Kommentar
Singende Vögel – zirpende Grillen? Das war einmal
Wir wissen es: Ohne Tiere und ohne Pflanzen gäbe es keine Menschen. Wir alle stehen auf den Schultern unserer älteren Geschwister im Tier- und Pflanzenreich. Mit dem dramatischen Artensterben sind wir die erste Generation, die Gott voll ins Handwerk pfuscht.
Schon 1962 hatte die US-Schriftstellerin Rachel Carson in ihrem Öko-Bestseller «Der stumme Frühling» geschrieben: Über allem «liegt der Schatten des Todes» und vernimmt nur noch «Schweigen über Feldern, Sumpf und Wald».
Inzwischen wurde aus dem stummen Frühling auch ein ziemlich stummer Sommer und Herbst. Nicht nur in den Getreidegürteln der USA. Auch in den Sojafeldern Brasiliens und in den Feldern der Monokulturen Europas.
In diesen Tagen wurde wissenschaftlich belegt, was Tier- und Umweltschützer schon lange vermuten: Auch in Deutschland geht die Zahl der Insektenarten dramatisch zurück, um 75 Prozent in den letzten 25 Jahren.
Wenn es Insekten schlecht geht, geht es der Natur insgesamt schlecht. So steht es in einer Studie der renommierten Fachzeitschrift «Plos One». Insekten bestäuben in Deutschland 80 Prozent der Wildpflanzen, und 60 Prozent der Vögel benötigen sie als Futter. Die Studie liefere den Beleg dafür, «dass der Artenschwund wirklich ein grossflächiges Problem ist», sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum in Halle über die Studie der holländischen Universität Nijmegen. Schon frühere Studien belegten den starken Rückgang von Bienen, Käfern und Schmetterlingen.
Die Untersuchungsorte repräsentieren ganz unterschiedliche Lebensräume wie Heidelandschaften, Gras- oder Brachflächen.
Die Erwärmung des Klimas allein kann die rasante Geschwindigkeit des Artensterbens nicht erklären. Eine grössere Rolle spielt die Intensivlandwirtschaft mit ihrem grossen Pestizid- und Düngemitteleinsatz. Darüber sind sich die Forscher einig. 94 Prozent der untersuchten Flächen waren von Intensivlandwirtschaft umgeben.
Intensive Landwirtschaft (Bild ARD)
Wie immer reagiert der Deutsche Bauernverband im Abwehr-Ritual. Es verbieten sich voreilige Schlüsse – es müsse erst mal weiter untersucht werden. So ähnlich reagierten früher die Zigarettenindustrie oder die Asbestindustrie, wenn ihr wissenschaftliche Studien über die Gesundheitsgefahren des Rauchens nicht ins Geschäftsfeld passten, oder heute die Zuckerindustrie.
«Weitere Studien sind nötig», sagt auch die Landwirtschaftökologin Alexandra-Maria Klein von der Universität Freiburg. Warten aber könnte für viele Insektenarten zu spät sein.
Freilich ist die Landwirtschaft nicht allein für das Artensterben verantwortlich. Wissenschaftler nennen als weitere Treiber des Insektensterbens: Zersiedlung, Klimawandel, Landschaftfragmentierung, Infrastrukturmassnahmen.
Manche Autofahrer mögen ja denken «Ist doch ganz praktisch, wenn meine Scheiben nicht immer von zermatschten Insekten verklebt sind. Und warum müssen Insekten denn unbedingt geschützt werden. Eisbären sind doch viel niedlicher!».
Insekten sind aber nötig, damit Ökosysteme überhaupt funktionieren. Ohne Insekten finden Eidechsen, Vögel und Frösche nicht genug zu fressen. Und eine Welt ohne Schmetterlinge ist viel weniger schön und weniger bunt.
Politisch heisst das: Ohne eine Einschränkung der chemischen Spritzereien wird es nicht gehen. Mehr Öko-Landwirtschaft wäre doch ein schönes Thema für die jetzt begonnenen Koalitionsgespräche in Berlin. Grüne Politiker, bitte übernehmen Sie! Euer Thema: Agrarwende jetzt!
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der pensionierte Autor war viele Jahre lang ARD-Journalist. Er betreibt heute den Blog sonnenseite.com.
Zum dramatischen Rückgang der Artenvielfalt weltweit werden wild durcheinander sämtliche mögliche Ursachen aufgezählt: Intensivlandwirtschaft, Zersiedelung, Klimawandel, Landschaftsfragmentierung, Infrastrukturmassnahmen.
Was fehlt, und immer wieder fehlt: das rasante BEVÖLKERUNGWACHSTUM, aktuell in 13 Jahren 1 Milliarde mehr.
Der emeritierte Prof. Dieter Steiner (ETH Zürich, Humanökologe) hat übrigens eine Biografie über die Pionierin der Ökologiebewegung, Rachel Carson, geschrieben. (2014). Ein Zitat von ihr: »….ein Grund ist der, dass wir einfach zu viele sind».
@Wirth Sabine
Ja, die fortschreitende Zu Betonierung ebenso, dann kommen noch die «aufgeräumten» Hobbygärtner, Immobilienbesitzer und Haus Abwarte, die mit jedem «Unkraut» sofort aufräumen, welches Nahrung und Unterkunft für Insekten bieten würde. Im Herbst erlebt man wieder die Laubbläser, welche die Überwinterungsplätze für manche Insekten dröhnend wegfegen. https://www.shz.de/tipps-trends/tiere/laubhaufen-im-garten-schuetzen-igel-und-insekten-id17867591.html
Und nicht zuletzt geht es auch um Geld, der Bauer muss «wirtschaftlich» arbeiten, heisst es. «Seit der Erschaffung des Geldes ging der eigentliche Reichtum eines Landes weitgehend in Vergessenheit, wie die fruchtbaren Böden, die grossen Wälder, die Berge, die Flüsse & Seen, die Artenvielfalt, Bodenschätze und Viehbestände, alles drehte sich nur noch um das Geld, dieses scheinbar höchste Gut, das jederzeit Mangelware war und dieser Zustand hält bis heute an.“ Obwohl Geld ein Kunstprodukt ist mit ebenso künstlich geschaffenen Problemen. Geld wäre bedarfsgerecht und unendlich schöpfbar und kein knappes und endliches Gut wie Ökonomen und Politiker behaupten. Knapp und endlich sind dagegen unser Leben und die Ressourcen der Erde.