Kommentar
kontertext: Das Ende vom Ende der Welt
Ja, es gibt sie zuhauf, die Schreibanlässe für einen Kontertext, für eine süffig und bissig vorgetragene Polemik. Am besten schreibt man sie im Hochgefühl der Empörung, denn darin ist die Gnadenlosigkeit der Kritik durch den Verweis auf das erlittene Unrecht legitimiert. Michael Kohlhaas lässt grüssen. Also: Gegen was kontere ich und worüber will ich mich empören?
Um schnell zu einem brauchbaren Resultat zu kommen, genügt die tägliche Lektüre der NZZ.
Am 25. November wird ein Interview von Hansjörg Müller mit dem emeritierten Umwelthistoriker Joachim Radkau unter dem Titel «Es gehört zur Political Correctness, an den Klimawandel zu glauben» veröffentlicht. Schon wieder diese üble, schäbige René Scheu- und Niall Ferguson-Polemik gegen die sogenannte Klimarettungselite! Doch dann lese ich das Interview trotzdem und es entpuppt sich als höchst interessant. Der reisserische Titel jedoch ist das Produkt eines redaktionellen Tricks: Man reisse etwas aus seinem Zusammenhang und schon verändert sich die Aussage. Denn auf die Frage, ob man in Deutschland zu viel von erneuerbaren Energien erwarte, antwortet Radkau: «Ich bin mir gar nicht so sicher, ob man sich wirklich viel davon erwartet. Die Energiewende wurde doch nur recht zögerlich vorangetrieben. Manchmal habe ich das Gefühl, es gehöre inzwischen zur Political Correctness, sich zum Glauben an den Klimawandel zu bekennen. Doch in Wahrheit nimmt man ihn nicht sonderlich ernst.» So hätte der NZZ-Redaktor auch die Möglichkeit gehabt, das Interview mit dem Titel «In Wahrheit nimmt man den Klimawandel nicht sonderlich ernst» zu versehen. Aber lassen wir die Polemik und danken wir der NZZ für das ganzseitige Gespräch mit dem Umwelthistoriker und überzeugten Ökologen Joachim Radkau. Denn es lohnt sich, ein Auge darauf zu werfen, wie sich das Umweltbewusstsein historisch gewandelt hat.
So schildert Radkau etwa seine erste Begegnung mit der These der Klimaerwärmung: «Um 1980, als selbst Experten noch eine neue Eiszeit kommen sahen, begegnete uns das drohende ‹global warming› zunächst als Argument der Atomlobby.» Was den Historiker vor allem bedrückt, ist «eine mögliche Spaltung der Umweltbewegung, die durch eine radikale Umstellung auf erneuerbare Energien herbeigeführt werden könnte: Wird ein Windpark gebaut, protestieren Anwohner und Landschaftsschützer. Wasserkraftwerke kann man ohnehin kaum noch bauen, und für die Produktion von Biosprit braucht es immer grössere Maisfelder mit allen negativen Folgen für die Artenvielfalt.»
Droht eine Spaltung der Umweltbewegung?
Bei dieser Frage möchte ich aus meinem simplen Kontertext gegen die NZZ-Klimarettungselite-Rhetorik einen Weg ins gedanklich unübersichtliche Gelände vorschlagen, wo nicht mehr so klar ist, gegen was man eigentlich schreibt. Zum ersten Mal wurde ich am Demokratiefestival BETA damit konfrontiert. Ich sass in einem Workshop, der von der Extinction-Rebellion-Aktivistin Alexandra Gavilano geleitet wurde. Damit eines klar ist: Für mich ist das Anliegen des Klimaschutzes so himmelschreiend dringlich wie für Gavilano. Ich bin kein Klimaskeptiker und ich habe schon in meinen Tagebüchern unter dem Datum des 20. Oktober 1991, also vor 28 Jahren, folgende Bemerkung gefunden: «Die Ozonlöcher vergrössern sich, die Erde erwärmt sich, Tiere und Pflanzen sterben im Eiltempo aus, die ökologische Gesamtzerstörung des Planeten Erde schreitet voran.» Will heissen: Wir alle wissen schon lange Bescheid und die Dringlichkeiten liegen auf dem Tisch. Mit der Rede von Greta Thunberg am Klimagipfel 2018 im polnischen Kattowitz oder dem Gespräch, das Daniel Ryser am 23. November im digitalen Magazin «Republik» mit dem ETH-Klimaforscher Reto Knutti geführt hat, ist eigentlich alles gesagt. Nun muss nur noch gehandelt werden, oder nicht?!
Im Zustand dieser aufgeregten Dringlichkeit sollte nun in diesem Workshop sofort eine Liste von Massnahmen erstellt werden, um die rettenden Klimaziele bis 2030 (oder bis 2050?) doch noch zu erreichen. Und plötzlich begann sich etwas in mir gegen diese Zuspitzung auf die Apokalypse in 11 (oder in 21?) Jahren zu sträuben: «Denn die Endzeit wird nicht heute oder morgen kommen, sondern in Raten: mit Wassermangel, Feuersbrünsten, Stürmen; mit Ernteausfällen, Migrationsströmen, Bürgerkriegen. Wer die Frage auf ‹Überleben oder Aussterben›, auf ‹Sein oder Nichtsein› reduziert, wird ihr nicht gerecht. Die Frage lautet vielmehr: ‹Wie sein› angesichts dessen, dass sich unsere Lebenszusammenhänge gewaltig verändern werden?»
Diese Worte der Philosophin Barbara Bleisch in ihrer Kolumne «Die Politik der Apokalypse» im «Tages-Anzeiger» vom 22. Oktober 2019 erinnern mich an eine Essaysammlung des US-amerikanischen Gegenwartsautors Jonathan Franzen, die auf Deutsch 2019 unter dem Titel «Das Ende vom Ende der Welt» im Rowohlt Verlag erschienen ist. In zwei Essays kommt der bekannte Schriftsteller und passionierte Vogelspezialist auf eine kontertextartige Polemik mit Teilen der Umweltbewegung zu sprechen, die aufhorchen lässt, und aus der wir etwas lernen können.
Gegen die vollständige Denaturierung der Natur
Gegen Schluss seines ersten Essays «Der Essay in finsteren Zeiten» beginnt er ein Unterkapitel mit den folgenden Worten: «Vor drei Jahren hat mich der Klimawandel in Rage gebracht. Die Republikanische Partei verbreitete weiterhin die Lüge, dass es in der Wissenschaft keinen Klimakonsens gebe. (…) aber ich war nicht weniger wütend auf die Linke.» Denn Franzen geht davon aus, dass die Menschheit nicht in der Lage sein wird, ihre CO2-Emissionen schnell und ausreichend zu senken, und ihm zufolge wird der wahrscheinlichste Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert um die sechs Grad betragen. Die Leugnungen der Rechten sind für ihn «unverhohlene Lügen, aber wenigstens standen sie im Einklang mit einem gewissen kaltblütigen politischen Realismus.» Die Linke, bei der Franzens Sympathien eigentlich liegen, ist dagegen «in einer unmöglichen Position. Sie hatte auf der Wahrheit der Klimaforschung zu bestehen, während sie an der Fiktion festhielt, dass eine kollektive Anstrengung der Weltgemeinschaft das Schlimmste noch abwenden könnte.» Und so ist die Umweltbewegung in den letzten 20 Jahren zur Gefangenen eines einzigen Kampfes geworden, dem Kampf gegen den Klimawandel. Der überzeugte Ökologe Jonathan Franzen ist besorgt darüber, dass die Beschäftigung mit den durchaus realistischen Katastrophen der Zukunft «uns hindert, lösbare Umweltprobleme im Hier und Jetzt anzugehen» Oder als Frage formuliert: «Wie finden wir einen Sinn in dem, was wir tun, wenn die Welt an ein Ende zu kommen scheint?»
Diese Überlegungen provozierten in den USA einen «Raketenangriff aus dem liberalen Lager» und man beschimpfte ihn in den Sozialen Medien als «Spatzenhirn» und «Klimawandelleugner» Seine Entgegnung: «Alles, was ich geleugnet hatte, war dies: dass eine rechtgläubige internationale Elite, die in schönen Hotels auf der ganzen Welt zusammenkommt, die Polkappen daran hindern könnte zu schmelzen. Das war mein Verbrechen gegen die Orthodoxie. Das Klimathema hat die liberale Vorstellungswelt mittlerweile derart im Griff, dass jeder Versuch, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben- sogar der Versuch, sich dem massenhaften Artensterben zuzuwenden, das Menschen ganz ohne Mithilfe des Klimawandels schon jetzt verursachen-, auf religiösen Frevel hinausläuft.»
Franzen wagt es, auch andere Fragen zu stellen: «Brauchen wir, beispielsweise, wirklich so viele Windräder? Mussten sie in ökologisch sensiblen Gegenden stehen? (…) Zerstören wir nicht die Natur in der Absicht, sie zu retten?» Und er schliesst mit folgender ernüchternden Gesamteinschätzung: «Unsere Welt steht im Begriff, sich enorm und unvorhersehbar zu verändern, und grösstenteils zum Schlechteren. Ich habe keine Hoffnung, dass sich die Veränderung aufhalten lässt. Meine einzige Hoffnung ist, dass wir die Realität rechtzeitig akzeptieren, um uns human darauf vorbereiten zu können, und ich bin fest davon überzeugt, dass es besser ist, sich dieser Realität, wie schmerzhaft das auch sein mag, ehrlich zu stellen, als sie zu leugnen.»
In einem weiteren Essay mit dem Titel «Rette, was du liebst» veranschaulicht Franzen seine Haltung anhand des Kampfes gegen die Glaswände des neuen Footballstadions von Minneapolis, an denen jedes Jahr Tausende von Vögeln umkommen. Franzen akzeptiert explizit und immer wieder den Klimawandel als das zentrale Umweltthema unserer Zeit, aber er fühlt sich von dieser Dominanz auch drangsaliert: «Ich kam mir selbstsüchtig vor, weil mir mehr an den Vögeln der Gegenwart als an den Menschen der Zukunft lag.» Das Problematische liegt für Franzen darin, dass am Klimawandel alle schuld sind, mit andern Worten: keiner. Aber wir können uns gut fühlen, wenn wir ihn beklagen. Und dass im Schatten gewaltiger ökologischer Probleme kleinere Aktionen zum Schutz der Natur sinnlos erscheinen.
Dann führt er diesen Aspekt folgendermassen weiter: «Der Klimawandel hat viel mit dem ökonomischen System gemein, das ihn beschleunigt. Wie der Kapitalismus ist er transnational, auf unvorhersehbare Weise zerstörerisch, selbstverstärkend und unentrinnbar. Er trotzt dem Widerstand des Einzelnen, bringt grosse Gewinner und grosse Verlierer hervor und tendiert zur globalen Monokultur – dem Aussterben der Verschiedenheit auf der Artenebene, einer monokulturellen Agenda auf der Institutionsebene.» Und er harmonisiert auch bestens mit der Technologieindustrie, indem er vorgibt, dass allein die Technik das Problem der Treibhausgasemissionen lösen kann. Dagegen ist traditioneller Naturschutz etwas Romanhaftes und beinah Antiquiertes, «denn dort sind keine zwei Handlungsorte einander gleich und keine Geschichte ist einfach.» Und etwas später formuliert Franzen die Quintessenz dieses Einwandes: «Nur wenn Natur als eine Ansammlung konkreter bedrohter Lebensräume begriffen wird statt als abstraktes Ding, das ‹stirbt›, lässt sich die vollständige Denaturierung der Welt verhindern.»
Ich wünsche gutes Nachdenken!
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Georg Geiger, geb.1957, lebt im Oberbaselbiet und arbeitet als Gymlehrer für Deutsch und Geschichte am Gymnasium Leonhard in Basel. Er ist promovierter Germanist, Historiker und ausgebildeter Gestalttherapeut. Mitglied der Bildungsgruppe vom Denknetz und Mitautor beim Bildungsblog Condorcet.
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.
Diese ganzen Gedanken sind auch in mir schon lange am hin- und herwogen. Die selbstgemachte Einengung der Umweltbewegung auf «Klimakampf» ist eine wunderbare globalisierungskompatible Bewegung welche den Bezug zur vielgestaltigen lokalen Realität verloren hat. (Und die Perspektive der grossen Schwellenländer China, Indien usw. vergisst.) Wenn wir die Tiere und Pflanzen fragen könnten, welches ihr grösster Wunsch ist, dann vermute ich, dass es nicht der Kampf gegen Klimawandel ist, sondern die Verhinderung von Artensterben und Umweltvergiftung. Letztlich verlangt ein holistischer und nicht nur anthropozentrischer Umweltschutz vor allem einen weitgehenden Habitatschutz. Und dass heisst, der Mensch müsste sich aus grossen Landflächen und Wasserflächen raus nehmen. Wenn wir das Bevölkerungswachstum nicht schnell dämpfen können, ist dies schlicht eine Illussion. Und weil erneuerbare Energie- und Ressourcenquellen immer an Land- und Wasserflächen gebunden sind, haben wir einen fundamentalen Widerspruch zwischen Habitatschutz und erneuerbaren Energie- resp. Ressourcenquellen. Auflösbar wird dieser Widerspruch nur, wenn die Menschheit deutlich kleiner wird, sowohl in der Zahl wie auch im Konsum pro Kopf. Aber das ist kalter Kaffee, schon als ich in den neunziger Jahren meine Diss zu CO2-Emissionshandel gemacht habe waren diese Zusammenhänge (in Fachkreisen) bekannt. Aber solch nüchternen Fakten sind desillusionierend und widersprechen insbesondere dem ubiquitären Wachstumsdogma.
«Unsere Welt steht im Begriff, sich enorm und unvorhersehbar zu verändern, und grösstenteils zum Schlechteren. Ich habe keine Hoffnung, dass sich die Veränderung aufhalten lässt. Meine einzige Hoffnung ist, dass wir die Realität rechtzeitig akzeptieren, um uns human darauf vorbereiten zu können, und ich bin fest davon überzeugt, dass es besser ist, sich dieser Realität, wie schmerzhaft das auch sein mag, ehrlich zu stellen, als sie zu leugnen.»
— Genau das denke ich mittlerweile auch, die Sache ist gelaufen, je näher man an der Natur lebt, desto klarer sieht man dies. Wir müssen uns Massnahmen überlegen, wie wir mit möglichst wenigen Leichen am Wegrand in die Zukunft kommen können. Denn treffen wird es ohnehin wie immer die Falschen, je ärmer desto weniger Umweltverschmutzung, dafür mehr Ausbaden der Konsequenzen. Oder anders, plakativer, gesagt: Scheisse rollt bergab, wie schaffen wir es nun, möglichst wenige Menschen darin ertrinken zu lassen.
Als Lösungsansatz die gesamt Systemfrage zu stellen, ist zwar richtig, wird uns aber leider nicht schnell genug weiterbringen.
Praktikable Lösungen könnten, meines erachtens, nur erreicht werden indem wir uns vom Wachstum, auf allen Ebenen, verabschieden. Sprich endlich entscheiden wo wir weiterhin Wachstum wollen (zBsp. medizinische Versorgung) und wo es auch mal genug ist (zBsp. Mobilität). Ob das was hilft?
Lieber Herr Geiger, Sie zitieren beruhigend die ärgerliche Tagi-Kolumne der Sternstunde-Philosophin Barbara Bleisch welche die Dringlichkeit der Klimasituation in Frage stellt. Vielleicht kann in diesem Zusammenhang das mail, das ich Frau Bleisch damals geschrieben habe (und das natürlich nie beantwortet wurde) interessieren:
https://lukasfierz.blogspot.com/2019/10/offener-brief-tagi-kolumnistin-frau.html
Mit freundlichem Gruss LF
Bereits 2010 erklärte der Leiter der Arbeitsgruppe 3 des Zwischenstaatlichen Ausschusses der Vereinten Nationen für Klimawandel, Dr. Otmar Edenhofer, gegenüber einem Interviewer: „… man muss klar sagen, dass wir den Wohlstand der Welt de facto durch die Klimapolitik neu verteilen. Man muss sich von der Illusion befreien, dass internationale Klimapolitik Umweltpolitik ist. Das hat fast nichts mehr mit Umweltpolitik zu tun, mit Problemen wie der Entwaldung oder dem Ozonloch. “Die wirtschaftspolitische Strategie ist inzwischen weitaus weiter entwickelt.
https://www.globalresearch.ca/climate-money-trail/5690209
Sie, Herr Geiger, scheinen ebenso wie die Schreiber der NZZ über gewisse schreiberische Kniffe zu verfügen.
Wenn Sie formulieren …Und plötzlich begann sich etwas in mir gegen diese Zuspitzung auf die Apokalypse in 11 (oder in 21?) Jahren zu sträuben: «Denn die Endzeit wird nicht heute oder morgen kommen, sondern in Raten… dann implizieren Sie, es sei am Extinction-Workshop so dargestellt worden, als ob man der Auffassung sei, es gebe in einigen Jahrzehnten eine Apokalypse.
Dies entspricht aber nicht den Tatsachen – und ich denke das wissen Sie. Tatsächlich gibt es rabenschwarze Berichte (z.B. Spratt/Dunlop), die auf mögliche Ernährungskrisen schon in den Vierzigerjahren hinweisen – Dunlop war aber Vorsitzender der australischen Kohlelobby und deshalb ist es vielleicht weniger reisserisch, wenn solche Aussagen ihm statt Extinction Rebellion zugeschrieben werden können.
Es scheint mir eine sehr menschliche Reaktion, wenn man sich angsichts des Ausmasses der auf uns zukommenden Katastrophe lieber dem hier und jetzt sofort Machbaren zuwendet. Trotzdem scheint es mir nicht hilfreich, wenn man die Augen vor den wissenschaftlichen Tatsachen verschliesst.