Kommentar
Papa muss zur Arbeit
Pressen, Pressen, Pressen. Schmerzensschreie. Pressen. Beruhigende Worte. Verzweiflung, Hilflosigkeit. Fingernägel, die sich in Fleisch graben. Pressen. Sichtkontakt: Kribbeln im Magen, Hühnerhaut, kalter Schweiss. Pressen – bis zur Erlösung. Weinen: Zweimal aus Glück und Erleichterung, einmal um «Hallo» zu sagen. «Jetzt bin ich da, ein neues Lebewesen.»
Innehalten, die Welt steht still. Aber nur für einen Moment. Trotz des Wunders, das alles verändert: Auf! Die Arbeit wartet.
Vor zehn Jahren wurde ich Vater. Kurze Zeit nach der Geburt meiner Tochter sass ich bereits wieder am Schreibtisch und tat so, als würde ich arbeiten. In Wahrheit war ich ganz weit weg. Ich war glücklich – und wütend. Ich war frustriert, genervt, aggressiv. Ich wollte nicht an diesem Tisch sitzen, mich nicht mit meiner Arbeit herumschlagen. Vorgesetzte, Kollegen und Kunden wünschte ich dahin, wo der Pfeffer wächst. Ich wollte zurück. Zurück zu meiner Tochter, die ich so überstürzt verlassen musste. Als hätte ich sie im Stich gelassen, so fühlte sich das an.
Zurück im Krankenhaus durfte ich mir dann jeweils von anderen erzählen lassen, wie meine Tochter ihre ersten Tage auf der Erde verbracht hatte. Wie es sich anhörte, als sie endlos weinte. Wie sie im Schlaf schmatzte und sich ihr kleines Gesicht dabei zu einem glücklichen Lächeln verzog. Wie es sich anfühlte, als sie die Finger der Besucher mit ihren kleinen Fäusten umschloss. Wie sie der Sonne entgegenblinzelte, als wollte sie sie begrüssen und ihr zurufen: «Sonne, ich mag dich. Danke, dass du für mich scheinst». Welchen Hunger sie hatte und wie gierig sie trank.
Ich, der Vater, war nicht dabei. Während das Leben meiner Tochter begann, sass ich an einem Schreibtisch und tat so, als würde ich arbeiten. Ich war eine Randerscheinung, die zu Randzeiten kam und bald wieder ging. Der Vater, ein seltener Besucher.
Damals verstand ich das nicht. Mit zehn Jahren zeitlichem Abstand und dank des Bundesrats, der kürzlich die Initiative «Vaterschaftsurlaub jetzt!» ablehnte, habe ich nun Klarheit. Die Initiative verlangt einen Vaterschaftsurlaub von zwanzig Tagen. Zu gross seien die Kosten, die dadurch entstehen würden, so die Argumentation des Bundesrats. Die Wirtschaft würde zu stark gebremst. Jetzt grinse ich. Auch ich bremste die Wirtschaft. Damals. Als ich so tat, als würde ich arbeiten.
Der Bund beziffert die zu erwartenden Kosten der Initiative mit 420 Millionen Franken pro Jahr. Ein Klacks im Bundesbudget. Trotzdem sehen die alten Herren Ueli Maurer (66, SVP), Johann Schneider-Ammann (65, FDP), Didier Burkhalter (57, FDP) und Guy Parmelin (57, SVP) keinen Sinn darin, Geld in die Hand zu nehmen und junge Familien in ihrer schönsten, manchmal auch schwierigsten Phase zu unterstützen. Sozialminister Alain Berset (45, SP) brachte noch billigere Alternativlösungen vor, scheiterte aber am Seniorenklub.
Damit bleibt die Schweiz eines der letzten europäischen Länder, das keinen gesetzlichen Vaterschaftsurlaub kennt. Egal. Prioritär sei der Ausbau der Kinderbetreuungsangebote, so der Bundesrat. Das ist nett und macht Sinn – sobald das Kind älter ist. In der Anfangsphase sollen sich Eltern weiterhin mit der aktuellen Situation abfinden, sie müssen einen eventuellen Vaterschaftsurlaub mit dem Arbeitgeber respektive dem Sozialpartner verhandeln.
Das ist rückständig. Dass der Bundesrat am gleichen Tag bekannt gibt, eine Kandidatur für die Olympischen Winterspiele 2026 mit acht Millionen Franken zu unterstützen und dass er im Falle eines Zuschlags gar bis zu einer Milliarde Franken ausgeben wolle, ist blanker Hohn. Das Geld gibt es, weil der Bundesrat die Olympischen Winterspiele als «grosse Chance für Sport, Wirtschaft und Gesellschaft in der Schweiz» sieht. Alles klar.
Auch meine Tochter und jedes andere Kind ist eine «grosse Chance für Sport, Wirtschaft und Gesellschaft in der Schweiz». Oder etwa nicht? Darin lohnt es sich zu investieren, nicht in einen unnützen und sauteuren Grossanlass, der in erster Linie dem Prestige dient, dessen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Nutzen schnell wieder verschwinden wird.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor ist Vater einer zehnjährigen Tochter.
Ausgezeichnet! Gut gebrüllt, Löwe!
Liebes unbekanntes 10-jähriges Mädchen. Erklär Deinem Erzeuger, dass er halt seine Ferien damals für dich hätte hergeben sollen. Die verpassten Momente mit Dir kann ihm kein Bundesrat oder Parlament ersetzen. Ich gehe davon aus, dass Du nicht über Nacht gezeugt und auf einmal da standst…:-) Er hätte seine Ferien für die Familie ‚opfern‘ sollen! Vati-Zeit ist auch Fazit-Zeit.
Nur weil andere Länder bezüglich Vaterschaftsurlaub «fortschrittlicher» sind, heisst es nicht, dass wir es denen gleich tun müssen. Ich hatte das Glück, bei der Geburt unseres ersten Kindes dabei zu sein. Es ging alles sehr schnell. Bei der Geburt des zweiten Kindes konnte ich nicht dabei sein. Die werdende Mutter ging in die Stadt, um einzukaufen. Vorher besuchte sie ihre Mutter. Dort kamen die Wehen. Per Taxi gings direkt in die Maternité. Ich war an der Arbeit, als die erfreuliche Botschat kam. Ich fuhr sofort hin, um den neuen Erdenbürger zu begrüssen. Wir meisterten die Gesamtsituation gemeinsam. Ich war zur Stelle, wenn es mich brauchte. Meistens in der Nacht. Als ruhiger Pol konnte ich Stresssituationen neutralisieren. Ein längerer Vaterschaftsurlaub hätte kaum viel gebracht. Wir setzten Prioritäten: 1. der Job, 2. die Familie, 3. Fortbildung. Sport und Verein mussten zurückgesetzt werden. Ferien verbrachten wir erst, als es angebracht war und nur gemeinsam. Sie waren kurz. Der Rest gehörte der jungen Famile. Wir können auf eine sehr gute Entwicklung zurück blicken. Die Jungmannschaft entwickelte sich erfreulich. Die Jungs nutzten die Chancen und es wurde etwas aus ihnen. Ihre Kinder sind auch bereits gut auf der Spur. Die eine Familie lebt in der Schweiz, die andere im fernen Osten. Wir können vergleichen. Es kommt nicht auf den Vaterschaftsurlaub an! Bereitschaft, sich auf neue Situationen einzustellen und das Wahrnehmen der Verantwortung machen es aus!