Kommentar
kontertext: Neue Bilder für Energiewende gesucht
Ein Stapel Fünfliber auf der Schweizerkarte und eine unter der Dusche frierende Frau: Das sind die bekannten Pro- und Kontra-Plakatsujets zum Energiegesetz, über das wir am 21. Mai 2017 abstimmen. In den Online- und den gedruckten Medien wird die Berichterstattung über das Gesetz mit imposanten Stauseen, Windturbinen und Solarpanelfeldern illustriert – und mit Einfamilienhäusern. Was haben Einfamilienhäuser mit der Energiewende zu tun? Ist die Energiewende ein Projekt in der Grösse einer Grundstückparzelle?
Hilfreiche Clips für komplexe Vorlage
Die Gesetzesvorlage ist komplex. Für die Meinungsbildung ist einmal mehr die Service Public-Leistung des Schweizer Radios und Fernsehens SRF hilfreich. Anhand der bekannten Sendeformate (Arena, Rundschau etc.) sowie erläuternder Texte und Videoclips werden das Dafür und das Dagegen der Energiestrategie und des Energiegesetzes aufgezeigt.
Zur Umsetzung der Energiestrategie 2050 hat das Parlament das Energiegesetz revidiert und damit ein erstes Massnahmenpaket beschlossen. Das Gesetz dient dazu, den Energieverbrauch zu senken, die Energieeffizienz zu erhöhen und erneuerbare Energien zu fördern. Zudem wird der Bau neuer Atomkraftwerke verboten. Abgestimmt wird, weil die SVP gegen das Gesetz das Referendum ergriffen hat (Energiegesetz).
In den Info-Clips von SRF tauchen nebst den Techniken für erneuerbare Energie Einfamilienhäuser und Autos auf. In Kombination mit anderen aktuell gesendeten Filmbeiträgen zum Gebäudeprogramm (das Gebäudeprogramm bildet einen wichtigen Teil der Energiestrategie) entsteht ein verfängliches Bild: Zur Energiewende tragen vor allem jene bei, die ein Haus, ein Auto oder ein Unternehmen besitzen.
Strahlende Dächer und eingerüstete Häuser
Was ist in den Clips zu sehen? Im einminütigen SRF-Video (News-Clip 28.04.2017) zum neuen Energiegesetz sehen wir als Ausgangsbild eine Fabrik und ein Einfamilienhaus mit qualmenden Kaminen sowie einen Personenwagen und einen Strommast. «Das Energiegesetz will unseren gesamten Verbrauch reduzieren, um 43% pro Person und Jahr», heisst es einleitend. Ein Teil der Reduktion soll durch effiziente Energienutzung erreicht werden; hier habe sich in den letzten Jahren schon einiges getan.
Nun ploppt ins Bild ein zweites Haus auf der grünen Wiese und die Frauenstimme aus dem Off erklärt: «Häuser werden besser isoliert und neue Heizungen brauchen weniger Energie.» Das Hausdach beginnt zu strahlen (=Wärmeverlust, weil nicht isoliert?). Es folgen Erläuterungen zu Elektrogeräten, Autos und Treibstoffverbrauch. Mit neuen Regeln will die Energiestrategie noch mehr Effizienz erreichen, lautet das Fazit.
Im zweiminütigen Film zur Energiestrategie im Gesamten (SRF News vom 4.4.2017) ist das Eröffnungsbild eine Gruppe Mehrfamilienhäuser. Gerüste werden hochgezogen und graue Platten (= Solarpanels, Dämmung?) auf die Dächer gelegt: «Die neue Energiestrategie will, dass Energien effizienter genutzt werden. Der Bund will energetische Sanierungen von Gebäuden gezielter unterstützen», lauten die ersten beiden Sätze. Dann wechselt das Bild zu Autos und Lastwagen auf der Strasse; es geht um CO2-Ausstoss, dann noch um Fördergelder für effizientere Technologien in Unternehmen, finanziert durch die Stromkunden, und zuletzt um den Ausbau der erneuerbaren Energien. Auch hier kommen wieder die Einfamilienhäuser ins Spiel: Häuschen neben Häuschen, die neu mit Erdwärme geheizt werden.
Energiewende – kein Projekt für Mieterinnen und Mieter?
Die Videoclips stellen die Energiewende als ein Projekt für Hausbesitzende dar. Damit referieren die Clips auf die zahlreichen bunten Geschichten vom Eigenheim, das einen Beitrag zur Energiewende leistet, dank Dämmung und Solarpanels auf dem Dach, gestützt durch das Gebäudeprogramm (10vor10, 18.04.2017). Die Mieterinnen und Mieter, welche die Mehrheit in der Schweiz bilden, bleiben beim Projekt Energiewende scheinbar aussen vor. Sie sind höchstens als passive, zahlende Stromkunden mit von der Partie.
Was soll diese spitzfindige Clipanalyse? Einfache Bilder sind notwendig bei einer so komplexen Vorlage. Ein «Ja, aber» ist nicht erwünscht. Es leitet nur unnötig viel Wasser auf die Turbinen der Energiegesetz-Gegner, wird befürchtet. Das zeigte sich auch bei Susanne Boos’ differenzierter Analyse in der WOZ («Sozial ist die Wende nicht», 13. April 2017), die sich nicht darauf beschränkte, die Argumente der Energiegesetz-Befürworterinnen und -Befürworter wie neue Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Innovation im Inland herunterzuleiern. Obwohl sich Boos auf keine Seite schlug, folgten prompt Leserinnenbriefe mit dem Vorwurf: Boos leiste den Gesetzesgegnerinnen und -gegnern «unerfreuliche Schützenhilfe» (WOZ, 27. April 2017).
Gemeinschaftswerk statt gedämmtes Eigenheim
Das neue Energiegesetz ist sicher gut für Hauseigentümerinnen und -eigentümer. Sie können Sanierungskosten neu während dreier Jahre von den Steuern abziehen. Auch die Kosten für den Gebäudeabbruch liessen sich von den Steuern absetzen, wenn danach ein energiefreundlicheres Haus erstellt wird. Inwiefern auch die Mieterinnen und Mieter davon profitieren werden, wird sich weisen. Noch ist es nicht Realität, dass Eigentümer nach Sanierungen Mieten senken oder Neubauten über günstigere Mieten als Altbauten verfügen.
Es ist jedoch zu hoffen, dass die schweizweite Umsetzung des Energiegesetzes mehr ist, als was die sechs Kantone in der Zentralschweiz im Bereich des Gebäudeprogramms anfangs Jahr beschlossen haben – dass die Hauseigentümer pro Quadratmeter Fläche Wand, Dach oder Boden, welche sie besser isolieren, Geld erhalten (SRF, 3. Januar 2017). Diese Massnahmen erinnern stark an die parzellenscharfen Häuschen-Darstellungen in den Clips.
Es gibt innovative Projekte, die über die Eigenheim-Dächer hinausweisen. Um ein kleines Beispiel herauszugreifen: In Zürich kann man bei den Energiewerken eine bestimmte Anzahl Quadratmeter Solaranlagen auf öffentlichen Bauten kaufen, wenn man Solarstrom fördern möchte, aber kein Haus besitzt oder das eigene Haus ungeeignet ist dafür.
Legen wir also am 21. Mai ein «Ja» ein, heben das «aber» für später auf und denken uns jetzt schon neue Bilder aus für eine gemeinschaftliche Energiewende.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Anna Joss ist Historikerin mit den Schwerpunkten Sammlungs- und Museumsgeschichte sowie Raum-, Wohn- und Baugeschichte. Beim Hier und Jetzt Verlag für Kultur und Geschichte in Baden erschien 2016 ihre Dissertation "Anhäufen, forschen, erhalten. Die Sammlungsgeschichte des Schweizerischen Nationalmuseum 1899 bis 2007". Heute arbeitet sie bei der Denkmalpflege der Stadt Zürich als stellvertretende Leiterin.
- Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Corina Lanfranchi, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.