Kommentar
Rechtsunsicherheit hemmt Recherche
Recherche ist in der Demokratie zentral. Interessenneutrale Profis – also Journalisten – müssen Informationen nach den Regeln der Kunst überprüfen, damit eine Information zur verlässlichen Nachricht wird. Das ist der Kern des schillernden Begriffs der Recherche: Fact-Checking. Doch Recherche kann noch mehr: Sie kann Missstände aufspüren. Dazu braucht es Erweiterungsrecherche, Thesenrecherche bis hin zur investigativen Recherche. Und die Erfahrung zeigt: Erst wenn Journalisten das ganze Instrumentarium der Recherche anwenden, können sie Fehlleistungen in Staat und Gesellschaft wirksam aufdecken. Erst dann ist Machtkontrolle optimal. Und nur so kann sich der Stimmbürger eine Meinung bilden.
Schweizer Medienschaffende stehen oft mit einem Bein in der Illegalität, wenn sie ihren Job gut machen wollen. Bei der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen, bei der verdeckten Recherche, dem Einsatz einer versteckten Kamera oder dem Quellenschutz ist die Praxis des Bundesgerichts so restriktiv, dass die Recherchequalität in der Schweiz leidet oder zu leiden droht. Einige Beispiele:
Justiz behindert verdeckte Recherchen
Verdeckte Recherchen werden in der Schweiz nur selten durchgeführt. Dies ist nicht zuletzt die Folge eines Urteils des Bundesgerichts aus dem Jahre 2001 (BGE 127 IV 166ff.). Darin bestätigte das höchste Schweizer Gericht die Verurteilung eines Mailänder Journalisten des Corriere della Sera wegen illegalen Grenzübertritts. Der Journalist liess sich von einer Schlepperorganisation über die grüne Grenze bringen, um die Flüchtlingsdramen an der Schweizer Grenze hautnah beschreiben zu können. Das Urteil des Bundesgerichts wurde in der juristischen Lehre heftig kritisiert, hat aber bis heute Gültigkeit.
Noch prekärer sind die rechtlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz bei Recherchen mit versteckter Kamera. Seit einem Präjudiz des Bundesgerichts aus dem Jahre 2008 werden Recherchen mit versteckter Kamera quasi nicht mehr durchgeführt (Urteil 6B_225/2008). Damals hat das höchste Schweizer Gericht die Verurteilung von Kassensturz-Journalisten akzeptiert, die 2003 Versicherungsvertreter in Beratungsgesprächen mit versteckter Kamera filmten, um damit die schlechte Qualität der Beratungen zu thematisieren. Gemäss Bundesgericht war das Filmen mit versteckter Kamera nicht nötig, um über stossendes Verhalten von Versicherungsvertretern zu berichten. Seit diesem Entscheid kann das Fernsehen in der Schweiz bei verdeckten Recherchen sein stärkstes Mittel – nämlich das Bild – nicht mehr einsetzen. Zwar ist eine Beschwerde dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hängig und die Chancen für eine Gutheissung sind intakt, doch zur Zeit beugen sich fast alle Journalisten der umstrittenen Rechtsprechung.
Löchriger Quellenschutz
Der journalistische Quellenschutz gilt zwar bei der Grosszahl von Strafdelikten, doch in wichtigen Fällen haben die Gerichte viel Spielraum. Am 31. Januar 2014 hat das Bundesgericht eine Journalistin der Basler Zeitung verpflichtet, der Staatsanwaltschaft den Namen eines Hanfhändlers zu nennen, den sie porträtiert hat (Urteil 1B_293/2013, siehe dazu auf Infosperber «Quellenschutz: Fatales Signal des Bundesgerichts»). Der Grund: Gemäss Schweizer Strafgesetzbuch können Journalisten bei qualifizierten Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz nur dann Quellenschutz gewährleisten, wenn das Interesse an der Medienfreiheit das Interesse an der Strafverfolgung überwiegt. Aber gemäss Bundesgericht sind die Interessen der Strafverfolger wichtiger als die Interessen von Journalisten selbst bei einem Bagatellfall – bei einem Hanfhändler, der pro Jahr einen Gewinn von 12‘000 Franken macht. Journalisten können nun nicht nur bei Reportagen aus dem Dealermilieu, sondern auch zum Beispiel bei einem Porträt eines korrupten Beamten keinen sicheren Quellenschutz mehr gewährleisten. Denn auch bei der Straftat der Korruption gilt der Quellenschutz nicht absolut.
Das Urteil des Bundesgerichts fällt zudem in eine Zeit, wo Staatsanwälte immer forscher gegen Journalisten und ihre Informanten vorgehen. So wurde das Haus des Le-Matin-Journalisten Ludovic Rocchi im Sommer 2013 von der Neuenburger Staatsanwaltschaft durchsucht und sein Computer wurde beschlagnahmt. Grund: Rocchi recherchierte zu einer Plagiatsaffäre an der Universität Neuenburg. Ob das Vorgehen der Strafverfolger rechtens war, wird nächstens vom Bundesgericht entschieden.
Im Fall der Medizinhistorikerin Iris Ritzmann, die von der Uni Zürich entlassen wurde, weil sie im Fall Mörgeli Informationen an Medienvertreter herausgegeben haben soll, hat die Zürcher Staatsanwaltschaft den Quellenschutz anders ausgehebelt. Sie liess von der Uni Zürich alle E-Mails editieren, die in einem bestimmten Zeitraum an Medienvertreter geschickt wurden. Ob die Uni Zürich diese Mails herausgeben durfte, wird noch von Gerichten geklärt. Diese drei aktuellen Fälle zeigen: In Sachen Quellenschutz bestehen derzeit erhebliche Rechtsunsicherheiten für Journalisten.
Whistleblowern droht die Kündigung
Eine weitere Rechtsunsicherheit betrifft Whistleblower. Personen, die Hinweise auf Missstände in der Verwaltung oder Privatwirtschaft geben sind in der Schweiz schlecht geschützt. Sie werden in aller Regel entlassen und wenn sie öffentliche Angestellte sind wegen Amtsgeheimnisverletzung verurteilt. Sie können sich nicht auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen berufen und haben einen prekären Kündigungsschutz. Dies hat das Bundesgericht zuletzt im Dezember 2011 im Fall von Esther Wyler und Margrith Zopfi, den beiden Controllerinnen des Zürcher Sozialdepartements festgehalten (Urteil 6B_305/2011). Der Bundesrat will den Schutz von Whistleblowern zwar gesetzlich regeln, den Kündigungsschutz aber nicht verbessern und schlägt in seinem Entwurf vom November 2013 sogar vor, dass Whistleblower nicht an die Medien gelangen dürfen, selbst dann nicht, wenn das Vorgehen der Behörde unzureichend ist, an die sie die Missstände gemeldet haben.
Rechtsunsicherheiten und ihre Folgen
Solche Rechtsunsicherheiten hemmen Rechercheure. Und es stellt sich die Frage: Wie wirkt sich die restriktive Haltung der Justiz ganz konkret auf die Arbeit der Journalisten, auf Berichterstattung und Inhalte aus? Recherchen zu welchen Themen werden deshalb in der Schweiz nicht angepackt? Und welche Folgen hat dies für die mediale Berichterstattung und öffentliche Meinungsbildung?
Medienwissenschafter sollten die Folgen dieser Urteile für die Berichterstattung in der Schweiz und damit für die Demokratie erforschen. Dies geschah bisher in der Schweiz kaum. Während zahlreiche Studien die strukturellen Rahmenbedingungen der Medien untersuchen, ist die Forschung über die Rahmenbedingungen von Recherche praktisch inexistent. Erstaunlich, denn Recherche ist vital für Machtkontrolle und verlässliche Information. Und diese sind wiederum vital für die Demokratie.
Deshalb sind solche medienwissenschaftliche Studien zu den Rahmenbedingungen der Recherche dringend nötig. Nur so kann Parlamentariern klar werden, dass es dringenden Gesetzgebungsbedarf gibt, um die Recherche in der Schweiz zu stärken – und damit eine Grundvoraussetzung von Demokratie sicherzustellen.
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Dieser Beitrag ist ein Auszug aus einem Vortrag von Dominique Strebel, gehalten an der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft SGKM am 12. April 2014
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Jurist und Journalist Dominique Strebel beobachtet, wie Polizistinnen, Staatsanwälte, Gutachterinnen, Rechtsanwälte und Richterinnen das Recht anwenden. Er ist Studienleiter an der Schweizer Journalistenschule MAZ.