Kommentar
Ueli Maurer, der Gripen und die Rundschau
Es ging um einen Beitrag des Politmagazins «Rundschau» am Schweizer Fernsehen SRF zur Volksabstimmung über die Beschaffung des schwedischen Kampfflugzeugs Gripen. Auf einen rund 15-minütigen Filmbeitrag mit Aufnahmen auf Militärflugplätzen in Schweden und Österreich folgte ein neunminütiges Studiogespräch des Moderators Sandro Brotz mit Verteidigungsminister Ueli Maurer.
Der Bundesrat, der den Beitrag schon vorher hatte ansehen können, war spürbar «aufgeladen» und griff die Sendung am Ende frontal an: Er finde es «relativ tendenziös für ein Fernsehen, das von öffentlichen Geldern lebt», wie die «Rundschau» das Thema angegangen sei. So habe die Sendung die territorial grösseren Länder Österreich, Tschechien und Ungarn mit ihren viel kleineren Kampfflugzeugflotten als Vergleich herangezogen, nicht aber Belgien und die Niederlande, die weit mehr Flugzeuge in die Luft brächten als die Schweiz. Als Brotz diese Rüge «zur Kenntnis nahm», blaffte Maurer, das reiche nicht; die «schwache journalistische Leistung» sei nächstes mal zu verbessern.
Bis Ostermontag meldete Achille Casanova, Ombudsmann für Radio- und Fernsehprogramme SRF, den Rekordeingang von 90 Beanstandungen gegen den «Rundschau»-Beitrag. Beanstandungen monieren in der Regel eine Verletzung der Sachgerechtgkeits- und Vielfaltsgebote; Bundesverfassung und Gesetz haben sie seit den 80er Jahren der Radio- und Fernsehberichterstattung auferlegt. Der Ombudsbefund muss innert 40 Tagen vorliegen; er kann an die Unabhängige Beschwerdeinstanz UBI, eine Art Verwaltungsgericht über Programmbeschwerden RTV, und schliesslich an das Bundesgericht weitergezogen werden. Die Instanzen stellen fest, ob Programmrecht verletzt wurde oder nicht.
Mit Blick auf die 35-jährige Praxis der Programmrechtskontrolle dürfen wir schon einige Konstanten feststellen, ohne den Entscheiden der Prüfungsinstanzen vorzugreifen.
Ziel des Programmrechts – eine schweizerische Erfindung – ist es, dem Publikum von Radio und Fernsehen eine eigene Meinungsbildung über wichtige Fragen zu ermöglichen (für den Persönlichkeitsschutz sind andere Gesetze da, nämlich das Zivil- und Strafgesetzbuch). Diesem Ziel des Publikumsschutzes dient das Erfordernis der «Sachgerechtigkeit». Es verlangt die Einhaltung der Handwerksregeln eines guten Journalismus. Einige Stichworte: «Wahrhaftigkeit», «Transparenz» (was ist Bericht, was Kommentar?), «Sachkenntnis», «faire Verarbeitung anderer Meinungen». Das gilt für die «Hauptpunkte» eines Berichts. «Ausgewogenheit» verlangt die Programmrechtspraxis nur im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen – je näher am Urnengang, desto mehr. Die dem Radio und Fernsehen vertrauende Aktivbürgerschaft soll nicht manipuliert werden. Nach den SRF-internen«Publizistischen Leitlinien» (PDF) beginnt die heikle Phase acht Wochen vor dem Abstimmungstermin, der für die Gripen-Entscheidung auf den 18. Mai angesetzt ist. Wir befinden uns also schon mitten in der «heissen» Zone.
Sogleich stellt sich die Frage, wie eng die einzelnen zusammenhängenden Teile einer Sendung das «Sachgerechtigkeits- und Vielfaltsgebot» erfüllen müssen. Der Zufall will es, dass kürzlich die 25 Seiten starke schriftliche Begründung (PDF) eines brisanten Entscheids der Beschwerdeinstanz UBI eintraf, der ein anderes «Rundschau»-Dossier und denselben scharfzüngig-kühlen Moderator beurteilte. Es ging um den «Fall Mörgeli». Hat Brotz letztes Jahr den prominenten Chefintellektuellen der SVP und entlassenen Professor der Medizingeschichte, Christoph Mörgeli, in einer kritischen Sendung über angeblich durchgewinkte Dissertationen «sachgerecht» behandelt?
Die Machart der beiden mehr als ein Jahr auseinanderliegenden «Rundschau»-Dossiers «Mörgeli» und «Gripen» war ähnlich. Auf einen kritischen Bericht folgte jeweils das ausführliche Studiogespräch, in dem der Hauptbetroffene ausführlich antworten und den Bericht anzweifeln konnte. Die UBI schreibt:
«Provokative Fragen begründen keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebotes, es sei denn, die Meinungsbildung des Publikums zum Beitragsthema werde dadurch erheblich beeinflusst. Der Betroffene konnte seine Sicht der Dinge ausgiebig darlegen.»
Allerdings seien die im Zusammenhang relevanten Fakten eingehend abzuklären. Die UBI wies Mörgelis Beschwerden einstimmig ab, obwohl sie den Berichten einige untergeordnete Mängel ankreidete (so etwa die völlig themenfremde, ironisch gemeinte Frage von Brotz, ob Nationalrat Mörgeli nach den negativen Aussagen über ihn als «Doktorvater» nun zurücktreten werde). Die Zweiteilung in kritischen Bericht und gegenhaltendes Studiogespräch hat auch das Bundesgericht schon mehrmals als faires Strickmuster bezeichnet. Kommt hinzu, dass beim Gripen-Stück in der Person von Bundesrat Maurer ein dossierfestes und rhetorisch gewandtes Regierungsmitglied Gegensteuer geben konnte.
Es trifft zu, dass der Gripen-Beitrag bei Österreich und seiner winzigen Luftkampf-Flotte verweilte und die «kleinen» Nato-Mitglieder Belgien/Niederlande mit viel mehr Kampfflugzeugen nicht erwähnte. Aber Österreich ist wie die Schweiz neutral; überdies wirken die beiden Nachbarstaaten bei der Luftsicherung über dem Davoser Wirtschaftsforum eng zusammen. Und eben: Weil Brotz die Frage auch Maurer stellte, konnte dieser sich ausführlich über die Unterschiede auslassen. Im Bericht kam auch ein überzeugender Kaderpilot des Militärs als Gripen-Befürworter zum Zug. Nicht der Weisheit letzter Schluss war es, einen deutschen Lehrbeauftragten für Strategiefragen aufzubieten, der früher schon die Schweizer SP und die GSOA-Armeeabschaffer beraten hatte. Aber erstens war das transparent, und zweitens konnte Maurer auch dem progressiven Experten von ennet dem Rhein kraftvoll widersprechen. Dass die «Rundschau»-Leute eine «journalistisch schwache Leistung» geboten hätten (Maurer), liegt also keineswegs auf der Hand. Die Urteile der Programmrechtsinstanzen darf man gespannt erwarten. Zwar mag die «Gripen»-Rundschau in Details etwas grenzwertig gewesen sein; aber gerade bei heiklen Themen sind laut Verfassung auch Medienfreiheit und SRG-Autonomie abzuwägen.
Wie verhielten sich die Printmedien angesichts dieses Medienhypes? Hier nur drei Beispiele: «Blick» machte mit der «Attacke auf das Fernsehen» sechs Spalten breit die Frontseite vom Samstag auf, schilderte die Vorgeschichte der Sendung und diagnostizierte eine «Dauerfehde» zwischen SRF und SVP. Im Kommentar («Das meint Blick») erinnerte der Ringier-Ausbildner Hannes Britschgi den Bundesrat aber daran, dass er, Maurer, selber die Medien aufgerufen hatte, Staatstätigkeit zu hinterfragen. Die gemässigt konservative «Neue Luzerner Zeitung» zählte Maurers frühere Gifteleien an die Adresse von SRF auf. Und die«SonntagsZeitung» drehte den Spiess kurzerhand um: Sie wies nach, dass einige alarmierende Befürchtungen des Verteidigungsministers den Aussagen des Armeechefs oder – bezüglich Österreich – schlicht den historischen Tatsachen widersprechen würden.
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Dieser Beitrag erschien zuerst im Medienspiegel.ch.
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Peter Studer ist Co-Autor der Handbücher «Medienrecht der Schweiz» (2013, 39 CHF) und «Medienrecht für die Praxis» (2011, 43.20 CHF) und «Medienrecht für die Presse» (2011, 49.00 CHF)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Peter Studer war Chefredaktor des Schweizer Fernsehens (1989-1999). Er schreibt heute über Medienrecht und Medienethik.
Den Rundschaubeitrag vom 16.4. kann man auf srf.ch etwa mit Stichworten «Rundschau Gripen» nochmals ansehen. Es lohnt sich.
Wenn man der Rundschau EINEN Vorwurf machen will, dann ist es, dass sie Bundesrat Maurer nicht das Angebot gemacht hat (oder hat sie es?) seine aufgezeichneten Entgleisungen ins Archiv zu legen und das Interview später zu widerholen. Maurer hat hier nicht zum ersten mal demonstriert, dass die ins rechtsradikale Politspektrum abgedriftete SVP nicht eimal EINEN demokratieverträglichen Bundesrat mehr stellen kann. Wäre es da nicht langsam Zeit für eine Koalitionsregierung Restbürgerblock-mitte-links?
Was die Flugzeuge betrifft:
Die Tiger, welche man heute ersetzen will, waren schon zu Zeiten des Vietnamkrieges eigentlich als harmlose ("unoffensive") aber sportlich-schnittige Luftkavallerie für «Drittweltstaaten» (wie man damals sagte) gedacht, mit denen man die strategische Bilanz nicht gross ritzte.
Da geht nicht viel Kampfwert verloren und ein Ersatzbedarf ist nicht ausgewiesen.
Werner T. Meyer
Uns ist schon klar, dass Peter Studer seinen ehemaligen Arbeitgeber SRF in Schutz nimmt. Die Presse war früher ein Teil der Lösung. Die Pressefreiheit wurde ernst genommen und weniger tendenziös, dafür mit mehr Fakten unterlegt, berichtet. Herrn Studer mag es möglicherweise entgangen sein, dass just diese Presse heute vermehrt ein Teil des Problemes darstellt. Es ist halt schwierig, die Übersicht zu behalten, wenn man mitten drin sitzt. Dass einem über unsere Gebühren finanzierten Medium dermassen viel Narrenfreiheit zugestanden wird, erstaunt mich als Bürger kaum. Enttäuscht bin ich auch nicht, weil ich von SRF keine professionellere Berichterstattung erwartet habe. Es war eine typisch linkslastige, bauernschlaue Vorstellung des, meines Erachtens, sehr schwachen Herrn Brotz. Seine Fragen, so lesen wir im Bericht von P. Studer, dürfen durchaus provokativ sein. Ich hab mir das Interview ein paar Mal angetan. Provokativ und unanständig sind hier sehr nahe. Herr Brotz war m.E. sehr unanständig. Einem Bundesrat gebührt, wenn auch nicht Zustimmung, dann zumindest Respekt. Dieser war über die ganze Länge des Interviews nicht vorhanden. Im Gegenteil; ich glaubte sogar ein triumphierendes Lächeln des Moderators zu erkennen. Das kann durchaus subjektiv sein.
Letztlich hat BR Ueli Maurer mit seiner ruhigen und richtigen Reaktion viele Stimmen FÜR den Gripen geholt. Auch wenn es einige Medien anders sehen wollten. Er hat Sandro Brotz souverän in den Senkel gestellt. Bravo BR Maurer.
Ich habe den Rundschau-Beitrag mit der Reaktion von BR Maurer auch gesehen. Und die Arena letzten Freitag dazu. Beides waren Aufzeichnungen mit der Möglichkeit, bestimmte Teile noch herauszunehmen, wenn da in der Hitze des Gefechtes etwas daneben gegangen sein sollte. In beiden Fällen war das nicht passiert. Herr Maurer hätte da vor allem beim Rundschau-Beitrag die Möglichkeit gehabt, zu sagen: so nicht, das wird nicht gesendet. Hat er aber nicht. Seine Reaktionen sind im Fall Gripen typisch: wirds eng, beginnt er auszurufen. Warum? Ist er der Sache nicht gewachsen? Ist er selbst nicht überzeugt? Ich erinnere daran, dass er 2011 noch gesagt hat: ein neues Kampfflugzeug brauchen wir nicht. Dieser Meinung bin ich auch heute noch. Die Kehrtwende ist ihm offenbar nicht gut bekommen. Warten wir jetzt auf den 18. Mai, abends. Dann sehen wir weiter…