Kommentar
Guterres vor der Wahl zum UNO-Generalsekretär
Der UNO-Sicherheitsrat hat sich nach fünf kontroversen Probeabstimmungen seit Juli dieses Jahres überraschend auf einen neuen Generalsekretär der Weltorganisation geeinigt – den früheren UN-Hochkommissar für Flüchtlinge und vormaligen portugiesischen Regierungschef António Guterres. Der Konsens wurde möglich, weil die Vetomacht Russland ihre in allen fünf Probeabstimmungen eingelegte Nein-Stimme diese Woche aufgab und nicht mehr länger auf einem Kandidaten aus der bislang noch nie berücksichtigten Region Osteuropa bestand. In UNO-Kreisen wird vermutet, die Regierung Putin habe angesichts der massiven Spannungen mit dem Westen über Syrien und die Ukraine mit dem Einschwenken auf Guterres ein Zeichen der Einigkeit setzen wollen. Für diese Vermutung spricht die demonstrative Art und Weise, in der Russlands Botschafter Witali Tschurkin, seit 1. Oktober für einen Monat Präsident des Sicherheitsrates , die Einigung auf den neuen Generalsekretär der Öffentlichkeit präsentierte: im Kreis aller 14 Ratskollegen und gemeinsam mit US-Botschafterin Samantha Power, mit der sich Tschurkin in den letzten zwei Wochen noch ungewöhnlich heftige Wortgefechte zum Syrienkonflikt geliefert hatte.
Frauen wegen unterschiedlicher Vetos aus dem Rennen geworfen
Einigkeit zumindest zwischen den fünf Vetomächten des Sicherheitsrates bestand leider – aus teils unterschiedlichen, teils identischen Gründen – aber auch in der Ablehnung der drei wegen ihrer internationalen Erfahrung sowie ihrer Herkunft profiliertesten und zunächst aussichtsreichsten Bewerberinnen unter den insgesamt sechs zur Wahl stehenden Frauen. Gegen die bulgarische Generaldirektorin der UNESCO in Paris, Irina Bokowa, votierten bei der letzten Probeabstimmung im Sicherheitsrat ebenso zwei Vetomächte mit Nein wie gegen die bulgarische EU-Kommissarin und frühere Weltbankpräsidentin Kristalina Georgiewa. Und gegen die Direktorin des UNO-Entwicklungsprogramms (UNEP) Helen Clark, die sich in ihrer Zeit als neuseeländische Regierungschefin stark für die weltweite Abschaffung aller Atomwaffen engagiert hatte, legten mit den USA, Frankreich und Grossbritannien sogar drei ständige Ratsmitglieder und Atomwaffenmächte ihr Veto ein. Die erneute Nichtberücksichtigung von Frauen nach sieben ausschliesslich männlichen UNO-Generalsekretären seit 1945 wird möglicherweise dazu führen, dass die Generalversammlung die Entscheidung des Sicherheitsrates für Guterres nicht wie bislang üblich im Konsens abnicken wird, sondern dass einige Staaten mit Nein stimmen oder sich zumindest enthalten werden.
Obwohl der Beste – grosse Hoffnungen könnten enttäuscht werden
Mit Guterres wird immerhin der mit Abstand beste und international erfahrenste unter den vier männlichen Kandidaten neuer Generalsekretär. Seine zehnjährige Amtsführung als UN-Hochkommissar für Flüchtlinge lässt erwarten, dass er auch als Generalsekretär der Weltorganisation eine engagiertere und gegenüber den Mitgliedstaaten mutigere Rolle spielen wird als sein profilloser Vorgänger Ban Ki-moon. Doch vor übertriebenen Hoffnungen auf den neuen Mann an der Spitze der UNO, die schon wieder laut werden, kaum dass der Sicherheitsrat sich auf ihn geeinigt hat, sei gewarnt. Beim Versuch, den Rat zu reformieren, dürfte sich Guterres ebenso eine Abfuhr durch die fünf reformunwilligen Vetomächte holen wie sein in dieser Frage sehr engagierter Vor-Vorgänger Kofi Annan. Im Syrienkonflikt, der derzeit alle anderen internationalen Probleme in den Schatten stellt, werden Guterres und sein Chefvermittler für die Beilegung dieses Konflikts auch nicht mehr bewirken können als Ban Ki-moon, solange die Vetomächte Russland und USA weiterhin ihre konträren Interessen verfolgen und sich im Sicherheitsrat gegenseitig blockieren.
Für die Hoffnung, nach dem einträchtigen Auftritt der beiden Botschafter Tschurkin und Power zur Verkündung des neuen UNO-Generalsekretärs komme es bald auch zu einer Annäherung zwischen Washington und Moskau im Syrienkonflikt, gibt es bislang leider keine konkreten Anzeichen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine