Kommentar

Die Angst der Stromlobby vor der «Insel»

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Das angekündigte Stromabkommen mit der EU hat vor allem ein Ziel: das Geschäftsmodell des weiträumigen Stromaustauschs zu retten.

Ein Phantom geht um. Es heisst «bilaterales Stromabkommen mit der EU» und soll, so hören wir seit Verhandlungsbeginn vor sieben Jahren, demnächst auftauchen. Die Umrisse dieses angekündigten Vertrags kennen nur Wenige, denn die Chefbeamten aus Bern und Brüssel verhandeln darüber hinter geschlossenen Türen. Es geht dabei darum, die nationale Stromversorgung so umzubauen, dass sie den Anforderungen des – bürokratisch regulierten – EU-Strommarktes genügt.
Dieses Abkommen brauche es unbedingt, damit die Schweiz weiterhin am europäischen Strommarkt teilnehmen könne. Das erklären uns der EU-Energiekommissar, die Schweizer Energieministerin und die Spitzen der Schweizer Stromwirtschaft im Monatstakt; zuletzt taten sie es diese Woche am nationalen Stromkongress in Bern. Denn die Schweiz, so lautete dort die einhellige Formel, «ist keine Insel, auch keine Strominsel». Letzteres ist eine Binsenwahrheit. Denn kein anderes Land in Europa betreibt seit Jahrzehnten einen derart intensiven grenzüberschreitenden Stromhandel wie die Schweiz.
Als «unerlässliche Bedingung» für diesen bilateralen Vertrag fordert die EU insbesondere, die Schweiz müsse ihren nationalen Strommarkt für sämtliche Konsumenten öffnen (heute haben erst 27’000 Grossverbraucher Marktzutritt). Weiter verlangt sie einen Abbau von nationalen und kantonalen «Beihilfen» (sprich Subventionen). Derweil duldet es die EU, dass ihre Mitglieder, insbesondere Deutschland, Spanien und Italien, ihre eigene Produktion von Kohle-, Wind- und Solarstrom mit zweistelligen Milliardenbeträgen quersubventionieren und Industriebetriebe mit Dumpingtarifen bevorzugen. Der unverfälschte Strommarkt, den die EU ab 2015 plant, bleibt damit ebenso ein Phantom wie das bilaterale Abkommen.
Selbst wenn die Verhandlungsteilnehmer sich im Sommer 2014 einigen und das Stromabkommen provisorisch unterzeichnen, bleibt es ein Papiertiger. Denn es wird Jahre dauern, bis die Schweiz alle Bedingungen erfüllen kann. So braucht es für die weitere Liberalisierung des inländischen Strommarktes eine Gesetzesänderung, die auf Widerstand von Linksparteien und Gewerkschaften stossen dürfte. Die Ratifizierung des Stromabkommens durch das Schweizer Parlament und alle EU-Staaten benötigt ebenfalls viel Zeit.
In dieser vertragslosen Zeit wird der grenzüberschreitende Stromaustausch zwischen der Schweiz und der EU kaum behindert, sondern eher noch intensiviert werden. Denn die EU ist von der Stromdrehscheibe Schweiz mindestens ebenso stark abhängig wie die Schweiz vom Atom-, Wind- und Kohlestrom, den sie im Winterhalbjahr aus der EU importiert.
Die Angst, die Schweiz könnte zur einsamen «Strominsel» werden, erweist sich damit vor allem als Angstmacherei. Die Schweizer Stromkonzerne verfolgen damit das Ziel, ihr bisheriges Geschäftsmodell, das auf weiträumigen Stromaustausch baut, zu erhalten. Diese Position steht im Kontrast zum neuen Trend Richtung erneuerbarer, dezentraler und kleinräumiger Stromversorgung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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