Kommentar
Leise Hoffnung, doch weiterhin grosse Differenzen
Nach der in der Nacht zum Freitag in München erzielten Vereinbarung der «Internationalen Unterstützungsgruppe für Syrien» (ISSG) über eine baldige «Feuerpause» in dem Bürgerkriegsland und die «unbehinderte humanitäre Versorgung» der notleidenden Bevölkerung sollen bereits am Montag oder Dienstag erste Hilfskonvois in bislang belagerte und schwer zugängliche Städte und Regionen starten. Das kündigte der Syrien-Vermittler der UNO, Staffan di Mistura an. In Genf trat am Freitagnachmitttag die in München beschlossene Arbeitsgruppe der 20 ISSG-Mitglieder unter Vorsitz des Norwegers Jan Egeland zusammen, die diese dringend benötigten Hilfslieferungen koordinieren soll.
Zur ISSG gehören neben der UNO, der Arabischen Liga und der EU 17 Staaten – darunter die in den Syrienkonflikt involvierten Länder USA, Russland, Iran, Saudi-Arabien, die Türkei und Katar . Die Aussenminister dieser Staaten hatten am frühen Freitagmorgen nach über sechsstündigen Verhandlungen eine Vereinbarung mit drei Punkten veröffentlicht:
Feuerpause
Die Gewalt in Syrien muss «unverzüglich und signifikant reduziert» werden. Dies soll dann in einer Woche in ein landesweites Ende der Kämpfe münden. Diese Feuerpause «beginnt, wenn die Regierung in Damaskus und die Opposition diese bestätigt haben», heisst es in der Vereinbarung von München. Um die Modalitäten für die Feuerpause auszuarbeiten, wurde eine Arbeitsgruppe der UNO eingesetzt, die unter dem Co-Vorsitz von Russland und den USA steht. Daran werden hohe Militärs beider Seiten beteiligt sein, wie die Aussenminister John Kerry und Sergey Lawrow vor der Presse in München erklärten.
Die Feuerpause soll für alle derzeit kämpfenden Parteien gelten – bis auf die Milizen des sogenannten «Islamischen Staates» (IS), den syrischen Al-Kaida-Ableger Al-Nusra-Front sowie «weitere Gruppen», die vom UN-Sicherheitsrat als «terroristisch» eingestuft wurden.
Humanitäre Hilfe
Die humanitäre Versorgung der notleidenden Bevölkerung soll auf dem gesamten syrischen Territorium erfolgen – auch in den derzeit vom IS oder von der Al-Nusra-Front kontrollierten oder belagerten Städten und Regionen des Landes. Bereits «in den kommenden Tagen» soll dringend benötigte humanitäre Hilfe aus der Luft über der vom IS-belagerten ostsyrischen Stadt Deir Essor abgeworfen werden sowie über den Orten Fua und Kafraja. Über den Landweg soll Hilfe in die belagerten Regionen unter anderem um Damaskus, Madaja und Kafr Batna gebracht werden. Danach sollen «unbehinderte» humanitäre Hilfslieferungen für die rund 430’000 Menschen in den anderen 15 syrischen Städten erfolgen, die bislang durch Belagerung – in der grossen Mehrzahl durch syrische Regierungstruppen oder mit ihnen verbündete Milizen – völlig von der Aussenwelt abgeschnitten waren. Dasselbe gilt für die übrigen Regionen mit weiteren über vier Millionen Menschen, die bislang schwer zugänglich waren für humanitäre Hilfskonvois.
Es soll sichergestellt werden, dass Hilfskonvois «ausschliesslich humanitären Zwecken» dienen, heisst es in der Vereinbarung.
Politischer Übergang
Die 17 Aussenminister der ISSG «bekräftigten das Ziel», die Ende Januar nach nur drei Tagen unterbrochenen Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und der Opposition über einen politischen Machtübergang unter Vermittlung der UNO «so schnell wie möglich» wieder aufzunehmen. Di Mistura hatte dafür bislang den Termin 25. Februrar genannt. Nach der Einigung von München schlossen Diplomaten auch ein früheres Datum nicht aus, sollte die Reduzierung der Feindseligkeiten bis zu einer Feuerpause bereits Ende nächster Woche tatsächlich gelingen und auch die humanitäre Versorgung der notleidenden Bevölkerung so stattfinden, wie jetzt vereinbart. Denn das waren Ende Januar die Hauptbedingungen des «Hohen Verhandlungsrates» (HNC) der Opposition für Gespräche mit der syrischen Regierungsdelegation in Genf.
Russlands Aussenminister Lawrow machte allerdings sehr deutlich, dass Moskau weiterhin auf einer Erweiterung der Oppositionsdelegation am Genfer Verhandlungstisch um Vertreter der syrischen Kurden sowie der gemässigten, von der Assad-Regierung geduldeten syrischen Inlandsopposition besteht. Das hat der HNC, der sich als «einzig legitime Opposition» versteht, bislang entschieden abgelehnt.
Ein weiterer ungelöster Streitpunkt ist, wer in die Kategorie der «terroristischen» Gruppen fällt, die auch nach einer Feuerpause bombardiert oder in anderer Weise militärisch bekämpft werden sollen. Für Russland gehören dazu auch die beiden islamistisch-salafistischen Rebellengruppen «Islamische Armee» und «Initiative freier Männer der Levante», die nach wie vor Teile der umkämpften Provinz Aleppo kontrollieren. Diese beiden Gruppen werden von Saudi-Arabien und der Türkei unterstützt und sind sehr einflussreiche Mitglieder der bisherigen Oppositionsdelegation HNC in Genf. Zudem unterhalten sie enge ideologische und operative Verbindungen zur Al-Nusra-Front. Dennoch teilen die USA und die EU Russlands Einstufung dieser Gruppen als «terroristisch» nicht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Andreas Zumach ist spezialisiert auf Völkerrecht, Menschenrechtspolitik, Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle und internationale Organisationen. Er arbeitet am europäischen Hauptsitz der Uno in Genf als Korrespondent für Printmedien, wie beispielsweise die Tageszeitung (taz), Die Presse (Wien), die WoZ und das St. Galler Tagblatt, sowie für deutschsprachige Radiostationen und das Schweizer Fernsehen SRF. Bekannt wurde Zumach 2003 als Kritiker des dritten Golfkrieges. Im Jahr 2009 wurde ihm der Göttinger Friedenspreis verliehen.