Kommentar

kontertext: Klick, klick, die Kasse klingelt

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsHeinrich Vogler. Geboren 1950 in Basel. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie der Politik. War Journalist ©

Heinrich Vogler /  Schöner geschäften im Webbetrieb.

Die neudeutschen Begriffe gibt es noch nicht. Also spricht man in der Branche der Medien-Wirtschaft davon, mit Storyclash den Social-Traffic zu steigern. Storyclash ist von einer österreichischen Softwarefirma entwickelt worden. Storyclash bündelt Trends aus dem Social Web thematisch in Echtzeit. Vorbei scheint also die Zeit zu sein, in der man mit herkömmlicher Online-Suche bei Google und Co. wertvolle Zeit verlor. Die Softwarefirma Storyclash verheisst, dass Redaktionen innerhalb von Minuten «auf virale Trends reagieren» und «die Topstories des Tages in Sekundenschnelle zusammenstellen können». Der Entwickler verspricht, dass man mit diesem Verfahren den Facebook-Traffic ankurbeln könne, während Google in dieser Hinsicht stagniere.
Storyclash zeige, wird weiter versichert, dass man auf diesem Weg in Echtzeit verfolgen könne, welche Inhalte am häufigsten geteilt, geliked und kommentiert würden. Mit anderen Worten alle Inhalte, die Werbung anziehen. Dies versteht sich vor dem Hintergrund, dass die Plattform Facebook inzwischen der Hauptkanal ist, um schnellstmöglich viel Publikum zu erreichen. Facebook ist darum für viele Nutzer mittlerweile auch die Hauptinformationsquelle.

Beschleunigung der Beschleunigung

Die neue Zauberformel bedeutet auch für die Publizistik: finanzieller Erfolg = Masse x Beschleunigung. Inhaltlich werden aus diesem gigantischen Datenkuddelmuddel durch Redaktionen neue Geschichten und Geschichtchen auf grösstmögliche Akzeptanz hin garniert, rezycliert oder ausgebaut, um schliesslich zurück in den Cyberspace gefeuert zu werden. So lässt sich im ausladenden Fahrwasser von Social Media-Plattformen schon gutes Werbegeld verdienen. Mit einem Maximum an Reichweite und wenig Inhalt von Belang. So übertrumpft auf dem Altar der Gigaklicks das Sekundäre das Primäre der überkommenen Vorstellung von Journalismus. Hauseigene Recherchen sind enorm viel teurer, als Aufgewärmtes von den Hauptverkehrsadern der Datenautobahn abzusaugen. Ob Facebook, Twitter oder Google: Die permanent drehenden Wiederverwertungsmaschinen bestimmen Takt und Puls im heutigen Newsbusiness. Auf den Plattformen der Social Media wird rund um die Uhr gewissermassen per Zeigefinger mit den Füssen abgestimmt.
Die digitale Welt ist verstellt mit Rankings wie meistgehört, meistgelesen, meistgesehen. Solche Bestseller-Schlagzeilen ziehen die Massen magisch an in der Annahme, dass, was die Mehrheit gut findet, immer auch das Beste ist. Diese von der Werbung übernommene Strategie verführt indessen Journalistinnen, eher auf den Boulevard zu schielen als Komplexität zu vermitteln.

Der Mausklick ist das Heil

Alleinseligmachendes Kriterium ist auf dem hart umkämpften Werbemarkt der Bezahlmedien nach wie vor die Reichweite, d.h. die Anzahl verkaufter Zeitungsexemplare respektive die Summe angesteuerter Seiten im Online-Bereich. Der Beachtungsgrad der Artikel entscheidet darüber, wie viel Werbung auf einer Mediaplattform geschaltet wird. Wie bei den Printmedien, nur viel präziser erfasst. Reichweiten von Zeitungen sagen nur etwas aus über verkaufte Ausgaben, nicht aber über die Anzahl effektiver Leserinnen und Leser. Das Gleiche gilt auch für die Online-Zeitung. Denn angeklickt heisst noch lange nicht auch gelesen. Aber dies wird von den Marketing-Strategen nicht beachtet.

Klick macht Kasse

Das Rattenrennen um die Gunst des Publikums beginnt beim reissenderen Lead eines Artikels. Bei der Tamedia AG hat man aus dieser Erkenntnis ein Bonussystem für die RedaktorInnen eingeführt. Und zwar beim Newsexpress-Team (zuständig für 20min.ch sowie die Newsnet-Plattformen von Bund, Berner Zeitung und Basler Zeitung). Die Newsexpress-Belegschaft formuliert Agenturmeldungen boulevardgängig um. Wer für einen Artikel mehr Klicks einheimst, erhält Ende Monat eine Zusatzprämie auf die Hand. «Bis zu 800 Franken zusätzlich pro Trimester» sollen möglich sein («Boni für Blut und Büsis» WoZ 9.3.2017). Das ist fundamental marktwirtschaftlich gedacht. Indem die Arbeit scheinbar objektiv in eine qualitative und in eine quantitative Komponente aufgeteilt wird. Vielleicht steuert der Journalismus bald per Mausklick in Richtung Akkordlohn. Noch ist vorerst aber nichts darüber bekannt, ob künftig auch MitarbeiterInnen von Schweizer Qualitätszeitungen mit solchen Erfolgsprämien rechnen können. Es sind Zweifel angebracht, ob dies etwa mit einem Schweizer Parlamentsbericht oder einer Kriegsreportage aus Syrien möglich wäre.

Auf beiden Augen blind

Um einiges relevanter als solche Geschäftemachereien ist die Nachricht, dass vielen Nutzern von Facebook oft nicht klar sei, was die Quelle, die Herkunft ist von dem digitalen Newsbrei, den sie wälzen. Jeder zehnte Amerikaner halte nämlich Facebook auch für die Quelle von News-Links. Dies hat eine Umfrage des renommierten Pew Research Center in den USA ergeben. Was, wenn man den Urheber und Produzenten von Nachrichten nicht mehr kennt? Hier ist eine Umwälzung in Gang, die das mediale Weltbild vieler Menschen mit dichtem Nebel verschleiert. Big Brother lässt grüssen. Angesichts dieses Befunds wünscht man sich dringend, dass Firmen wie Facebook, die keine Nachrichtendienste sind, mehr Verantwortung für die Verbreitung von beispielsweise «alternativen Fakten» übernähmen. Eigentlich müsste eine Art Deklarationspflicht für die Herkunft von Nachrichten eingeführt werden. Nur: einen gewissen US-Präsidenten und andere Propagandisten dürfte es nicht kümmern, von wem all die Lügen stammen, die im Cyberspace verbreitet werden. Hauptsache, die Masse des Social Traffic ist hoch.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Heinrich Vogler. Geboren 1950 in Basel. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie der Politik. War Journalist / Redaktor bei Radio DRS und SRF 2 Kultur. Arbeitete als Kultur- sowie jahrelang als Literaturredaktor. Bis zur Pensionierung Ende 2015. War freier Literaturkritiker für Berner Zeitung, Tages-Anzeiger und NZZ.

  • Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Corina Lanfranchi, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

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Eine Meinung zu

  • am 25.03.2017 um 17:18 Uhr
    Permalink

    Gibt es überhaupt noch Schweizer Qualitätszeitungen ??? ( oder Fernsehen ? ) Ich zweifle sehr daran. Deshalb besorge ich mir meine Informationen selbständig und kritisch auf alternative Wege.
    Es ist nur halt etwas mühsamer und zeitaufwändiger….so etwa wie
    selber Kochen und dann geniessen , statt in die Fastfood Bude zu gehen und den Einheitsbrei gedankenlos herunterzuschlingen

    S. Bütler

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