Kommentar
Die Opposition muss an den Verhandlungstisch
Nichts wäre dringender im Syrienkonflikt als die sofortige und bedingungslose Einstellung aller Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht durch Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte, die Belagerung von Städten und Dörfern und die Behinderung humanitärer Hilfelieferungen für die notleidende Bevölkerung. Die Erfüllung dieser Forderung ist zudem eine unerlässliche Voraussetzung für möglichweise erfolgreiche Gespräche über eine politische Nachkriegsordnung in Syrien.
Doch es riecht nach Propaganda und nützt zudem überhaupt nichts, wenn das grösste syrische Oppositionsbündnis HNC diese Forderung nur einseitig an die andere Seite stellt und ihre Erfüllung gar zur Vorbedingung macht für die eigene Teilnahme an den Genfer Verhandlungen. Deutsche Politiker, Syrienexperten und Journalisten, die diese Haltung des HNC in den letzten Tagen für legitim und notwendig erklärt haben, tragen damit zum Scheitern der Genfer Konferenz und zur Verlängerung des blutigen Bürgerkrieges bei. Wie die UNO beweiskräftig dokumentiert hat, begehen alle Kriegsakteure auf dem syrischen Schlachtfeld die oben genannten Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht. Wobei – auch das ist bestens belegt – über 90 Prozent der unter mangelnder humanitärer Versorgung leidenden Zivilbevölkerung derzeit in Städten und Regionen leben, die von syrischen Regierungstruppen oder mit ihnen verbündeten Milizen belagert werden.
Richtig ist auch, dass bislang nur syrische und russische Luftstreitkräfte Zivilisten und zivile Objekte bombardieren, weil die oppositionellen Kriegsakteure (noch) nicht über Kampfflugzeuge- und Hubschrauber verfügen. Doch eine Verbesserung der humanitären Lage in Syrien wird es nur geben als Ergebnis von Verhandlungen. Das zeigen alle Erfahrungen aus früheren, ähnlichen Konflikten. Daher sollte das Oppositionsbündnis HNC so schnell wie möglich an den Genfer Verhandlungen teilnehmen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Andreas Zumach ist spezialisiert auf Völkerrecht, Menschenrechtspolitik, Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle und internationale Organisationen. Er arbeitet am europäischen Hauptsitz der Uno in Genf als Korrespondent für Printmedien, wie beispielsweise die tageszeitung (taz), Die Presse (Wien), die WoZ und das St. Galler Tagblatt, sowie für deutschsprachige Radiostationen und das Schweizer Fernsehen SRF. Bekannt wurde Zumach 2003 als Kritiker des dritten Golfkrieges. Im Jahr 2009 wurde ihm der Göttinger Friedenspreis verliehen.