Kommentar
Ortsüblich oder Wohnen in Zürich ist teuer
Die Kündigung kommt in Form eines gelben Zettels, der eingeschriebene Brief liege auf der Post abholbereit. Es braucht ein paar Tage, bis auch wir bereit sind, diesen Brief abzuholen. Schliesslich verheisst eingeschriebene Post selten Gutes. Warum eigentlich?
Und tatsächlich: Gekündigt wird uns die Wohnung. Jene Wohnung, in die wir erst vor einem Jahr eingezogen sind. Verdächtig günstig zwar, aber selbst auf Nachfrage, wo der Haken liege, immer noch günstig und offenbar wahr. Diese Wohnung ohne Geschirrspüler und Dampfabzug, mit Wänden aus Papier kostet monatlich weniger als die Hälfte einer so genannt ortsüblichen Miete.
Es gibt Abendrunden in den Wohnungen anderer – die notabene selbst immer auch fast genauso günstig wohnen –, da wagen wir kaum zu erwähnen, wie wenig wir bezahlen, nur weil immer auch jemand am Tisch sitzt, der viel bezahlt. Dass viel und wenig immer im Verhältnis zum grossen Ganzen ist, spielt in solchen Runden häufig keine Rolle.
PowerPoint gegen Wut
Zwischen eingeschriebenem Brief und Informationsveranstaltung im nahen Kirchensaal wird vor den Waschküchen und in den Treppenhäusern viel über Wohnungsgrundrisse und Mieterhöhungen gemunkelt. Manche mit einer latenten Wut im Bauch, andere pragmatisch. Die Mieter von immerhin 16 Hausnummern haben zeitgleich eine Kündigung bekommen. Ich persönlich verspüre durchaus Kampfgeist. Und erwarte entsprechend viel von dieser Veranstaltung, denn ich bin mir sicher, dass bei so vielen Betroffenen eine genügend grosse Wut zusammenkommen wird, wenn sich die Miete um mehr als ein paar symbolische Franken erhöhen wird.
Die Stiftung und der Sanierungs-Architekt informieren schwungvoll über die bevorstehende Sanierung. Man kann ihnen nichts vorwerfen: Ein paar Powerpoint-Bilder von verrosteten Leitungen und ein bisschen Asbestverdacht in den Erzählungen plus ein moderner Grundriss, das macht alles Sinn und wird sachlich vorgetragen. Die Kündigung sei pro forma, betont der Stiftungspräsident lächelnd und verspricht, dass alle Mieter ihre Wohnung wieder bekommen werden – so sie denn mit den neuen Konditionen einverstanden sind. Die neuen Konditionen sind: Eine Wand weniger, dafür mit Geschirrspüler und Glaskeramikherd für monatlich neu 1500 Fr. statt 950 Fr. Schliesslich, schiebt der Präsident noch nach, würden alle Wohnungen rundherum mit ähnlichem Standard weit mehr kosten. «Ortsüblich», sagt er, lächelnd.
Auf die Powerpoint-Präsentation folgt die Fragerunde, von der ich mir so viel versprochen habe. Doch während dieser Fragerunde verliert sich nicht nur mein Kampfgeist, sondern macht sich in mir ein grosser Klumpen breit. Die ersten Fragen, die gestellt werden, beziehen sich auf Vorhangschienen (toll), Schalldämmungen auf den Balkonen (toller), auf den Geschirrspüler (am tollsten) und den Glaskeramikherd (einzig hier ein paar Buh-Rufe). Architekt und Stiftung antworten wo sie können, die Vorhangschienen sind im Kostenvoranschlag drin, andere Details sind noch nicht bekannt.
Nur wenige murren
Nur ein einziger Bär von einem Mann erhebt sich ganz zum Schluss, bedankt sich für die übersichtliche und faire Dokumentation, um dann doch noch anzumerken, dass eine Verdoppelung der Miete ja krass sei. Dass diese Stiftung doch durchaus politisch entscheiden könnte, statt sich an ortsüblichen Sätzen des Marktes zu orientieren. Ein paar wenige murren mit ihm mit. Die meisten aber verlassen bereits jetzt zufrieden die Veranstaltung: sie werden einen neuen Vertrag bekommen und einen Geschirrspüler. Die Mieterhöhung nehmen sie dafür gerne in Kauf – und werden halt beim nächsten Abendessen in den Wohnzimmern der anderen ebenfalls die Augen verdrehen. Wohnen in Zürich? Teuer halt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Gina Bucher studierte Publizistik, arbeitet als Redakteurin und freie Journalistin, unter anderem für die «taz». Sie ist Herausgeberin verschiedener Bücher im Kunstbereich.