Kommentar

Wie sich SP und SVP in EU-Widersprüche verheddern

Niklaus Ramseyer ©

Niklaus Ramseyer /  Dass die SP nicht klar gegen und die SVP nicht eher für den EU-Rahmenvertrag sind, erscheint ziemlich paradox. Die Widersprüche.

Jetzt haben auch die Mieterverbände gemerkt was jeglichem Service Public hierzulande mit dem EU-Rahmenabkommen (InstA) drohen könnte: «Wir wollen Gewähr, dass eine eigenständige Wohnungspolitik von Bund, Kantonen und Gemeinden gewährleistet bleibt», fordert der Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes (SMV), Carlo Sommaruga (SP-Nationalrat, GE). «Es braucht Garantien in dieser Richtung. Vorher ist es nicht möglich, dem Rahmenvertrag zuzustimmen.»

EU-Einmischung in unsere Wohnbaupolitik

Konkret geht es gegen die in der Schweiz traditionelle und bewährte Förderung günstigen Wohnraumes für die breite, werktätige Bevölkerung. Dazu unterhält vorab der Bund einen «Fonds de Roulement», den die Räte erst letzten Herbst gerade wieder um 250 Millionen Franken aufgestockt haben. Mit diesen Bundesgeldern fördert das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) von Grenchen aus günstigen, gemeinnützigen Wohnraum und unterstützt Wohnbaugenossenschaften mit Darlehen. Aber auch Kantone und Gemeinden fördern mit öffentlichen Geldern den preisgünstigen Wohnbau. Die Stadt Bern etwa hat gerade wieder mehrere Duzend Millionen Franken für städtische Wohnprojekte bewilligt.

Für die Brüsseler EU und insbesondere für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) sind dies alles verpönte (weil nicht «marktgerechte») bis schädliche (weil «wettbewerbsverzerrende») «staatliche Beihilfen». So etwa hat der EuGH die holländische Wohnbauförderung kürzlich sanktioniert, weil in seinen Augen solche «Beihilfen» nur für nachweislich Bedürftige erlaubt sein sollen. Sommarugas Sorge ist darum berechtigt: Über den Artikel 8 im Rahmenabkommen (InstA), das die EU der Schweiz nun aufnötigen möchte, könnte der EuGH sich künftig massiv und prohibitiv (verhindernd) in unsere Wohnbauförderung auf allen Ebenen einmischen: Da geht es nämlich um genau diese «Beihilfen».

InstA bedroht Schweizer Service Public fundamental

Der Wohnungsbau ist nur das letzte Beispiel in einer langen Reihe von Politikbereichen, in welche Brüssel und der EuGH nach einer Annahme des Rahmenabkommens (InstA) hierzulande massiv hineinfunken möchten:
• Kantone haben schon angemahnt, ihre für alle Hauseigentümer kostengünstigen obligatorischen kantonalen Gebäudeversicherungen könnten unter dem dubiosen Rahmenabkommen dem Furor des EuGH in seinem Kampf gegen «staatliche Beihilfen» langfristig zum Opfer fallen – und privatisiert werden.
• Ebenso die Kantonalbanken mit ihren Staatsgarantien.
• Oder sogar die Unterstützung von Schulbauten, Kindergärten und Spitälern durch die öffentlichen Hände.
• Gemeinnützig genossenschaftliche Wasserversorgungen sowieso. Teils werden diese jetzt schon vorauseilend durch hier agitierende EU-Freunde in Aktiengesellschaften umgewandelt.
• Und was ist mit den Direktzahlungen an die Landwirtschaft? Sind das etwa nicht «marktverzerrende Beihilfen» im Sinne des EuGH?

Flankierende sind nur die Spitze des Eisbergs

Das alles sei in den Verträgen ja «ausgenommen» oder «wegbedungen» argumentieren EU-Anhänger bei ihrer Verteidigung des Rahmenabkommens hierzulande regelmässig. Die Regel jedoch ist klar: Der EU und ihrem Gerichtshof geht es langfristig nicht um die Förderung der Lebensqualität, nicht um den Schutz der Umwelt und erst recht nicht um möglichst viel Selbstbestimmung auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene. Oberste Richtschnur ist in Brüssel freier Handel, unbeschränkter, grenzüberschreitender Transport – und Konkurrenz aller gegen alle. Dieser neoliberale Geist schlägt einem im InstA-Abkommen in jeder Zeile entgegen.

Wollte die Schweiz etwa aus ökologischen Gründen ein ebenso sinnvolles wie wirksames Programm zur Förderung des Bauens mit hierzulande reichlich wachsendem (10 Mio Festmeter pro Jahr) aber viel zu wenig genutztem (nur die Hälfte!), einheimischem Holz auflegen (Inländervorrang für einheimische Baustoffe) – es könnte vom EuGH (zu Gunsten internationaler Holzhändler) im Rahmen des Rahmenabkommens sofort als «Handelshemmnis und Wettbewerbsverzerrung» oder «unerlaubte Beihilfe» gebrandmarkt und weggeputzt werden.

Dass Brüssel mit seinem Rahmenabkommen explizit auch den durch unsere Flankierenden Massnahmen (FLAM) und entsprechend scharfen Kontrollen gut funktionierenden Schweizer Lohnschutz weghaben und uns EU-eigene, weit wirkungsschwächere Regeln aufdrängen möchte, ist erst recht nur folgerichtig – und sattsam bekannt. Die Schweizer Werktätigen haben als Erste gemerkt, was der grossen Mehrheit der Menschen hierzulande mit dem EU-Rahmenabkommen drohen könnte. Und haben klar gesagt: So nicht mit uns!

Paradoxe Position der SP-Führung

Diese Position nehmen immerhin beim Schweizer Schutz gegen Lohndumping und unfaire Konkurrenz (FLAM) nun auch führende SP-Leute (eher widerwillig) ein. Doch müssen sie sich dafür vom EU-hörigen rechten Flügel ihrer Partei nicht selten bös abkanzeln lassen. Ohne inhaltliche Argumente wurde etwa Corrado Pardini (Gewerkschafter und Berner SP-Nationalrat) vorgeworfen, er sei «im Fernsehen ja neben Blocher gestanden». (Pardini hatte sich den Platz nicht selber ausgesucht.)

Ähnlich erging es Daniel Lampart, dem Chefökonomen beim Gewerkschaftsbund SGB am Freitag, 1. März, im TV SRF. Am Schluss der jüngsten «Arena» zum Thema wollte er da doch noch inhaltlich werden und Fakten auf den Tisch legen: Der EU-Ministerrat habe doch jetzt gerade in einer Verlautbarung von der Schweiz den Verzicht auf deren Flankierende Massnahmen (FLAM) zum Schutz der Schweizer Werktätigen und Unternehmen vor Lohndumping und unfairer Konkurrenz aus dem EU-Raum verlangt, berichtete er. Lampart wurde postwendend von den in grosser Überzahl anwesenden EU-Anhängern (im Chor mit dem Moderator) mehr oder weniger niedergeschrien. Besonders laut schrien dabei der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch und die inzwischen zur hoffnungslos EU-kompatiblen GLP konvertierte rechte SP-Frau Chantal Galladé.

Aber Lampart hat recht: «Mit Nachdruck» verlangt der EU-Ministerrat in seinem neusten Dokument zur Schweiz vom 19. Februar von dieser «die Begleitmassnahmen (wie er unsere «Flankierenden» nennt) aufzuheben oder anzupassen» (an seine eigenen EU-Richtlinien natürlich).

Mehr noch: Gerade hat auch das Europaparlament mehrheitlich dasselbe Ansinnen gegenüber der Schweiz formuliert. Und der oft zitierte Kampf der Schweizer Gewerkschaften für eigenständigen Lohnschutz ist nur die Spitze des drohenden Eisbergs, wie die Beispiele aus dem Service Public zeigen.

Probleme macht Brüssel – nicht Bern

Doch die Chefs der SP, die ja sonst stets den Service Public und den Lohnschutz verteidigt hat, mögen sich immer noch nicht klar vom diesbezüglich desaströsen EU-Rahmenabkommen distanzieren. Die Partei strebe «weiterhin den Abschluss eines institutionellen Rahmenabkommens (InstA) an», liess die SP-Spitze jetzt gerade wieder uneinsichtig verlauten. Das ist paradox. In der zitierten Arena forderte SP-Fraktionschef Roger Nordmann bloss «Nachverhandlungen» (wiewohl die EU solche stur ausschliesst) oder ein «Gegenangebot an die EU». Und man müsse halt in der Schweiz «die Probleme lösen für eine solide Koalition zugunsten des Abkommens». In ihrer neusten Mitteilung zum Thema (vom 29. März) eiert die SP herum zwischen «klärenden Fragen» und «offenen Fragen», die noch «geklärt werden» müssten. Vom akut bedrohten Schweizer Service Public kein Wort. Dafür Banalitäten wie: «Politik ist auch Handwerk».

Dabei schafft ja Brüssel mit seiner Forderung nach einem «Rahmen» und damit nach mehr Einfluss auf unsere Politik die Probleme – und nicht Bern.

Die EU-Anhänger quer durch alle Schweizer Parteien (aber besonders an der SP-Spitze) wollen Handlungsbedarf dennoch nur bei uns sehen – und nie in Brüssel. Sie dreschen auf den Bundesrat und besonders rabiat auf den FDP-Aussenminister Ignazio Cassis ein. Dabei ist es die EU, die rund um ihr Rahmenabkommen sachfremd bis erpresserisch mit der Aberkennung der Schweizer Börse droht oder jetzt gerade wieder mit dem willkürlichen Ausschluss unseres Landes aus europäischen Plattformen für den Stromhandel. Nur: Gegen derlei Anmassungen aus Brüssel fällt den Chef-Genossen nichts ein.

Paradox verhält sich auch die SVP

Diesbezüglich redet immerhin die SVP Klartext. Sie übertreibt aber masslos, indem sie etwa behauptet, das Rahmenabkommen werde «die Schweiz zerstören». Was natürlich Unfug ist. Und auch die Rechtspartei verheddert sich in Widersprüche. Denn: Abbau jeglicher Art von Service Public und Privatisierungen, wie sie der EuGH vorantreibt, sind auch ein Uranliegen der Blocherpartei. Sie möchte sogar die SBB privatisieren – oder doch immerhin deren Liegenschaften, weil die ja rentieren. In diesem ihrem Kampf gegen «staatliche Beihilfen» könnte den Schweizer Rechtsnationalen etwas Schützenhilfe vom EuGH nur gerade recht kommen. Dass die «fremden EU-Richter» diesbezüglich oft auf ihrer Linie liegen, verschweigt die SVP jedoch tunlichst.

Krass das SVP-Paradoxon erst recht bei unseren Flankierenden: In einer Arena verteidigte effektiv SVP-Chefideologe Christoph Blocher Seite an Seite mit dem Gewerkschafter Corrado Pardini die Schweizer Lohnschutzmassnahmen gegen Brüsseler Abbau-Forderungen mit dem Rahmenabkommen. Seine Tochter, SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher hingegen hatte unlängst eigens eine Pressekonferenz einberufen, um ihre schroffe Ablehnung der FLAM zu bekräftigen: Diese dienten nur den Gewerkschaften.

Insgesamt ist nun mit der aufgeschreckten Mieterschaft (fast 70% der Schweizerinnen und Schweizer) die Liste der Gegner des vorliegenden Rahmenabkommens doch erdrückend lang geworden: Sie reicht von den Gewerkschaften über Umweltschützer (die um hierzulande geltende Gentechverbote fürchten) bis zu Mieterverbänden, Bauern und den SVP-Anhängern sowieso. Auch die Kantonsregierungen mahnen mit Datum vom 29. März, «dass die im Rahmenabkommen enthaltenen Bestimmungen zu den staatlichen Beihilfen, den flankierenden Massnahmen und zur Unionsbürgerrichtlinie auf politischer Ebene geklärt werden müssen».

Im (neuen) Bundesrat kämpfe der freisinnige Aussenminister Cassis inzwischen allein und auf verlorenem Posten für einen raschen Abschluss des InstA-Abkommens mit Brüssel, berichtet die neuste Ausgabe der Gewerkschaftszeitung «Work». In linken Kreisen kursiert inzwischen gar ein Aufruf für ein «Nein zum vorliegenden Rahmenabkommen». Als eine der Ersten soll ihn die weitherum geachtete frühere Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (SP, GE) unterschrieben haben. «Work» kommt für das Rahmenabkommen zum vernichtenden Schluss: «Das wird wohl nichts mehr, Herr Cassis.» Es hätte an die richtige Adresse wohl heissen müssen: «Das wird wohl nichts mehr, Herr Juncker!»

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4 Meinungen

  • am 1.04.2019 um 13:25 Uhr
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    Danke Herr Ramseyer, gute Zusammenfassung über das Lavieren der Parteien und das Niederschreien besonnener Stimmen in der Arena.
    Ich habe da noch eine andere Überlegung, jenseits des Interessengerangels über Sachfragen:
    1. Die EU ist nicht Europa. 2. Nach dem Brexit reden wir wieder, wenn dann die EU noch lebt. 3. Mit angeschlagenen Vertragsparteien wie die EU schliesst man keine neuen Verträge ab. Dieses Rahmenabkommen hat keine Dringlichkeit für die Schweiz!

  • am 1.04.2019 um 15:55 Uhr
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    Ganz guter Artikel. Gute und treffende Analyse der Widersprüche von SP und SVP. Solchen – nicht unkritisch dem linksneoliberalen Leitmedien-Mainstream ergebenen – Journalismus braucht es in diesem Land mehr.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 3.04.2019 um 13:03 Uhr
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    +Do chunnt der alt Ramseier». Was noch lange nicht heisst, dass die «angere hingedri» folgen werden. Niklaus Ramseier gehört zu den positiv unberechenbaren Stimmen einer unabhängigen schweizerischen Linken. Schade, scheint es zu spät für einen Einstieg in die Politik; einen mit seinem Hintergrundwissen und seinem von niemandem eingeblasenen Urteil könnte man gebrauchen. Es muss nicht immer die Brillanz einer Sarah Wagenknecht sein, die sich leider unterdessen als Mimose mit nicht sehr grossem politischen Standvermögen entpuppte.

  • am 5.04.2019 um 20:30 Uhr
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    Danke Niklaus Ramseyer.
    Nach Artikel 8 im Rahmenabkommen könnte die EU sich also in unsere Wohnbauförderung und demnach unsere Vermietungspraxis einmischen. Das hiesse, Mieterinnen und Mieter von kommunalen und Genossenschaftswohnungen, die Kostenmiete anstatt Marktmiete bezahlen, könnten aus ihren Wohnungen rausgeschmissen werden, wenn sie nicht zu den «nachweislich Bedürftigen» zählen. «Bedürftig» – was bedeutet denn dieser diskriminierende Begriff? Alle Alleinstehenden und Familien, die nicht «bedürftig» sind und mit Kosten- statt Marktmiete wohnen, sollen laut EU-Richtlinien aus ihren Wohnungen entfernt werden. Denn es gilt laut Brüssel das Gebot der Konkorrenz aller gegen alle. «Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.» Oder wenigstens Erpressung. Prinzip Erlkönig.
    Dass die Linken einer solchen Ideologie aufsitzen, habe ich nie kapiert. Bei den Grünen und Grünliberalen ist das anders, bei der FDP ohnehin. Die haben die Gebote der Union verinnerlicht.

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