Kommentar
Der Tag der langen Messer in Lausanne
Der Fall 2C_347/2012 gilt in Lausanne als «cause célèbre», als Fall also, der Aufmerksamkeit erregen wird. Mit dieser Einschätzung liegen die Richter sicher nicht falsch. Zum ersten Mal überhaupt entscheidet das höchste Schweizer Gericht über die Betriebsbewilligung für ein AKW. Konkret: Um die Frage, ob das AKW Mühleberg eine unbefristete Betriebsbewilligung erhält oder nicht. Im Dezember 2009 hatte das eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) nach 37 Betriebsjahren (!) zum ersten Mal eine solche Bewilligung erteilt. Eine Gruppe Anwohner legte jedoch mit dem Berner Anwalt Rainer Weibel umgehend Rekurs gegen diesen Entscheid ein. Ihre Begründung: Die Sicherheit des AKWs Mühleberg sei nicht gewährleistet – eine Argumentation, die sich mit einem Blick auf die Geschichte des zweitältesten Schweizer Atommeilers gut stützen lässt. Die BKW als Besitzerin des AKWs Mühleberg und das Uvek riefen darauf das Bundesgericht an.
Das Bundesverwaltungsgericht stützte jedoch in seinem Urteil vom 1. März 2012 die Mühleberg-Gegner: «Bedeutende Sicherheitsaspekte» seien nicht geklärt und würden den Weiterbetrieb des AKWs Mühleberg in Frage stellen, heisst es im Entscheid. Das AKW Mühleberg sei nach 40 Betriebsjahren «sicher eher am Ende seiner Betriebsdauer». Das Bundesverwaltungsgericht verlängerte deshalb die Betriebsbewilligung lediglich um ein halbes Jahr, bis zum 28. Juni 2013. Bis zu diesem Zeitpunkt muss die BKW beim Uvek ein neues Verlängerungsgesuch sowie ein umfassendes Instandhaltungskonzept einreichen. Dieser Aufforderung ist die BKW bereits nachgekommen.
Nun muss also heute das Bundesgericht entscheiden, ob Mühleberg eine unbefristete Betriebsbewilligung erhält oder nicht. Entscheiden die Richter in Lausanne zugunsten von BKW und Uvek, ist der Fall klar: Dann darf das AKW Mühleberg ohne zeitliche Einschränkung weiterlaufen.
Sehen die Bundesrichter den Fall aber so, wie ihre Kolleginnen und Kollegen vom Bundesverwaltungsgericht, so darf das Uvek nur eine befristete Betriebsbewilligung ausstellen – und diese könnte von AKW-Gegnerinnen und -Gegnern wiederum bis vor Bundesgericht angefochten werden.
Das AKW Mühleberg, nunmehr seit 14’752 Tagen in Betrieb (wobei all die Betriebsunterbrüche, Schnellabschaltungen und Notreparaturen selbstverständlich mitgerechnet sind), wird weiterlaufen, unabhängig davon, wie die Richter in Mon Repos entscheiden. Und dies noch monate- wenn nicht gar jahrelang. Selbst wenn die Richter im Sinn der Mühleberg-Gegner entscheiden, läuft das zweitälteste AKW der Schweiz weiter: Weder wird das Uvek einen vorläufigen Betriebsunterbruch bis zum Vorliegen einer – wiederum befristeten – Bewilligung verlangen, noch wird die BKW den Meiler freiwillig vom Netz nehmen.
Spannend wird es trotzdem heute in Lausanne: Ein Entscheid im Sinn der Mühleberg-Gegner könnte ein Hinweis auf ein weiteres Urteil sein: Im Bundesgericht liegt mit dem Verfahren 2C_860/2012 der Antrag der Gegner, dem AKW die Betriebsbewilligung definitiv zu entziehen. Das wäre das endgültige Aus für Mühleberg.
Der Entscheid, so hört man, bald einmal fallen. Affaire à suivre.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Journalist und Betreiber des Energie- und Umweltblogs «Angelis Ansichten», wo er diesen Beitrag zuerst publizierte.