Kommentar
Klimasünder vor dem Kadi
Vom 3. bis 14. Dezember versammeln sich die mehr oder minder treuen Jünger der Erderwärmung im polnischen Katowice. Es sind die fast 200 Teilnehmerstaaten an der 24. Klimakonferenz der Vereinten Nationen. Das alljährliche Treffen der Apostel des Kyoto-Protokolls steht unter einem gehörigen politischen Druck. Das globale Zwei-Grad-Ziel liegt angesichts des unvermindert steigenden Kohlendioxid-Ausstosses und mangels griffiger Massnahmen in weiter Ferne, von der ehrgeizigen 1,5-Grad-Limite ganz zu schweigen. Die Klimaschützer (Frauen stets mitgemeint) sind ratlos und frustriert, die Wissenschaftler am Verzweifeln, die Politiker zaudern und lavieren sich durch, so auch aktuell im Schweizer Nationalrat.
Die Menschheit wird höchstwahrscheinlich scheitern, ihre selbst verursachten Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahrzehnten merklich zu senken. Die gesteckten Reduktionsziele erweisen sich als Fata Morgana in der politischen Wüste. Den einen ist das wurscht, den andern ein Sakrileg gegen das ökologische Gewissen. Es gibt die Guten und die Bösen, Klimaschutz ist zur Religion geworden. Die Situation erinnert ans Jüngste Gericht, das diesjährig erneut einberufen wurde. Da werden die Seligen strikt von den Schuldigern getrennt.
Klimatischer Extremismus
Die Schweiz hat ihre Klimaszenarien aufdatiert und verfeinert (CH2018). Solide, seriöse Wissenschaft mit konsolidierten Befunden: Die menschgemachte Erwärmung wird hierzulande für längere Hitzeperioden mit ausgedörrten Ackerböden und mit weit mehr Tropennächten sorgen, zudem für heftigere Niederschläge mit gefährlichen Hochwassern und Hangrutschen. Der klimatische Extremismus wird spürbar zunehmen. Auch gibt es weniger Schnee, und die helvetischen Gletscher verschwinden definitiv. Im Weiteren steigen mit dem vermehrten Hitzestress die Gesundheitsrisiken der Senioren.
Das Welttribunal in Katowice urteilt wie erwähnt über die vielen Verursacher des wirksamsten anthropogenen Treibhausgases, des Kohlendioxids. Die CO2-Moleküle kann man nicht alle in den gleichen Topf werfen. Es gibt nicht bloss böse, sondern auch neutrale, ja «natürliche» Teilchen, beispielsweise aus Vulkanausbrüchen oder Gasaustritten aus der Erde. Die schlechten jedoch stammen aus der Verbrennung fossiler Energieträger, vor allem in Heizungen, Automotoren und Kraftwerken. Mehr als die Hälfte davon lagert sich für lange Zeit (ca. 100 Jahre) in der Atmosphäre ein, verstärkt erheblich den natürlichen Treibhauseffekt und verhindert so, dass die von der Erde abgestrahlte Energie ins Weltall gelangt.
Schweiz bei Erwärmung vorne
Unser Planet kommt folglich ins Schwitzen, die Schweiz sogar am tüchtigsten. Seit Messbeginn (1864) hat sich bei uns die Jahresmitteltemperatur um 2 Grad erhöht, doppelt so viel wie im globalen Durchschnitt. Und letzthin meldete die Weltorganisation für Meteorologie die höchste Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre seit Menschengedenken, 46 Prozent über dem vorindustriellen Wert. Es gebe keine Umkehr beim weiterhin steigenden Trend (diverse Medien, 22.11.). Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens (2015) einzuhalten, müssten daher die unterzeichnenden Länder ihre bisherigen Anstrengungen mindestens verdreifachen, sagten kürzlich UNO-Experten schier hoffnungslos (28.11.).
Bei so viel prophezeitem Unheil soll das Jüngste Gericht in Katowice Klärung und Hoffnung bringen. Dies in Form eines Regelwerks für die Umsetzung der Massnahmen. Dabei dreht sich das UNO-Tribunal um die seligen, ja beatifizierten CO2-Moleküle, die zwar in den Himmel kämen, aber zum Glück gar nicht erst entstehen. Oder die zumindest bei der Verbrennung (in Kraftwerken) abgetrennt und dann sicher verwahrt werden können, beispielsweise unter dem tiefen Meeresgrund.
Erlösung in der Inexistenz
Die Erlösung, quasi das klimagerechte Paradies, liegt demzufolge in der Inexistenz, dem Nicht-vorhanden-Sein oder Wegsperren. Die ewige Verdammnis hingegen, gleichsam die physikalisch-chemische Klimahölle, befindet sich oben im Himmel und zwar in der Lufthülle, wo der Homo sapiens die verfluchten CO2-Moleküle anhäuft. Eine solch verkehrte Welt, völlig entgegen dem biblischen Vermächtnis, führt denn auch zu Missverständnissen, schafft Ketzern und Klimaleugnern eine prominente Plattform. Hier müsste angesetzt, der klimatische Knäuel (umgelegt auf die Gesellschaft) entwirrt werden, um die Erde vor dem ökologischen Untergang zu retten.
Doch leider erweist sich die Welt als komplexer als angenommen. Das Jüngste Klimagericht muss nämlich aus objektiver Sicht die weitaus meisten Menschen verdammen, sind sie doch mehr oder minder bedeutsame CO2-Emittenten, sei es im fossil beheizten Haus, im benzingetriebenen Fahrzeug, als Flugpassagiere und Karnivoren. Hinzukommen die unzähligen Betreiber kohlenbefeuerter Kraftwerke in China und Indien (NZZ, 04.12.). Und es gibt immer mehr Klimakiller: Auch in Chinas rasant wachsender Mittelschicht will jeder sein eigenes Auto steuern und sein saftiges Steak vertilgen.
Das übervolle (ewige) Inferno
Der Himmel, wo die echten Klimaschützer hinkommen, ist im Vergleich zur übervollen Hölle der Klimasünder beinahe menschenleer. Dort weilen ein paar übriggebliebene Urvölker und Bauern, die klimaneutral bloss Dung und Holz verbrennen. Anzutreffen sind auch strenge Vegetarier und Veganer sowie rigorose Verweigerer von Flugreisen und Autofahrten, die ihr gutes Gewissen hinsichtlich des ökologischen Fussabdrucks pflegen. Der grosse Rest lebt im Inferno, ob ewig sei dahingestellt. Vielleicht gelingt es in ferner Zukunft ja doch einmal, die kohlenstofffreie Energieversorgung zu verwirklichen.
Bis dahin bleibt im Klimaschutz noch einiges zu tun. Das Jüngste Klimagericht in Polen wird wie die vorhergehenden scheitern. Dabei trägt auch die Wissenschaft mit ihren unrealistischen Klimazielen und Umsetzungsstrategien eine Schuld. Vielleicht erkennt aber die bunte Gemeinschaft der Klimaforschenden bald einmal, wie Politik und Zivilgesellschaft effektiv funktionieren. Verfolgt werden doch primär politische, finanzielle und persönliche Interessen. Macht und Einfluss, Geld und Ego sind die vorherrschenden Triebfedern, wissenschaftliche Erkenntnisse stehen hintan.
Anpassung an soziale Wirklichkeit
Die Hoffnung ist daher klein, dass auf Konsum und Komfort, Bequemlichkeit und Genuss zugunsten der damit verknüpften CO2-Einsparungen verzichtet wird. Die Menschheit gehorcht nicht einem einschränkenden Reglement, wie es in Katowice verhandelt wird. Selbst klimageschädigte Seelen werden im Fegefeuer kaum geläutert. Angezeigt ist daher eine Adaption an die soziale und physikalische Realität, wenn nötig mit rein technokratischen Massnahmen wie das erwähnte Einfangen und Speichern von Kohlendioxid aus Kraftwerken. Sonst bleiben die Klimaziele ein unverbindliches, aber riskantes Luftschloss. Die schwitzende Erde wird sich wohl kaum den Bedürfnissen ihrer Bevölkerung anpassen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der langjährige Wissenschaftsjournalist des «Tages-Anzeiger» war bis 2014 Öffentlichkeitsreferent der ETH Zürich.
Genau, die Wissenschaft ist schuld, weil sie die ‹unrealistische› (!) Realität benennt, anstatt sich in den Dienst der Logik von ‹Geld und Ego› zu stellen. Bravo Wissenschaftsjournalist!
Ein überraschend schlechter Artikel auf Infosperber. Und wie es immer so ist, schimpfen die Leser darüber, statt die vielen anderen Artikel zu loben! Die Leserschaft darüber nachdenken zu lassen war sicherlich der Grund, auch mal einen unüberlegten, dürftig recherchierten Text einzustreuen. Danke – lobt und spendet an Infosperber!
Der Artikel ist auch darum schlecht, weil er mit (vermeintlich) biblischen Begriffen wie «Fegefeuer», «jüngstem Gericht», «ewige Verdammnis», usw. «spielt». Damit sollen wohl die «Jünger der Erderwärmung» in die religiöse Ecke gedrängt werden?! Was soll das? Mit diesem kruden Artikel erweist der ehemalige «Oeffentlichkeitsreferent» der ETH den heutigen ETH-Professoren, die sich mit all ihrem Gewicht als Wissenschaftler für eine Reduktion der CO2-Emissionen engagieren, einen denkbar schlechten Dienst. Was soll am Schluss des Artikels das Gesäusel von «rein technokratischen Massnahmen"? Auch für solche «Lösungen» fehlt, weil sie (extrem) teuer sind und (viel) Zeit brauchen, der politische und gesellschaftliche Konsens.