Kommentar

kontertext: Gutes Geld für falsche Ziele

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsUnter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge ©

Robert Ruoff /  Sommarugas Wille zur Medienförderung stimmt. Aber die Richtung stimmt nicht.

Mit hehren Zielen hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga ein Massnahmenpaket für die Medienförderung angekündigt. Die direkte Demokratie brauche starke und unabhängige Medien. Die Medienökonomie sei in der Krise, aber, so die Medienministerin: «Die Medien sind das Fundament unserer Demokratie.»

Die Krise

Niemand möchte ihr da widersprechen. Die Krise ist offenkundig. Ein grosser Teil des Werbegeldes fliesst ab ins Internet und dort zu den ausländischen Tech-Giganten wie Google, Facebook und anderen und zu Streaming-Plattformen. Mehrere Tausend Arbeitsplätze sind in den Schweizer Medien verloren gegangen. Gerade noch vier grössere Unternehmen beherrschen in der Schweiz die «demokratiepolitisch relevante Presse» (so der Verlegerverband): Tamedia, CH Media, Ringier und NZZ. Im Windschatten dieser Medientanker pflegt Christoph Blocher ziemlich unbeachtet mit seiner «Swiss Regiomedia» («1 Million Kontakte wöchentlich») seine wirtschaftlichen und politisch-publizistischen Interessen. Und links und rechts dehnen «Weltwoche» und «WOZ» die Spannweite der Meinungsvielfalt ein wenig aus.
Vor diesem Hintergrund wirkt die bundesrätliche Strategie der Medienförderung einigermassen zwiespältig. Sie ruft zwar nach Unabhängigkeit, Vielfalt und redaktioneller Qualität. Aber fördern will sie ein klassisches Geschäftsmodell und überholte Medienstrukturen.

Die Förderung

Der Bundesbeitrag für eine ermässigte Postzustellung der Presse soll um 20 Millionen Franken auf 50 Millionen jährlich erhöht werden. Zugunsten der Lokal- und Regionalpresse soll die Ermässigung pro Exemplar angehoben werden. Gleichzeitig will der Bundesrat die Obergrenze der förderungsberechtigten Auflage von 40’000 Exemplaren aufheben und auch Zeitungen finanziell unterstützen, die einem Kopfblattverbund angehören. Diese Vorhaben kommen in hohem Mass den dominierenden Verlagshäusern zugute, die schon heute massgeblich von der indirekten Presseförderung profitieren.
Das ist ihnen nicht genug. Der Verband Schweizer Medien verlangt, die Förderung auf die Frühzustellung der gedruckten Presse auszuweiten. Nur so könne «ein tragfähiges Gesamtpaket» für «die Zeitungen als nachweislich wichtigste Mediengattung für die politische Meinungsbildung» geschnürt werden.
Untersuchungen der Mediennutzung zeigen in eine ganz andere Richtung: Bei der gelegentlichen Nutzung über alle Altersgruppen ist die bezahlte Tageszeitung hinter Computer, Fernsehen und Radio zurückgefallen. Bei den Digital Natives (14 bis 29 Jahre) allein landete die Zeitung vor zehn Jahren bei der täglichen Nutzung noch auf Platz 5 (hinter Computer, iPhone, TV und Radio), heute ist sie aus diesen Plätzen herausgefallen und steht mit gerade noch 16 Prozent der Nutzung im hintersten Teil der Rangliste.

Die Gier

Aber für die gedruckte Presse, die in der bestehenden Form am Ende ihrer Geschichte steht, fordern die Schweizer Verleger, dass der Förderbetrag pro Jahr «um 90 Millionen auf jährlich 120 Millionen aufgestockt» wird, sonst «sei die Versorgung der Schweiz mit demokratierelevanten Zeitungsinhalten akut gefährdet». Diese aufgeblasene Forderung würde bedeuten, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft innert zehn Jahren rund 1,2 Milliarden Franken in ein mediales Auslaufmodell steckt. Und all das ohne jeden publizistischen Leistungsauftrag.
Der «Verband Schweizer Online-Medien» reagiert entsprechend harsch auf das Vorhaben. Er listet die bekannten Erträge der Schweizer Medienhäuser auf (Tamedia rund 250 Mio., Ringier 100 Mio., NZZ gegen 50 Mio., AZ-Medien rund 20 Mio. und Somedia Chur gegen 10 Mio.). Und zieht dann den einfachen Schluss: «Subventionsübung für etablierte Schweizer Verleger ist abzubrechen».
Ganz so einfach muss man es sich vielleicht nicht machen. Der Bundesrat will die Online-Medien mit 50 Millionen Franken pro Jahr unterstützen, aber nur Angebote, die kostenpflichtig sind. «Unterstützt wird, wer digitale Medieninhalte verkauft und auf diesem Weg eine längerfristige Finanzierbarkeit der journalistischen Leistungen im Onlinebereich anvisiert.» Ausschlaggebend ist für den Bundesrat also das Geschäftsmodell, das auch die grossen Zeitungsverlage bevorzugen. Von der Qualität der Inhalte ist nicht die Rede.

Die Revolution

Gleichzeitig sprach Bundesrätin Sommaruga an der Medienkonferenz aber auch vom «Kerngeschäft» der Medien, und das ist in ihren Worten schlicht und klar: der Journalismus. Und sie sprach von verschiedenen Bezahlformen und unterschiedlichen Produkten: von Tagesabos oder von Podcasts. Wir stehen hier vor einem neuen Suchfeld, auf dem noch andere Lösungen zu finden wären. Sie klang da schon fast wie der noch junge Verband «Medien mit Zukunft», der die Forderung vertritt, nicht mehr Medien zu fördern sondern den Journalismus.
Die digitale Disruption zerreisst alles in der Medienbranche: die Organisation, das Geschäftsmodell, die publizistische Arbeitsweise und die Beziehung zu den Nutzern. Arthur Gregg Sulzberger, seit 2018 Herausgeber der «New York Times», hat gesagt: Die «Times» ist nicht mehr eine Zeitung mit einer Online-Ausgabe, sie ist ein Online-Angebot mit einer Druckausgabe. Der britische «Guardian» wird von einer Stiftung getragen, Chefredaktor Alan Rusbridger hat wie Sulzberger ebenfalls dem Internet den Vorrang gegeben und die interaktive Technologie und die Social Media genutzt, um neben seinem hervorragenden Journalismus auch die Nutzer*innen zu journalistischen Leistungen heranzuziehen. Seine Nachfolgerin Katharine Viner hat diese Strategie konsequent fortgesetzt und das Unternehmen gleichzeitig wieder in die schwarzen Zahlen zurückgeführt. Ein bedeutender Teil der Finanzierung kommt inzwischen von freiwilligen Spenden überzeugter Leserinnen und Leser, denen die Leistungen des «Guardian» am Herzen liegen.
In der Schweiz funktionieren solche Modelle nur im Kleinen und auch dort mehr schlecht als recht. «Infosperber» finanziert sich aus Spenden und Werbung auf der Basis einer Stiftung, die «Republik» hat aus den Abonnenten «Verleger» gemacht, «tsüri» finanziert sich durch Beiträge von Geldgebern und durch wiederholte Crowdfundings, und verwurzelt sich in der Gesellschaft durch Bildungsangebote und die aktive Auseinandersetzung mit Stadtprojekten wie der «Smart City». Eine Breitenwirkung, wie sie die grossen englischsprachigen Medien erzielen, erreichen diese Projekte freilich nicht. Sie kämpfen, wie «tsüri», ausdrücklich noch immer um eine marktfähige Grösse.

Der Leistungsauftrag

Journalistische Qualität und demokratisch verankerte Vielfalt ist nicht an ein bestimmtes Bezahlmodell gebunden. Zukunftsfähige Medienförderung durch die öffentliche Hand wird sich über die traditionelle Finanzierungsform der Bezahlschranke hinaus auch über die neuen finanziellen Verbindungen zwischen Publikation und Publikum, Anbietern und Nutzern, Gedanken machen müssen. Denn die Disruption zerreisst auch das bisherige Geschäftsmodell der Zeitungsverlage. Aber das ist kein Naturgesetz, das war und bleibt eine betriebswirtschaftliche Entscheidung. Medienhäuser wie Tamedia haben in eigener Kompetenz entschieden, die Inserate aus den Zeitungen herauszureissen und sie in selbständige Unternehmensteile auszulagern. Und wenn das aus technisch-ökonomischen Gründen notwendig war, so ist es auch kein Naturgesetz, das eine Querfinanzierung (oder «Rückfinanzierung») des publizistischen Angebots aus dem Ertrag dieser neuen digitalen Produkte verbieten würde. Und solange die Gewinne in private Kassen fliessen, stellt sich natürlich die Frage, ob Subventionen in beträchtlicher Höhe, ohne jede definierte publizistische Gegenleistung, für noch immer florierende Unternehmen wirklich der richtige Weg sind.
Der Alarm wegen einer Gefährdung der redaktionellen Unabhängigkeit durch öffentliche Mittel taugt nicht, wenn es um die Erteilung eines publizistischen Leistungsauftrags geht. Der Bundesrat hat in seinem Auftrag für ein Medienförderungs-Konzept auch die bestehenden Rahmenbedingungen für «die SRG und lokal-regionalen Radio- und Fernsehveranstalter» ausdrücklich bestätigt. Und das schliesst Gebühren in Millionenhöhe für private Veranstalter als Gegenleistung für einen Leistungsauftrag ein, die von Radio- und TV-Sendern nicht ungern akzeptiert werden. Dieser Leistungsauftrag trägt messbar zur Qualitätssicherung bei. Warum also nicht das Modell, das sich seit Jahren bei Privatradio und TV bewährt, auf den Online-Bereich ausweiten?

Die Lösung

Die Disruption, die Zerstörung der hergebrachten Medienstrukturen, hat nicht nur Organisations- und Finanzierungsaufgaben hervorgebracht, sondern auch Denkaufgaben. So gilt es etwa, die Rahmenbedingungen für den Journalismus unter den veränderten Voraussetzungen neu zu durchdenken. Etwa die sozialen Standards, das heisst: die Sicherung der Arbeitsplätze in ausreichender Qualität, Anzahl und Ausstattung in der digitalen Produktion (Gesamtarbeitsverträge). Oder die publizistischen Standards in den Redaktionen mit verbindlichen Redaktionsstatuten, publizistischen Leitlinien und einer Abgrenzung gegenüber den kommerziellen (verlegerischen) Funktionen der Medienproduktion.
Unter den Bedingungen der digitalen Revolution ist die indirekte Medienförderung, wie sie die Verleger fordern und der Bundesrat nun gewähren will, genauso ein Auslaufmodell wie die gedruckte Tageszeitung. Für eine legitimierte Medienförderung müssten mit Blick auf die Zukunft vielmehr zwei andere Leitsätze gelten: Öffentliches Geld gibt es, erstens, nur mit einem Leistungsauftrag. Und gefördert werden, zweitens, nicht mehr die Medien; gefördert wird qualifizierter, vielfältiger Journalismus.

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Robert Ruoff, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.

    Robert Ruoff, freier Publizist (Online, Print, Radio, Fernsehen), u.a. bis 2004 in verschiedenen Funktionen für das Schweizer Fernsehen und die SRG.

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4 Meinungen

  • am 10.09.2019 um 12:03 Uhr
    Permalink

    "Ausschlaggebend ist für den Bundesrat also das Geschäftsmodell, das auch die grossen Zeitungsverlage bevorzugen. Von der Qualität der Inhalte ist nicht die Rede.» Diese Aussage ist so richtig wie gefährlich. Denn jede Unterstützung von Medien, die von der «Qualität» abhängt, wird automatisch zur endlosen Geschichte. Denn gerade bei den Medien vermischen sich messbare Qualität und weltanschauliche Positionen auf eine Art und Weise, dass die Qualität meiner Meinung nach nicht objektivierbar ist. Auch wenn man Formulierungen findet, würde die Qualität letztlich ein Papiertiger bleiben – so wie das bei den subventionierten Privatradios heute schon der Fall ist.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 10.09.2019 um 12:27 Uhr
    Permalink

    Ein bedenkenswerter Beitrag mit Kritik, die in die richtige Richtung weist. Im übrigen bin ich der Meinung, dass jede Form von Zwangsabonnement eine Menschenrechtsverletzung in Richtung der geistigen Integrität des Konsumenten darstellt, zumal auf der Basis dessen, was Herr Ruoff mit Recht als «Auslaufmodell» bezeichnet, das noch höher zu subventionieren mir verantwortungslos erscheint.

  • am 11.09.2019 um 07:04 Uhr
    Permalink

    Mediengesetz: Wir brauchen echte Forumsmedien.

    Wenn der Mediennutzer in den politisch entscheidenden Kommentaren die gleiche Position in immer wieder neuer Form vorgesetzt bekommt – und dies noch in wohlgesetzten Worten und Bildern – so ist die Chance gross, dass er sich diese Meinung zuletzt zu seiner eigenen macht. Ich wünsche mir Forumsmedien, wo ein echter Dialog zwischen den Positionen stattfindet. Das ist wohl Wunschdenken. Nicht einmal die gebührenfinanzierte SRG schafft diese Ausgewogenheit. Auch die „Republik“ ist nur Sprachrohr ihrer Macher.

    Mit dem neuen Mediengesetz müssen deshalb Forumsmedien gefördert werden, wo nicht der Werbeertrag, Lobbyisten-Gelder oder die politische Haltung des Verlegers die politische Ausrichtung bestimmt.

  • am 16.09.2019 um 20:35 Uhr
    Permalink

    Danke für die klaren Worte!
    Ich war schockiert als ich mitbekommen habe, dass ausgerechnet die Medien unterstützt werden sollen, die in letzter Zeit öfter mal ‹fake news› oder zumindest Halbwahrheiten verbreiten haben.
    Ich hoffe sehr, dass wir Onliner das im Parlament auch noch so adressieren können.
    Gibt es Leute die für die online Medien Lobbyieren? Beim Bundesrat haben das die Printverlage offenbar geschafft.

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