie am Rosengarten kann nur gelingen, wenn nicht das Auto im Vordergrund steht, sondern der Mensch.
Weitere autofreundliche Vorlagen gescheitert
Auch in Basel Stadt ist über zwei verkehrspolitische Vorlagen abgestimmt worden, welche die Optimierung der autogerechten Stadt zum Ziel hatten. Mit der Initiative «Zämme fahre mir besser!» sollte ein Passus aus dem Gesetz gestrichen werden, der die Verringerung des Autoverkehrs und dessen Geschwindigkeit zum Ziel hatte. Die zweite Initiative «Parkieren für alle Verkehrsteilnehmer» wollte im Wesentlichen mehr Parkplätze für Autofahrer.
Der Basler Gewerbeverband verkaufte diese Vorstösse als fair und ausgewogen und behauptete, er habe die Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer zum Ziel – unter völliger Missachtung der Tatsache, dass das Auto bereits rund zwei Drittel der Verkehrsflächen für sich alleine beansprucht und für den überwiegenden Anteil von volkswirtschaftlichen Schäden des Verkehrs verantwortlich ist.
Stattdessen stimmten die Basler für einen Gegenvorschlag, der den Initianten noch weniger passt als die heutigen Regelungen. Der Gesamtverkehr soll bis 2050 mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar sein, das heisst, nur noch mit Verkehrsmitteln und Fortbewegungsarten erfolgen, die wenig Lärm und wenig Schadstoffe verursachen und Klima und Ressourcen schonen.
Auch diese Abstimmung ist ein klares Zeichen: Die Bewohner der Städte sind nicht länger bereit, die negativen Auswirkungen des Autoverkehrs klaglos hinzunehmen. (fxs)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine