Kommentar
Auge um Auge – Geld oder Leben!
Geld oder Leben! Strassenräuberei war einst ein riskantes Geschäft mit tiefer Rendite. Der Kapitaleinsatz – eine Pistole und eine Gesichtsmaske – war zwar bescheiden, aber dasselbe galt für die mögliche Beute. Mehr als ein paar Hundert Franken lagen selten drin. Zudem waren Strassenräuber sozial geächtet und standen immer mit einem Bein im Knast.
Doch seit unser Leben von finanziell potenten Krankenkassen versichert wird, ist das alte Metier neu erfunden worden. Jetzt gibt die Pharma-Industrie den Tarif durch – und der hat es in sich. In den USA etwa ist neulich ein Medikament namens Luxturna auf den Markt gekommen. Die Gentherapie hilft gegen eine seltene, bisher unheilbare Form von genetisch bedingter Erblindung. Luxturna wird unter die Netzhaut der Augen injiziert und soll die Erblindung pro Anwendung um bis zu drei Jahre hinauszögern, vielleicht auch länger.
850’000 Dollar pro Patient und Anwendung
Eine Injektion von Luxturna wird auf dem US-Markt für 425’000 Dollar verkauft. Macht 850’000 Dollar pro Patient und Anwendung. Luxturna ist kein Einzelfall: «Preise, die sich pro Jahr und Patient auf 100’000 Franken und mehr belaufen, sind bei neuen Krebsmedikamenten schon fast die Norm, sagt Martina Weiss, die beim Krankenversicherer Helsana für die Preisverhandlungen zuständig ist. Für ein Medikament gegen Leukämie von Kindern verlangt Novartis sogar 370’000 Franken. Begründung: Eine einmalige Anwendung soll genügen.
Die grosse Frage ist nun, ob diese Preise durch entsprechend hohe Kosten gerechtfertigt sind, oder ob die Pharma-Industrie einfach versucht, das Maximum aus den Finanztöpfen der Krankenversicherer herauszuholen. Das ist besonders bei seltenen Krankheiten verlockend. In Deutschland etwa gibt es gemäss der Deutschen Apothekerzeitung aktuell etwa 200 Patienten, denen Luxturna helfen könnte. 200 mal 850’000 gleich 170 Millionen Dollar alle drei Jahre. Das müsste doch zu verkraften sein.
Was die effektiven Kosten betrifft, will sich Big-Pharma nicht in die Karten schauen lassen. Man vertraut darauf, dass allein der Begriff «Gentherapie» nach hohen Kosten riecht. Der Kaufpreis von 4,3 Milliarden Dollar für Spark Therapeutics, den Hersteller von Luxturna, gibt nun aber doch einige Hinweise auf die effektiven Kosten. Spark wurde 2013 mit einem Kapital von 1,1 Milliarden Dollar gegründet und hat bisher knapp die Hälfte davon «verbrannt» bzw. in Forschung und Entwicklung gesteckt, aber auch in die üppigen Bezüge des Managements. Jeffrey Marazzo, der CEO von Spark, hat allein letztes Jahr 4,9 Millionen Dollar verdient, und er kassiert beim Verkauf des Unternehmens noch einmal mindestens 34 Millionen Dollar für seine Aktienoptionen.
Anders gesagt: In Spark Therapeutics stecken etwa 500 Millionen Dollar Forschung und Entwicklung und rund 600 Millionen Bargeld und Wertschriften. Roche hat also für Investitionen in Forschung und Entwicklung im Wert von rund 0,5 Milliarden Dollar deren 3,7 bezahlt. Die Gründer von Spark Therapeutics haben somit für jeden Dollar, den sie in Forschung investiert haben, deren 7 kassiert. Nicht schlecht. Roche hofft natürlich, dass sich auch seine Investition mehrfach zurückzahlt, wenn auch nicht in derart kurzer Zeit.
Wie viel lässt sich für ein Medikament herausholen?
Grundlage dieser Kalkulation sind offensichtlich nicht die Kosten der Entwicklung des Produkts, also nicht das, was hineingesteckt wurde, sondern das, was man aus den Patienten und Krankenkassen herausholen kann. Wie der Preis von 850’000 Dollar für eine Anwendung von Luxturna zeigt, kann das sehr viel sein. Geld oder Augenlicht!
Ein schlechtes Gewissen muss Roche dabei offenbar nicht haben. Im Gegenteil, sie hat unser volles Mitgefühl, oder zumindest das von Dominique Feldges, dem Pharmaspezialisten der NZZ. Der schreibt in seinem Kommentar: «In der Rolle des ‹Frontrunner› fällt ihnen (gemeint sind Roche und Novartis, Anm. d. Red.) aber auch die undankbare Aufgabe zu, Verständnis für die extrem hohen Preise von Gentherapien zu wecken.»
Die Pharma-Industrie forscht zwar auch, aber vor allem leistet sie offensichtlich hervorragende Lobby-Arbeit. Nicht nur bei Verhandlungen mit den Kostenträgern, sondern auch bei den Medien.
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Siehe auch:
- DOSSIER: Die Politik der Pharmakonzerne
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
In den 70’000 – 120’000 Jahren, seit es menschliche Kultur gibt, stellen die Krankheiten bewirtschaftenden Konzerne, allen voran die Pharmaindustrie und die Krankenkassen den moralischen Tiefpunkt dar. Noch vor der Rüstungs- und der Finanzwirtschaft.
Nach dieser Formel „was kann ich rausholen?“ berechnen sich auch die Gehälter der CEOs.
Wenn deren Gehälter nach dem Wert ihrer Arbeit berechnet würde, müssten die CEOs bei einigen Firmen noch etwas aus eigener Tasche in die Firma einbezahlen.
1) Aha. Wenn ich krank bin, werde ich «ausgeraubt» oder als Habenichts krank liegen gelassen.
Unbedingt lesen:
https://www.ktipp.ch/artikel/d/pharmamultis-machen-profite-mit-der-todesangst/
2) WENN wir als Gesellschaft Infinityprofite erlauben, müssten wir konsequenterweise analog diejenigen, die unsere Krankheiten verursachen, ebenso rigoros maximal zur Rechenschaft ziehen, HAFTBAR machen.
In der Veterinärmedizin ist es einfacher. Mehr als der Schlachtpreis kann nicht herausgeholt werden.
Pikant wird die Sache, wenn Veterinärmedikamente auch beim Menschen zu Erfolg führen können. Aber die Pharma und die verbandelten Zulassungsbehörden werden sich arrangieren, dass solche Überschneidungen nicht möglich werden.