Kommentar

Israel nach der Wahl: so geht es weiter

Erich Gysling © zvg

Erich Gysling /  Mit der Wiederwahl Netanyahus hat sich Israel für die Verlängerung des Status quo entschieden – und nicht für Frieden.

Das war wieder mal so ein echter NZZ-Titel: «Hoffnungsfrohe palästinensische Resignation» (21.3.2015). Andere Blätter kommentierten das, klar, anders: letzter Beweis dafür, dass Israel null Interesse hat, weiter über eine Zweistaaten-Regelung zu verhandeln (auch wenn Netanyahu nach der Wahl etwas anders redete als vor der Wahl). Wobei «verhandeln» ohnehin die Beschönigung eines Zerrbildes ist, das Politiker und zahlreiche Medien seit Mitte der 90er Jahre (konkret: seit der Ermordung von Yitzhak Rabin) nur noch mühsam am Scheintoten-Leben erhalten. Hat nicht Ariel Sharon noch gesagt, man müsse die Gespräche mit den Palästinensern einfach «sichtbar» machen, das genüge schon?

Reden – gewollt ohne Resultate

Netanyahu hat sich getreu an diese Linie gehalten: Reden um des Redens willen, aber auf jeden Fall nur so, dass irgendwelche Resultate vermieden werden.
Also, so wird es allenfalls weiter gehen. Mahmud Abbas wird sich Gesprächen mit der neuen israelischen Regierung anfänglich mit der Begründung verweigern, dass Verhandlungen plus gleichzeitige Siedlungs-Neubauten unvereinbar seien. Dann wird er doch wieder einlenken. Weil er auf die Gelder aus den USA und die Rück-Überweisung von Steuern aus Israel angewiesen ist.
Die USA werden jede israelisch-palästinensische Begegnung als hoffnungsvolles Zeichen deuten. Sie werden der israelischen Regierung mit einer angeblich neuen Nahost-Taktik begegnen, d.h. fallweise mit der Veto-Verweigerung im UNO-Sicherheitsrat drohen, ohne jedoch solchen Drohungen Taten folgen zu lassen. Ein US-Veto gegen die Interessen Israels: schlicht nicht vorstellbar. Die USA werden immer wieder, wenn es um die Finanzen geht, Israel anmahnen, dass die Siedlungsbauten im besetzten Palästinensergebiet im Gegensatz zu den Visionen einer Zweistaaten-Lösung ständen, aber die Gelder werden, darauf kann man wetten, doch immer weiter fliessen. Allenfalls mit Verzögerung, damit hat sich’s dann.
Wahrscheinlich werden die Palästinenser in internationalen Gremien noch einige Fortschritte machen – ob sie so weit gelangen, dass sie Israel anklagen, ist offen. Die palästinensische Führung ist sich bestimmt darüber im Klaren, dass Israel international über so hoch qualifizierte Anwälte verfügt, dass es jeder palästinensischen Klage eine Gegenklage entgegen halten kann. Da kann man noch so lange argumentieren: im letzten Gaza-Krieg starben 17 Israeli, aber mehr als 2100 Palästinenser. Die Einzelfälle werden von israelischer Seite wohl besser dokumentiert, die Zahl der Opfer wird, letzten Endes, nicht zählen. Und der nächste Gaza-Krieg, der kommt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Die Frustration im dicht bevölkerten Landstreifen wächst weiter – ist wie ein Dampfkochtopf, dessen Ventil immer schriller pfeift. Und je bedrohlicher der Topf wird, desto grösser die Angst, das Gerät von der Flamme weg zu ziehen. Bis … ja, bis wann?
Mit anderen Worten: es wird so weiter gehen wie bisher. Netanyahu wird auch nicht nur einmal, sondern mehrmals versuchen, das Total-Feindbild Iran an die Wand zu malen. Solange Barack Obama im Weissen Haus sitzt, wird er damit nicht gross punkten. Aber danach? Danach wahrscheinlich schon, egal, ob ein Republikaner die nächsten Wahlen gewinnt oder die Demokratin Hillary Clinton.

Die Sicht aus dem Innern Israels

Nun kann – oder sollte man sich wohl auch einmal in die Situation eines «normalen» Israeli versetzen. Aus dieser Perspektive sieht die Welt, man muss das vielleicht widerstrebend erkennen und anerkennen, sehr anders aus: Rundherum Chaos und Gewalt, Bürger- und Stellvertreterkrieg in Syrien, labile Situation in Jordanien, noch labilere in Libanon. Ägypten unter Sissis Autokraten-Herrschaft bestenfalls halbwegs stabilisiert. Und diese Iran-Geschichte, die versteht ja wohl ohnehin kaum jemand (ist wirklich komplex!), also glaubt man besser Netanyahu als irgend einem Andern. Wirtschaftlich geht’s ebenso gut wie schlecht: das Land kam besser durch die Wirtschaftskrise von 2008 / 2009, die High-Tech-Branche, grossartig innovativ, blüht. Aber fast 20 Prozent der Menschen in Israel leben an oder sogar unterhalb der Armutslinie. Und für die Mittelschicht fehlen 100 000 Wohnungen. Solange nicht noch mehr Wohneinheiten in Judäa und Samaria aufgezogen werden (Judäa und Samaria = besetzte Palästinensergebiete – aber diese Bezeichnung ist in Israel «politically incorrect»), bleiben die sozialen Spannungen. Aber wer, ausser Netanyahu, hat bessere Formeln für die Bewältigung solcher Probleme? Niemand, lautete letzten Endes die Antwort einer knappen Mehrheit. Wobei Mehrheit wohl bedeutet: Likud (30 Prozent Stimmen) plus die verschiedenen Parteien noch weiter rechts.
Von aussen, aus der Ferne, unter Anwendung sozusagen von «Remote control», sieht es so aus: Israel kann mit der Netanyahu-Formel wohl noch für ziemlich lange Zeit über die Runden kommen. Ob die Palästinenser – siehe NZZ – «hoffnungsvoll resignieren» oder nicht, ist für das Land Israel ohne Bedeutung.

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6 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 22.03.2015 um 10:44 Uhr
    Permalink

    Ohne Resultate geht es Israel am besten. Ein Zustand ohne Friedensvertrag war auch für Deutschland gut, genau so wie für Nordkorea. Der Begriff Friede ist im Prinzip eine utopische Illusion.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 22.03.2015 um 10:44 Uhr
    Permalink

    Ohne Resultate geht es Israel am besten. Ein Zustand ohne Friedensvertrag war auch für Deutschland gut, genau so wie für Nordkorea. Der Begriff Friede ist im Prinzip eine utopische Illusion.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 22.03.2015 um 10:46 Uhr
    Permalink

    …gemeint war natürlich: «genau so wie für Südkorea», Nordkorea bleibt eine surrealistische Hölle.

  • am 22.03.2015 um 15:12 Uhr
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    «Judäa und Samaria = besetzte Palästinensergebiete»: Gewiss kann man der Ansicht sein, Südschleswig und das Elsass seien von den Deutschen besetzt, das Veltlin und Südtirol von den Italienern, Schlesien und Pommern von den Polen, Königsberg und Tilsit von den Russen, Arizona und Texas von den US-Amerikanern usw. usf. und das müsse nicht für alle Zukunft so sein, genau so wenig, wie die sogenannte Westbank Jordaniens für alle Zeiten von den Israelis besetzt bleiben müsse; aber Kriege – egal von wem angezettelt, von wem gewonnen – haben gelegentlich Gebietsveränderungen zur Folge.
    Die einen finden sich irgendwann damit ab, die andern ums Verrecken nicht.

  • am 22.03.2015 um 17:59 Uhr
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    Nach alter Rabbiner Dialektik werden Ereignisse in Ihrer Bedeutung gewendet. Die Probleme die Israel beklagt, sind jene Problem die sie selbst geschaffen. Zur Erinnerung: Es ist nicht Palästina, welches Israel (was ist eigentlich Israel?) besetzt hat. Erstaunlich auch, wie sich die ganze Welt um ein eigentlich unbedeutendes Land (sowohl wirtschaftlich wie politisch) kümmert.

  • am 23.03.2015 um 19:26 Uhr
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    Zu meiner gestrigen Einlassung: Dass das Elsass von den Deutschen «besetzt» sei, hätte man vor hundert Jahren behaupten können, heute müsste man, wollte man von «Besetzung» reden, die Franzosen anprangern. Man (= ich) sollte ein Mail vor dem Abschicken halt noch einmal lesen (und dann korrigieren, und erst dann senden). Pardon.

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