Kommentar
Libanon: Eine Seifenoper, die fatal enden könnte
Es könnte sich, wäre die Sache nicht todernst, um eine Seifenoper im «Orient» handeln: ein mit 47 Jahren relativ junger Mann (nennen wir ihn der Einfachheit halber Saad Hariri), Erbe eines Milliardenvermögens und Sohn eines von bösen Kräften ermordeten Vaters (Rafiq Hariri), wird von einem noch jüngeren, aber bösen und mächtigen Geist (wir können in ihm den 32-jährigen Mohammed bin Salman erkennen) aus seinem kleinen Reich (vielleicht handelt es sich um Libanon?) entführt und in einem Wüstenschloss (da handelt es sich evtl. um ein Luxushotel in Riad) gefangen gesetzt. Der böse Geist diktiert dem Entführten ein Schreiben, das dieser vor laufender Kamera verliest und in dem er erklärt, er werde auf alle Ehren und Ämter, die er bisher inne hatte, verzichten.
Dann tritt ein rettender Engel auf den Plan (es könnte sich um Emmanuel Macron aus dem fernen Frankenreich handeln) und entführt den Gefangenen mit List und Tücke aus dem Morgen- ins Abendland. Und lässt ihn danach wieder in sein kleines Reich im «Orient» zurückkehren. Dort allerdings muss er ihn seinem Schicksal überlassen. Der Ausgang des Märchens / der Seifenoper / der möglichen Tragödie ist noch nicht bekannt, das Script wurde noch nicht zu Ende geschrieben.
Kampf um Vormachtstellung
Oder eventuell doch schon? Saudi-Arabien hat kristallklare Pläne, wie der künftige Mittlere Osten aussehen muss: Die Region soll von Riad aus gelenkt werden, politische oder religiöse Dissidente sollen sich fügen. Wer in Riad herrscht, soll entscheiden, wo in der mittelöstlichen Region wie geschäftet wird. Ein wenig Konkurrenz wird vielleicht noch geduldet (gilt für Dubai und Abu Dhabi), zu viel wird abgewürgt (Qatar). Denn Saudi-Arabien will ja, dank einer gewaltigen Modernisierungsvision von Mohammed bin Salman, selbst zu einem modernen Dienstleistungs-Zentrum werden, sogar mit Frauen, die selber Auto fahren dürfen.
MbS, wie der junge «Visionär» im Kürzel genannt wird, verspricht den Bau einer High-Tech-Stadt am Golf für rund 500 Milliarden Dollar – und sucht vorerst einmal private Investoren. Denn der einst so reiche Staat kann sich dieses Projekt eigentlich gar nicht leisten. Von den Devisenreserven von über 670 Milliarden (Stand vor zwei Jahren) sind jetzt maximal noch 500 vorhanden, denn die Ausgaben für Soziales übersteigen längst die Einnahmen aus dem schwindenden Export von Erdöl – ganz abgesehen von den gesunkenen Preisen pro Barrel. Das Defizit betrug im vorletzten Jahr zwischen 90 und 100 Milliarden, im Jahr 2016 noch etwa 70 Milliarden und, laut Schätzungen, für 2017 ca 50 Milliarden – weil der Erdölpreis sich wieder etwas erholt hat. Anderseits beschloss MbS im Frühsommer, als er den amerikanischen Präsidenten Trump zum Schwertertanz lud, US-Waffen für zunächst 110 Milliarden, bis zum Jahr 2020 aber sogar für 350 Milliarden zu kaufen. Dieses «Zeug» braucht er ja auch – wie könnte er sonst seinen Krieg im Jemen führen (ca. 12’000 Tote, hunderttausende Flüchtlinge und Cholera-Erkrankte)? Wie könnte er, ohne sein Waffenarsenal, die «Ordnung» im kleinen Nachbarstaat Bahrain (schiitische Mehrheit contra sunnitischer, von Saudi-Arabien eingesetzter Herrschaft) aufrecht erhalten? Wie den Nachbarn Qatar einschüchtern, wie eine Drohkulisse gegen den mächtigen Iran aufziehen? Und wie könnte er, damit komme ich auf den Kern des Themas zurück, seinen kleinen «Cousin» in Libanon zur Raison bringen?
Gefährliche Eigendynamik
Saudi-Arabien verfolgt, das hat der deutsche Noch-Aussenminister Gabriel richtig (wenn auch nicht diplomatisch) diagnostiziert, eine abenteuerliche Regionalpolitik. Sie birgt Kriegsgefahr in sich: Ein Waffengang zwischen Saudi-Arabien und Iran ist nicht völlig undenkbar. Eine Eskalation der Lage in Libanon bis hin zu einem bewaffneten Konflikt leider vorstellbar. Saudi-Arabien respektive MbS will oder möchte zumindest, dass sich der dortige Premierminister, dass sich die Regierung klar von den schiitischen Hizb-Allah-Kräften distanzieren. Wie? Das ist MbS egal, ungeachtet der Sachlage: Geschätzte 40 Prozent der Bevölkerung Libanons sind Schiiten; Hizb-Allah ist nicht nur eine Miliz, eine gut ausgerüstete Armee, sondern auch eine politische Partei (die von Saad Hariri erfolgreich in die Verantwortung eingebunden wurde), sie ist, kurz, nicht einfach aus der libanesischen Realität wegzuzaubern.
Dass Hizb-Allah von Iran unterstützt wird, lässt sich nicht leugnen. So wenig, wie dass Hizb-Allah wesentlichen Anteil am sich mehr und mehr abzeichnenden Sieg Assads in Syrien hat. Das mag für die Saudis unangenehm sein – aber es gibt nun einmal unbequeme Realitäten, nicht nur Fantasia und Tausendundeine Nacht.
Wie viel Einfluss haben die Westeuropäer? Wenig. Im Nahen und Mittleren Osten hat sich eine Eigendynamik mit verhängnisvoller Gemengelage zwischen religiös verbrämter Ideologie und Wirtschaft entwickelt. Nach aussen wird die Bruchlinie als Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten charakterisiert. Doch das greift zu kurz, ist Bestandteil der saudischen Propaganda-Maschinerie. Dem saudischen Machtmenschen MbS geht es darum, möglichst breitflächig Abhängigkeiten zu schaffen und Konkurrenten auszuschalten. Gelingt ihm das nicht, droht seinem (künftigen) Reich eine schwerwiegende Krise. Die will er um jeden Preis vermeiden – sogar um den Preis eines Kriegs.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Saudiarabien, vom Westen bis an die Zähne und darüber hinaus mit allem bewaffnet, was die Rüstungsindustrie dem reichen Königshaus verkaufen konnte, ist kaum wirklich ein stabiler Staat.
Denen würde ich nicht weiter trauen als ich einen Elefanten schmeissen könnte.
Ich bin aber mittlerweile geneigt zu hoffen, dass sie sich samt und sonders gegenseitig in die Luft sprengen, so tragisch das auch für die einzelnen Betroffenen ist. All das Blutvergissen für nichts und wieder nichts in den letzten siebzig, achtzig Jahren hat sie ja nicht gelehrt, sich gegenseitig endlich mal in Ruhe leben zu lassen. Die Religion und ihre aggressiven Vertreter hat dabei leider eine sehr dominante Stellung.